Draffen blieb unbewegt.»Weiß ich alles, Sir Lucius. Aber diese Sache erfordert sehr viel Takt und Vorsicht. Und außerdem«, schloß er in schärferem Ton,»eine sehr exakte Schiffsführung.»
Bolitho trat einen Schritt vor.»Ich verstehe schon, Sir Hugo. «Er war sich darüber klar, daß er zwischen diesen beiden mächtigen und unnachgiebigen Männern stand. Außerhalb der Flotte hatte er nie viel Kontakt mit solchen Leuten gehabt und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er so schlecht mit ihnen umzugehen verstand, ihre Welt nicht begriff, die so verschieden von der seinen war.»Aber in diesem kleinen Geschwader sind über dreitausend Mannschaften und Offiziere, die jeden Tag, den wir auf See sind, verpflegt werden müssen, die beiden Bombenwerfer nicht mitgerechnet. Allein das Trinkwasser wird in diesem Klima rasch zu einem Problem. Und wenn wir nicht bald eine neue Versorgungsbasis einplanen können, müssen wir vielleicht nach Gibraltar zurück, ehe wir unsere Mission beendet haben.»
«Bitte um Entschuldigung, Captain«, nickte Draffen.»Das hört sich ganz vernünftig an. Der Binnenländer neigt dazu, ein Schiff als bloßes Fahrzeug anzusehen und nicht als Behältnis für eine Anzahl Menschen, die genauso zu essen haben müssen wie andere, die das Glück haben, an Land zu leben.»
Broughton starrte ihn an.»Aber genau das habe ich Ihnen doch eben gesagt.»
«Es geht nicht nur darum, was Sie mir gesagt haben, Sir Lucius, sondern wie Sie es gesagt haben.»
Er stand auf und sah erst Broughton, dann Bolitho an.»Auf jeden Fall muß ich Sie bitten, daß Sie die Restless zum Flaggschiff zurückbeordern. Ihr Steuermann hat mir versichert, daß sich dieser Wind noch eine Zeitlang halten wird. Das ist wohl auch Ihre Meinung, Cap-tain?»
Bolitho nickte.»Höchstwahrscheinlich, Sir. Aber verlassen können Sie sich nicht darauf.»
«Das muß mir genügen. Ich werde auf die Korvette umsteigen und mit ihr näher an die Küste heransegeln. Wenn ich bis Sonnenuntergang keinen Kontakt mit meinem Agenten habe, komme ich zum Geschwader zurück.»
Broughton rieb sich den Nacken.»Und dann segeln wir wie vorgesehen nach Djafou?»
Nach kurzem Zögern erwiderte Draffen:»Sieht so aus.»
Der Admiral lächelte dünn.»Na schön. «Er schnippte mit den Fingern nach Calvert, der am anderen Ende der Kajüte herumstand.»Signal an die Restless: >Aufschließen zum Flaggschiff!««Nervös ging er auf dem Bodenbelag mit den schwarz-weißen Karos hin und her.»Und dann noch ein Signal an die Valorous.«Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf den Flaggleutnant, der eifrig in seinem Notizbuch kritzelte. Hoffentlich nahm er alles richtig auf.
«Äh — die Valorous soll das Kommando über das Geschwader übernehmen und auf jetzigem Kurs weitersegeln. Die Euryalus macht kehrt und fährt der Restless entgegen. «Er lächelte Draffen flüchtig zu.»Damit sparen wir Zeit, und Sie haben ein paar Stunden zusätzlich für Ihre, äh, Suche.»
Er fuhr herum und blaffte Calvert an:»Was, zum Teufel, stehen Sie da und glotzen mich an? Scheren Sie sich raus und lassen Sie die Signale sofort absetzen!»
Als die Tür hinter Calvert ins Schloß fiel, brummte er:»Dämlicher Bengel! In der St. James Street mag er ja ein feiner Geck sein, aber hier nutzt er mir so viel wie eine blinde Nähmamsell!»
Draffen stand auf und schritt zur Nebenkajüte, die gegenüber der größeren lag, wo der Admiral schlief.»Ich muß mich noch umziehen«, sagte er mit einem gelassenen Blick auf Broughton.»Ich möchte nämlich nicht, daß mich der Kommandant der Korvette für einen Geck wie Calvert hält.»
Broughton wartete, bis er draußen war, und brach dann los:»Bei Gott, jetzt reicht's mir bald!»
«Ich kümmere mich um den neuen Kurs, Sir.»
«Ja, tun Sie das«, antwortete Broughton kühl.»Ich werde froh sein, wenn wir in Djafou sind. Von diesen ewigen Einmischungen habe ich wirklich die Nase voll.»
Bolitho eilte aufs Achterdeck hinaus, wo die Hitze ihn anfiel wie glühende Kohlen aus einem Herdfeuer.
Nach einem kurzen Blick auf den Windstander rief er scharf:»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen, Mr. Keverne! Wir halsen sofort. Dann können Sie Bramsegel setzen.»
Die Pfeifen schrillten, sofort ergoß sich der Strom der barfüßigen Matrosen auf das sonnenüberflutete Deck. Nur hier und da blickte einer zum Achterdeck hin, neugierig, was denn auf einmal los war.
Achteraus setzte die Valorous bereits mehr Segel; das Bestätigungssignal verschwand von der Rah, die große Fock kam frei und bauschte sich im Wind. Der Kommandant wird sich über dieses Signal freuen, dachte Bolitho. Fourneaux war nie so richtig mit seiner Funktion als Nachhut zufrieden gewesen. Dieser Befehl würde den anderen unmißverständlich klarmachen, was Broughton wirklich von ihm hielt.
Dann vergaß er Fourneaux, denn Midshipman Tothill meldete:»Die Restless hat bestätigt, Sir. «Verzweifelt blickte er auf Calverts gebeugten Rücken, der in das Signalbuch starrte, als wäre es arabisch geschrieben.
«Na, Mr. Partridge«, lächelte Bolitho,»dann wollen wir mal sehen, was sie sagt, wenn sie wieder ein bißchen Wind zu spüren kriegt.»
Er sah zu den Männern hinunter, die bereits auf ihren Stationen am Fuße jedes Mastes angetreten waren.»Machen Sie weiter, Mr. Kever-ne!»
«Entert auf! Bramsegel setzen!«Keverne wartete ab, bis die halbnackten Matrosen die obersten Rahen erreicht hatten, wo sie sich schwarz vom blauen Himmel abhoben.
«An die Brassen!»
Partridge gab ein Handzeichen, die Rudergänger warfen sich in die Speichen und brachten das mächtige Rad herum.
«Laß gehn und hol an!«Metallisch verfremdet klang Kevernes Stimme aus dem Sprachrohr.»Hievt, ihr faulen Vetteln!»
Knarrend und stöhnend kamen die mächtigen Rahen herum, tief tauchte der Schiffsrumpf in die Wellen und schor majestätisch langsam aus der Linie des Geschwaders. Oben knatterten die Segel ein paar Sekunden lang wild und laut durcheinander, aber noch lauter tönte das Schimpfen, Fluchen und Drohen der Bootsmaaten an den Masten, die ihre Leute antrieben. Schon flogen die Bramsegel peitschend von den Rahen und härteten sich zu festen bräunlichen Rechtecken unter dem Winddruck, rissen und zerrten an Blöcken und Schoten, jederzeit bereit, einen Topsgasten hinunterzuschleudern, wenn er nicht aufpaßte.
«Südost zu Süd!»
Bolitho stand mit gespreizten Beinen da; er spürte das Vibrieren des Decks durch seine Schuhsohlen, als die Segel das Schiff vorwärts und über den nächsten Wellenkamm zogen. Triumphierend flog Gischt an der Galionsfigur hoch und flockte über die Männer an Vorstengestag-segel und Klüver. Um die Wette rannten die barfüßigen Matrosen übers Deck, in Erwartung neuer Befehle. Das Schiff lag jetzt beinahe vorm Wind und machte mehr Fahrt; jetzt bildete das Deck nicht mehr einen stetigen schrägen Winkel wie vorher, sondern schwankte hin und her.
Wie mochte das Schiff wohl für die Restless aussehen? dachte Bo-litho mit einem Blick nach oben. Die Korvette war dazu gebaut, dem Wind fast direkt in die Zähne zu segeln; daß Broughton es sich anders überlegt hatte, würde ihr und dem Geschwader eine ganze Menge Zeit sparen. Aber wahrscheinlich, dachte Bolitho, hatte sich Broughton nur deswegen so entschieden, weil er Draffen, wenn auch nur für kurze Zeit, loswerden wollte.
Doch im Moment konnte er zufrieden sein. Die Euryalus benahm sich großartig, und er spielte mit dem Gedanken, Keverne auch noch die Stengestagsegel setzen zu lassen. Aber gerade diese zusätzlichen Obersegel konnten sie unter Umständen einem noch unsichtbar unter der Kimm stehenden Feind verraten.
Er wandte sich um, denn Draffen kam an Deck.»Sie wollten sie doch mal unter vollen Segeln sehen, Sir. «Er sah, wie Draffens Blick staunend über die steifen, brausenden Segel glitt, und wie schön er den Anblick fand, wenn er auch nicht viel davon verstand.
«Eine richtige Lady, Bolitho! Das allein lohnt schon die Mühe.»