Ich sehe ihn voll Abneigung an. Er hat mir die Kanonen rasch heimgezahlt.»Haben Sie irgend etwas Neues hereingekriegt?«fragt er herablassend.
»Nichts, was Sie interessieren könnte – abgesehen von – aber das ist ja bereits so gut wie verkauft«, erwidere ich mit der plötzlichen Hellsicht der Rache und des jäh aufflammenden Geschäftssinnes.
Herbert beißt an.»Was?«
»Nichts für Sie. Etwas ganz Großartiges. Und auch so gut wie verkauft.«-»Was?«
»Ein Mausoleum. Ein sehr bedeutendes Kunstobjekt. Schwarzkopf ist äußerst interessiert -«
Scherz lacht.»Haben Sie keinen älteren Verkaufstrick auf Lager?«
»Nein. Nicht bei einem solchen Stück. Es ist eine Art Post-mortem-Klubhaus. Schwarzkopf denkt daran, am Todestage jährlich eine kleine intime Feier darin testamentarisch festzulegen. Das ist dann, als hätte er jedes Jahr eine neue Beerdigung. Der Raum des Mausoleums ist stimmungsvoll dafür, mit Bänken und bunten Scheiben. Man kann auch kleine Erfrischungen nach jeder Feier reichen. Schwer zu übertreffen, was? Eine ewige Gedenkfeier, während kein Mensch die alten Gräber mehr ansieht!«
Scherz lacht weiter, aber gedankenvoller. Ich lasse ihn lachen. Die Sonne wirft gewichtsloses, bleiches Silber vom Fluß zwischen uns. Scherz hört auf.»So, ein solches Mausoleum haben Sie?«sagt er, bereits mit der leichten Sorge des echten Sammlers, der fürchtet, ihm könnte eine große Gelegenheit entgehen.
»Vergessen Sie es! Es ist so gut wie verkauft an Schwarzkopf. Sehen wir lieber die Enten auf dem Fluß an! Was für Farben!«
»Ich mag keine Enten. Schmecken zu muffig. Na, ich komme mal, mir Ihr Mausoleum anzuschauen.«
»Beeilen Sie sich nicht. Sehen Sie es sich lieber an, wie es in natürlicher Umgebung wirkt – wenn Schwarzkopf es aufgestellt hat.«
Scherz lacht wieder, aber ziemlich hohl jetzt. Ich lache auch. Keiner glaubt dem anderen; aber jeder hat einen Haken geschluckt. Er Schwarzkopf, und ich, daß ich ihn vielleicht diesmal doch erwischen werde.
Ich gehe weiter. Aus dem Altstädter Hof kommt der Geruch von Tabak und abgestandenem Bier. Ich wandere durch das Tor in den Hinterhof der Kneipe. Dort bietet sich ein Bild des Friedens. Die Schnapsleichen vom Samstagabend liegen da in der frühen Sonne. Fliegen summen in den röchelnden Atemzügen der Kirsch-, Steinhäger- und Korntrinker herum, als wären es aromatische Passatwinde von den Gewürzinseln; Spinnen steigen aus dem Laub des wilden Weins auf ihren Seilen über den Gesichtern auf und ab wie Trapez-Akrobaten, und im Schnurrbart eines Zigeuners turnt ein Käfer, als wäre es ein Bambushain. Da ist es, denke ich, wenigstens im Schlaf, das verlorene Paradies, die große Verbrüderung!
Ich blicke zu Gerdas Fenster hinauf. Das Fenster steht offen.
»Hilfe!«sagt plötzlich eine der Gestalten auf dem Boden. Sie sagt es ruhig, leise und resigniert – sie schreit nicht, und gerade das trifft mich wie der Ätherschlag eines Strahlenwesens. Es ist ein gewichtsloser Schlag auf die Brust, der durch die Brust geht wie Röntgenlicht, der aber dann den Atem trifft, daß er sich staut. Hilfe! denke ich. Was rufen wir anders, hörbar, unhörbar, immerfort?
Die Messe ist vorbei. Die Oberin übergibt mir mein Honorar. Es lohnt sich nicht, es einzustecken; aber ich kann es nicht zurückweisen, das würde sie kränken.»Ich habe Ihnen eine Flasche Wein zum Frühstück geschickt«, sagt sie.»Wir haben nichts anderes, um es Ihnen zu geben. Aber wir beten für Sie.«
»Danke«, erwidere ich.»Aber wie kommen Sie an diese ausgezeichneten Weine? Die kosten doch auch Geld.«
Die Oberin lächelt über ihr zerknittertes Elfenbeingesicht, das die blutlose Haut hat, die Klosterinsassen, Zuchthäusler, Kranke und Bergwerksarbeiter haben.»Wir bekommen sie geschenkt. Es gibt einen frommen Weinhändler in der Stadt. Seine Frau war lange hier. Er schickt uns seitdem jedes Jahr ein paar Kisten.«
Ich frage nicht, warum er sie schickt. Ich erinnere mich daran, daß der Streiter Gottes, Bodendiek, auch nach der Messe sein Frühstück ißt, und ich gehe rasch los, um noch etwas zu retten.
Die Flasche ist natürlich schon halb leer. Auch Wernicke ist da; aber er trinkt nur Kaffee.»Die Flasche, aus der Sie sich soeben so freigebig einschenken, Hochwürden«, sage ich zu Bodendiek,»ist von der Oberin für mich privat als Gehaltszulage heraufgeschickt worden.«
»Das weiß ich«, erwidert der Vikar.»Aber sind Sie nicht der Apostel der Toleranz, Sie munterer Atheist? Gönnen Sie Ihren Freunden also nur ruhig einen Tropfen. Eine ganze Flasche zum Frühstück wäre für Sie höchst ungesund.«
Ich antworte nicht. Der Kirchenmann hält das für Schwäche und holt sofort zur Attacke aus.»Was macht die Lebensangst?«fragt er und nimmt einen herzhaften Schluck.
»Was?«
»Die Lebensangst, die Ihnen aus allen Knochen dampft, wie -«
»Wie Ektoplasma«, wirft Wernicke hilfreich ein.
»Wie Schweiß«, sagt Bodendiek, der dem Arzt nicht traut.
»Wenn ich Lebensangst hätte, wäre ich gläubiger Katholik«, erkläre ich und ziehe die Flasche an mich.
»Unsinn! Wenn Sie gläubiger Katholik wären, hätten Sie keine Lebensangst.«
»Das ist kirchenväterliche Haarspalterei.«
Bodendiek lacht.»Was wissen denn Sie schon von der exquisiten Geistigkeit unserer Kirchenväter, Sie junger Barbar?«
»Genug, um aufzuhören bei dem jahrelangen Streit, den die Väter darüber hatten, ob Adam und Eva einen Nabel gehabt hätten oder nicht.«
Wernicke grinst. Bodendiek macht ein angewidertes Gesicht.»Billigste Unwissenheit und platter Materialismus, traut verbündet wie immer«, sagt er in die Richtung von Wernicke und mir.
»Sie sollten nicht mit der Wissenschaft auf einem so hohen Roß sitzen«, erwidere ich.»Was würden Sie machen, wenn Sie einen hochentzündeten Blinddarm hätten, und weit und breit wäre nur ein einziger, erstklassiger, aber atheistischer Arzt zur Hilfe da? Beten oder sich von einem Heiden operieren lassen?«
»Beides, Sie Anfänger in der Dialektik – es würde dem heidnischen Arzt eine Gelegenheit geben, sich Verdienst vor Gott zu erwerben.«
»Sie sollten sich überhaupt nicht von einem Arzt behandeln lassen«, sage ich.»Wenn es Gottes Wille wäre, so müßten Sie eben sterben, aber nicht versuchen, das zu korrigieren.«
Bodendiek winkt ab.»Jetzt kommt bald die Sache mit dem freien Willen und der Allmacht Gottes. Findige Untersekundaner glauben damit die gesamte Kirchenlehre zu widerlegen.«Er erhebt sich wohlwollend. Sein Schädel leuchtet von Gesundheit. Wernicke und ich sehen schmächtig gegen diesen Glaubensprotz aus.»Gegesegnete Mahlzeit!«sagt er.»Ich muß noch zu meinen anderen Pfarrkindern.«
Niemand antwortet auf das Wort»andere«. Er rauscht ab.»Haben Sie schon beobachtet, daß Priester und Generäle meistens steinalt werden?«frage ich Wernicke.
»Der Zahn des Zweifels und der Sorge nagt nicht an ihnen. Sie sind viel in frischer Luft, sind auf Lebenszeit angestellt und brauchen nicht zu denken. Der eine hat den Katechismus, der andere das Exerzierreglement. Außerdem genießen beide größtes Ansehen. Der eine ist hoffähig bei Gott, der andere beim Kaiser.«
Wernicke zündet sich eine Zigarette an.»Haben Sie auch bemerkt, wie vorteilhaft der Vikar kämpft?«frage ich.
»Wir müssen seinen Glauben respektieren – er unsern Unglauben nicht.«
Wernicke bläst den Rauch in meine Richtung.»Er macht Sie ärgerlich – Sie ihn nicht.«
»Das ist es!«sage ich.»Das macht mich ja so ärgerlich!«
»Er weiß es. Das macht ihn so sicher.«
Ich schenke mir den Rest des Weines ein. Kaum anderthalb Glas – das andere hat der Streiter Gottes getrunken – einen Forster Jesuitengarten 1915 – Wein, den man nur abends mit einer Frau trinken sollte.»Und Sie?«frage ich.
»Mich geht das alles nichts an«, sagt Wernicke.»Ich bin eine Art Verkehrspolizist des Seelenlebens. Ich versuche es an dieser Kreuzung hier etwas zu dirigieren – aber ich bin nicht für den Verkehr verantwortlich.«