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Am Kajütschott standen statt des normalen Einzelpostens drei Seesoldaten mit Musketen und aufgepflanzten Bajonetten.

Er biß die Zähne zusammen und öffnete die Tür. Hinter sich hörte er Rooks schweren Atem und spürte eine heftige Trockenheit in der Kehle beim Anblick der bereits versammelten Offiziere. In der Kajüte war ein Tisch quergestellt, Stühle standen dahinter, so daß Bolitho unwillkürlich an einen Gerichtssaal erinnert wurde. Stumm blickten ihm die herumstehenden Offiziere entgegen, alles Kommandanten der anderen Schiffe; sogar der junge Kommandant der Korvette Restless war dabei.

Ein Leutnant, den Bolitho überhaupt nicht kannte, kam eilig auf ihn zu; sein etwas angestrengtes Lächeln konnte Begrüßung bedeuten oder auch nur Erleichterung, daß er endlich da war.

«Willkommen an Bord, Sir. «Er deutete zu der geschlossenen Tür von Sir Lucius' kleinem Kartenraum.»Sir Lucius erwartet Sie, Sir.»

Und als er merkte, daß Bolitho immer noch unbeweglich stand, fügte er beflissen hinzu:»Mein Name ist Calvert, Sir. Der neue Flaggleutnant[21] des Admirals.»

Er hatte die gleiche gedehnte Sprechweise wie Broughton, aber sonst war er ihm ganz und gar nicht ähnlich. Calvert machte eher einen verwirrten, gequälten Eindruck; und Bolithos Unbehagen verstärkte sich plötzlich, als warne ihn etwas. In der kurzen Zeit, während er nach Truro gefahren war, allen möglichen maßgebenden Leuten die Hände geschüttelt und sich ihre wohltönenden Kondolenzreden angehört hatte, war das alles passiert!

«Dann gehen Sie voraus, Mr. Calvert«, sagte er.»Wir werden uns zweifellos zu gegebener Zeit besser kennenlernen.»

In dem kleinen Kartenraum schien es ihm sehr heiß. Das Oberlichtfenster war geschlossen, und man konnte kaum atmen. Broughton stand mit verschränkten Armen neben dem Tisch und starrte auf die Tür, als ob er in dieser Haltung schon seit Stunden eingefroren wäre. Sein Uniformrock lag auf einem Stuhl, und in dem einfallenden Sonnenlicht sah man auf seinem blendendweißen Hemd dunkle Schweißflek-ken.

Er war ruhig, das Gesicht völlig ausdruckslos, als er Bolitho zunickte und den Leutnant anfuhr:»Warten Sie draußen, Calvert!»

Der Leutnant fingerte an seinen Rockknöpfen und murmelte:»Ich dachte. Die Briefe, Sir.»

«Mein Gott, Mann, sind Sie außer dämlich auch noch taub?«Broughton beugte sich über den Tisch und brüllte wie ein Stier:»Raus, habe ich gesagt!»

Als die Tür hinter dem armen Calvert ins Schloß fiel, wartete Bo-litho darauf, daß Broughton jetzt seine Wut an ihm auslassen würde. Es sah aus, als hätte er sie gerade noch bis zu diesem Moment zurückhalten können, um sie dann mit ganzer Schärfe auf Bolitho abzuschießen. Überraschenderweise sprach der Admiral jedoch mit fast normaler Stimme.»Bei Gott, Bolitho, ich bin froh, daß Sie so pünktlich zurück sind«, sagte er und deutete auf ein offenes Kuvert auf dem Tisch.»Endlich die Segelorder. Dieser Esel von Calvert hat sie aus London mitgebracht.»

Bolitho wartete einen Moment, damit Broughton sich weiter beruhigen konnte. Dann sagte er:»Ich hätte Ihnen einen Flaggleutnant vom Geschwader abstellen können, wenn Sie einen brauchen, Sir…»

Broughton warf ihm einen kalten Blick zu.»Ach, hol ihn der Teufel! Sein Vater hat mir vor ein paar Jahren mal einen Gefallen getan, und ich habe ihm versprochen, ihm seinen Narren von Sohn abzunehmen, damit er von London wegkommt. «Er brach ab und spähte mit schiefem Kopf zum Oberlicht empor, als horche er auf etwas.

Dann fuhr er fort:»Sie haben zweifellos das Neueste gehört. «Tief und zornig atmete er ein.»Dieses elende, verräterische Gesindel hatte die Frechheit zu meutern, wie? Die ganze Nore-Flotte brennt vor. «Er suchte vergeblich nach dem passenden Wort und schloß:»Da haben Sie Ihre Humanität. Einbildung nenne ich das, wenn Sie auch nur eine Minute glauben, daß dieses Pack Verständnis für Nachsicht hat!»

«Mit allem Respekt, Sir«, warf Bolitho ein,»zwischen der Auriga und den Unruhen in der Nore besteht kein Zusammenhang.»

«So, meinen Sie?«Broughtons Stimme war jetzt wieder ganz ruhig. Zu ruhig.»Ich kann Ihnen versichern, Captain Bolitho, daß ich bereits in Spithead genügend Verräterei erlebt habe, wo ein Haufen kriechender, schleimiger, lügender Bastarde mein eigenes Flaggschiff in seine Gewalt brachte. Diese Demütigung, diese Schande hängt mir jetzt noch an wie Latrinengestank.»

Ein diskretes Klopfen an der Tür, Hauptmann Giffard von der Marine-Infanterie steckte den Kopf herein und meldete:»Alles bereit, Sir. «Unter Broughtons wütendem Blick verschwand er eiligst.

«Darf ich fragen, was hier vorgeht, Sir?«fragte Bolitho.

«Sie dürfen. «Broughton nahm seinen Rock vom Stuhl auf. Sein Gesicht war schweißnaß.»Ihretwegen habe ich gegen meine Überzeugung gehandelt. Ihretwegen habe ich die Meuterer der Auriga frei und ohne Gerichtsverfahren ausgehen lassen. «Mit wutblitzenden Augen fuhr er herum.»Wegen Ihnen und Ihren verdammten Versprechungen, zu denen Sie weder die Autorität noch das Recht hatten — muß ich diese Kerls ungeschoren lassen, nur um Ihr Ansehen als Flaggkapitän nicht in Frage zu stellen!«Er war ins Schreien geraten, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie die anderen Kommandanten jenseits der Tür ihn entweder bemitleideten oder sich freuten, daß ein Vorgesetzter auch nicht besser behandelt wurde als sie selbst. Bolitho kannte sie noch nicht genug, um das entscheiden zu können. Er wußte nur, daß ihn diese plötzliche Attacke des Admirals erzürnte und verbitterte.

Fest und bestimmt erwiderte er:»Es war meine Aufgabe, Sir. Kein anderer war zu der Zeit verfügbar, und so.»

«Unterbrechen Sie mich nicht, Bolitho!«brüllte der Admiral.»Bei Gott, es wäre besser gewesen, wenn Sie die Auriga angegriffen und in Stücke geschossen hätten. Wenn in der Nore solche Offiziere wie Sie dienen, dann mag der Himmel England helfen!«Er griff nach seinem Degen und hängte ihn ein.»Na, wir werden ja sehen, wie es in diesem Geschwader mit Meuterei geht!»

Nur mit Mühe konnte Bolitho sich beherrschen.»Tut mir leid, Sir, daß Sie meine Entscheidung nicht akzeptieren wollen.»

«Entscheidung?«Broughton starrte ihn wütend an.»Kapitulation nenne ich das!«Mit verächtlichem Achselzucken griff er nach seinem Hut.»Ich kann ein Unrecht nicht wieder zu Recht machen, aber, beim Himmel, ich werde denen zeigen, daß es auf meinen Schiffen keine Insubordination gibt!»

Er riß die Tür auf und stampfte in die große Kajüte.»Nehmen Sie Platz, Gentlemen. «Er setzte sich in den Mittelstuhl und bedeutete Bolitho, sich neben ihn zu setzen.»Nun, Gentlemen, ich habe dieses Standgericht einberufen auf Grund des mir übertragenen Oberbefehls, der mir Sondervollmachten bis zur Beendigung des gegenwärtigen Notstandes einräumt.»

Bolitho warf einen raschen Blick auf die anderen. Ihre Gesichter waren wie Masken. Überrascht und verwirrt durch die Ereignisse, mochten sie sich fragen, was dabei für sie persönlich herauskommen würde.

Es war, als spräche Broughton zu der gegenüberliegenden Schottwand, aber er hatte seine Stimme wieder in der Gewalt.»Der Rädelsführer bei der Insurrektion der Auriga war ein gewisser Thomas Gates, Kapitänsschreiber. Man hat ihn, äh, entwischen lassen. Zweifellos ist er zusammen mit anderen verantwortlich für den Tod des Kuriers und den Verlust der versiegelten Depeschen.»

Die Luft in der Kajüte zitterte vor Spannung, so daß die altgewohnten Bordgeräusche auf einmal überlaut und unwirklich klagen.»Der Steuermannsmaat — «, er blickte auf ein vor ihm liegendes Papier — ,»John Taylor, derzeit in Arrest wegen Konspiration, ist demzufolge der einzige Haupttäter, an den sich dieses Gericht halten kann.»

«Darf ich etwas sagen, Sir?«Alle Köpfe wandten sich Bolitho zu. In diesen wenigen Sekunden sah er die anderen als Individuen, deren unterschiedliche Empfindungen sich in ihren Augen spiegelten. Sympathie, Verständnis — einer schien sich sogar zu amüsieren. Doch als Bolitho weitersprach, dachte er nicht mehr an sie.»Taylor war nur einer von vielen, Sir«, sagte er ruhig.»Er kam zu mir, weil er Vertrauen zu mir hatte.»

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