Renée stößt einen Sopranschrei aus und sieht Willy ungläubig an. Dann öffnet sie das Kästchen. Ein goldener Ring mit einem Amethyst funkelt ihr entgegen. Sie schiebt ihn auf ihren linken Mittelfinger, starrt ihn entzückt an und wirft dann ihre Arme um Willy. Willy steht sehr stolz da und lächelt. Er hört sich das Trillern und die Baßstimme an; Renée verwechselt sie in der Aufregung alle Augenblicke.»Willy!«zirpt und donnert sie.»Ich bin ja so glücklich!«
Gerda kommt im Bademantel aus der Garderobe. Sie hat das Geschrei gehört und will sehen, was los ist.
»Macht euch fertig, Kinder«, sagt Willy.»Wir wollen hier raus.«
Die beiden Mädchen verschwinden.»Hättest du Kaffer Renée den Ring nicht später geben können, wenn ihr allein seid?«frage ich.»Was mache ich jetzt mit Gerda?«
Willy bricht in ein gutmütiges Gelächter aus.»Verdammt, daran habe ich nicht gedacht! Was machen wir da wirklich? Kommt mit uns essen.«
»Damit wir alle vier dauernd auf Renées Amethyst starren müssen? Ausgeschlossen.«
»Hör zu«, erwidert Willy.»Die Sache mit Renée und mir ist anders als deine mit Gerda. Ich bin seriös. Glaube es oder nicht: Ich bin verrückt nach Renée. Seriös verrückt. Sie ist eine Prachtsnummer!«
Wir setzen uns in zwei alte Rohrstühle an der Wand. Die weißen Spitze üben jetzt, auf den Vorderpfoten zu gehen.
»Stell dir vor«, erklärt Willy.»Was mich verrückt macht, ist die Stimme. Nachts ist das eine tolle Sache. Als ob du zwei verschiedene Frauen hast. Einmal eine zarte und gleich darauf ein Fischweib. Es geht sogar noch weiter. Wenn es dunkel ist und sie auf einmal mit der Kommandostimme loslegt, läuft es mir kalt über den Rücken. Es ist verdammt sonderbar! Ich bin doch nicht schwul, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich schände einen General oder dieses Aas, den Unteroffizier Flümer, der dich ja auch gefoltert hat in unserer Rekrutenzeit – es ist nur so ein Augenblick, dann ist alles wieder in Ordnung, aber – du verstehst, was ich meine?«
»So ungefähr.«
»Schön, also sie hat mich erwischt. Ich möchte, daß sie hierbleibt. Werde ihr eine kleine Wohnung einrichten.«
»Glaubst du, daß sie ihren Beruf aufgeben wird?«
»Braucht sie nicht. Ab und zu kann sie ein Engagement annehmen. Dann gehe ich mit. Mein Beruf ist ja beweglich.«
»Weshalb heiratest du sie nicht? Du hast doch Geld genug.«
»Heiraten ist etwas anderes«, erklärt Willy.»Wie kannst du eine Frau heiraten, die jeden Augenblick fähig ist, dich wie ein General anzubrüllen? Man erschrickt doch immer wieder, wenn es unvermutet passiert, das liegt uns so im Blut. Nun, heiraten werde ich mal eine kleine, ruhige Dicke, die erstklassig kochen kann. Renée, mein Junge, ist die typische Mätresse.«
Ich staune den Weltmann an. Er lächelt überlegen. Das Brevier für gute Manieren ist für ihn überflüssig. Ich verzichte auf Spott. Spott wird dünn, wenn jemand Amethystringe verschenken kann. Die Ringerinnen erheben sich lässig und machen ein paar Griffe. Willy sieht interessiert zu.»Kapitale Weiber«, flüstert er, wie ein aktiver Oberleutnant vor dem Kriege.
»Was fällt Ihnen ein? Augen rechts! Stillgestanden!«brüllt eine markige Stimme hinter uns.
Willy fährt zusammen. Es ist Renée, die ringgeschmückt hinter ihm lächelt.»Siehst du jetzt, was ich meine?«fragt Willy mich.
Ich sehe es. Die beiden ziehen ab. Draußen wartet Willys Auto, das rote Kabriolett mit den roten Ledersitzen. Ich bin froh, daß Gerda länger braucht, um sich anzuziehen. Sie sieht so wenigstens das Kabriolett nicht. Ich überlege, was ich ihr heute bieten könnte. Das einzige, was ich außer dem Brevier für Weltleute habe, sind die Eßmarken Eduard Knoblochs, und die sind leider abends nicht gültig. Ich beschließe, es trotzdem mit ihnen zu versuchen, indem ich Eduard vorlüge, es seien die beiden letzten.
Gerda kommt.»Weißt du, was ich möchte, Schatz?«sagt sie, bevor ich den Mund öffnen kann.»Laß uns etwas ins Grüne fahren. Mit der Straßenbahn hinaus. Ich möchte Spazierengehen.«
Ich starre sie an und traue meinen Ohren nicht. Ins Grüne spazieren – genau das war es, was Erna, die Schlange, mir in vergifteten Worten vorgeworfen hat. Sollte sie Gerda etwas erzählt haben? Zuzutrauen wäre es ihr.
»Ich dachte, wir könnten zur „Walhalla“ gehen«, sage ich vorsichtig und mißtrauisch.»Man ißt dort großartig.«
Gerda winkt ab.»Wozu? Es ist viel zu schön dazu. Ich habe heute nachmittag etwas Kartoffelsalat gemacht. Hier!«Sie hält ein Paket hoch.»Den essen wir draußen und kaufen uns Würstchen und Bier dazu. Recht?«
Ich nicke stumm, argwöhnischer als vorher. Ernas Vorwurf mit dem billigen Wein ohne Jahrgang ist noch unvergessen.»Ich muß ja um neun schon zurück in die ekelhafte Stinkbude, die Rote Mühle«, erklärt Gerda.
Ekelhafte Stinkbude? Ich starre sie wieder an. Aber ihre Augen sind klar und unschuldig, ohne jede Ironie. Und plötzlich begreife ich! Ernas Paradies ist für Gerda nichts anderes als eine Arbeitsstätte! Sie haßt die Bude, die Erna liebt! Gerettet, denke ich. Gottlob! Die Rote Mühle mit ihren Wahnsinnspreisen versinkt, wie Gaston Münch als Geist Hamlets im Stadttheater, jäh in der Versenkung. Köstlich stille Tage mit belegten Butterbroten und selbstgemachtem Kartoffelsalat tauchen vor mir auf! Das einfache Leben! Die irdische Liebe! Der Friede der Seele! Endlich! Sauerkraut meinetwegen, aber Sauerkraut kann auch etwas Herrliches sein! Mit Ananas zum Beispiel, in Champagner gekocht. Ich habe es zwar noch nie so gegessen, aber Eduard Knobloch behauptet, es sei ein Gericht für regierende Könige und Poeten.
»Gut, Gerda«, sage ich gemessen.»Wenn du es absolut willst, gehen wir im Wald spazieren.«
VIII
Das Dorf Wüstringen prangt im Flaggenschmuck. Wir sind alle versammelt – Georg und Heinrich Kroll, Kurt Bach und ich. Das Kriegerdenkmal wird eingeweiht, das wir geliefert haben.
Die Pfarrer beider Bekenntnisse haben morgens in der Kirche zelebriert; jeder für seine Toten. Der katholische Pfarrer hat den Vorteil dabei gehabt; seine Kirche ist größer, sie ist bunt bemalt, hat bunte Fenster, Weihrauch, brokatene Meßgewänder und weiß und rot gekleidete Meßdiener. Der Protestant hat nur eine Kapelle, nüchterne Wände, einfache Fenster, und jetzt steht er neben dem katholischen Gottesmann wie ein armer Verwandter. Der Katholik ist geschmückt mit Spitzenüberwürfen und umringt von seinen Chorknaben; der andere hat einen schwarzen Rock an, und das ist seine ganze Pracht. Als Reklamefachmann muß ich zugeben, daß der Katholizismus Luther in diesen Dingen weit überlegen ist. Er wendet sich an die Phantasie und nicht an den Intellekt. Seine Priester sind angezogen wie die Zauberdoktoren bei den Eingeborenenstämmen; und ein katholischer Gottesdienst mit seinen Farben, seiner Stimmung, seinem Weihrauch, seinen dekorativen Gebräuchen ist als Aufmachung unschlagbar. Der Protestant fühlt das; er ist dünn und trägt eine Brille. Der Katholik ist rotwangig, voll und hat schönes, weißes Haar.
Jeder von beiden hat für seine Toten getan, was er konnte. Leider sind unter den Gefallenen auch zwei Juden, die Söhne des Viehhändlers Levi. Für sie ist kein geistlicher Trost vorhanden. Gegen die Zuziehung des Rabbis haben beide gegnerischen Gottesmänner ihre Stimmen vereint – zusammen mit dem Vorsitzenden des Kriegervereins, Major a. D. Wolkenstein, einem Antisemiten, der fest davon überzeugt ist, daß der Krieg nur durch die Juden verloren wurde. Fragt man ihn warum, dann bezeichnet er einen sofort als Volksverräter. Er war sogar dagegen, daß die Namen der beiden Levis auf die Gedenktafel eingraviert würden. Er behauptet, sie seien bestimmt weit hinter der Front gefallen. Zum Schluß wurde er jedoch überstimmt. Der Gemeindevorsteher hatte seinen Einfluß geltend gemacht. Sein Sohn war 1918 im Reservelazarett Werdenbrück an Grippe gestorben, ohne je im Felde gewesen zu sein. Er wollte ihn auch als Helden auf der Gedenktafel haben und erklärte deshalb, Tod sei Tod und Soldat Soldat – und so bekamen die Levis die untersten zwei Plätze auf der Rückseite des Denkmals, da, wo die Hunde es wahrscheinlich anpissen werden.