Er verschwindet.»So wird es mit allen sein«, sagt Georg finster.
Wir warten. Draußen sehen wir Wolkenstein vorbeigehen. Er ist nicht mehr in Uniform und trägt einen braunen Koffer.»Wohin geht er?«frage ich.
»Zum Bahnhof. Er wohnt nicht mehr in Wüstringen. Ist nach Werdenbrück verzogen, als Kreisvorsitzender der Kriegerverbände. Kam nur zur Einweihung hierher. Im Koffer ist seine Uniform.«
Kurt Bach erscheint mit seinem Mädchen. Sie haben Blumen mitgebracht. Das Mädchen ist untröstlich, als es hört, was vorgefallen ist.»Dann wird sicher der Ball abgesagt.«
»Ich glaube nicht«, sage ich.
»Doch, sicher. Wenn ein Toter über der Erde steht. So ein Unglück!«
Georg steht auf.»Komm«, sagt er zu mir.»Es hilft nichts. Wir müssen noch einmal zu Döbbeling.«
Das Dorf ist plötzlich still. Die Sonne steht schräg hinter dem Kriegerdenkmal. Der marmorne Löwe Kurt Bachs leuchtet. Döbbeling ist jetzt nichts mehr als Amtsperson.
»Sie wollen doch nicht im Angesicht des Todes wieder von Geld reden?«erklärt er sofort.
»Doch«, sagt Georg.»Das ist unser Beruf. Wir sind immer im Angesicht des Todes.«
»Sie müssen sich gedulden. Ich habe jetzt keine Zeit. Sie wissen ja, was passiert ist.«
»Das wissen wir. Wir haben auch inzwischen den Rest erfahren. Sie können uns als Zeugen buchen, Herr Döbbeling. Wir bleiben hier, bis wir das Geld bekommen, stehen also der Kriminalpolizei gerne morgen früh zur Verfügung.«
»Zeugen? Was für Zeugen? Sie waren ja gar nicht dabei.«
»Das lassen Sie unsere Sache sein. Sie müssen doch daran interessiert sein, alles festzustellen, was mit dem Totschlag an dem Tischler zu tun hat. An dem Totschlag und der Anstiftung dazu.«
Döbbeling starrt Georg lange an. Dann sagt er langsam:
»Soll das eine Erpressung sein?«
Georg steht auf.»Wollen Sie mir einmal genau erklären, was Sie damit meinen?«
Döbbeling erwidert nichts. Er sieht Georg weiter an. Georg hält den Blick aus. Dann geht Döbbeling zu einem Geldschrank, öffnet ihn und legt einige Packen Geldscheine auf den Tisch.»Zählen Sie nach und quittieren Sie.«
Das Geld liegt zwischen den leeren Schnapsgläsern und den Kaffeetassen auf dem rotkarierten Tischtuch. Georg zählt es nach und schreibt die Quittung. Ich blicke zum Fenster hinaus. Die gelben und grünen Felder schimmern immer noch; aber sie sind nicht mehr die Harmonie des Daseins; sie sind weniger und mehr.
Döbbeling nimmt die Quittung Georgs entgegen.»Sie sind sich wohl darüber klar, daß Sie auf unserem Friedhof keinen Grabstein mehr aufstellen werden«, sagt er.
Georg schüttelt den Kopf.»Da irren Sie sich. Wir werden sogar bald einen aufstellen. Für den Tischler Beste. Gratis. Und das hat nichts mit Politik zu tun. Sollten Sie beschließen, den Namen Bestes mit auf das Kriegerdenkmal zu setzen, so sind wir ebenfalls bereit, das umsonst auszuführen.«
»Dazu wird es wohl nicht kommen.«
»Das dachte ich mir.«
Wir gehen zum Bahnhof.»Der Kerl hatte also das Geld da«, sage ich.
»Natürlich. Ich wußte, daß er es hatte. Er hat es schon seit acht Wochen und hat damit spekuliert. Hat glänzend daran verdient. Wollte noch einige Hunderttausende mehr damit machen. Wir hätten es auch nächste Woche nicht gekriegt.«
Am Bahnhof erwarten uns Heinrich Kroll und Kurt Bach.
»Habt ihr das Geld?«fragt Heinrich.
»Ja.«
»Dachte ich mir. Sind hochanständige Leute hier. Zuverlässig.«
»Ja. Zuverlässig.«
»Der Ball ist abgesagt«, erklärt Kurt Bach, der Sohn der Natur.
Heinrich zieht seine Krawatte zurecht.»Der Tischler hatte sich das selbst zuzuschreiben. Es war eine unerhörte Herausforderung.«
»Was? Daß er die offizielle Landesflagge heraushängte?«
»Es war eine Herausforderung. Er wußte, wie die andern denken. Er mußte damit rechnen, daß er Krach kriegte. Das ist doch logisch.«
»Ja, Heinrich, es ist logisch«, sagt Georg.»Und nun tu mir den Gefallen und halte deine logische Schnauze.«
Heinrich Kroll steht beleidigt auf. Er will etwas sagen, läßt es aber, als er Georgs Gesicht sieht. Umständlich bürstet er sich mit den Händen den Staub von seinem Marengojackett ab. Dann erspäht er Wolkenstein, der auch auf den Zug wartet. Der Major a. D. sitzt auf einer abgelegenen Bank und möchte am liebsten schon in Werdenbrück sein. Er ist nicht erfreut, als Heinrich auf ihn zutritt. Aber Heinrich läßt sich neben ihm nieder.
»Was wird aus der Sache werden?«frage ich Georg.
»Nichts. Keiner der Täter wird gefunden werden.«
»Und Wolkenstein?«
»Dem passiert auch nichts. Nur der Tischler würde bestraft werden, wenn er noch lebte. Nicht die anderen. Politischer Mord, wenn er von rechts begangen wird, ist ehrenwert und hat alle mildernden Umstände. Wir haben eine Republik; aber wir haben die Richter, die Beamten und die Offiziere der alten Zeit intakt übernommen. Was ist da zu erwarten?«
Wir starren in das Abendrot. Der Zug pufft schwarz und verloren heran wie eine Begräbniskutsche. Sonderbar, denke ich, wir alle haben doch so viele Tote im Kriege gesehen, und wir wissen, daß über zwei Millionen von uns nutzlos gefallen sind – warum sind wir da so erregt wegen eines einzelnen, und die zwei Millionen haben wir schon fast vergessen? Aber das ist wohl so, weil ein einzelner immer der Tod ist – und zwei Millionen immer nur eine Statistik.
IX
Ein Mausoleum!«sagt Frau Niebuhr.»Ein Mausoleum und nichts anderes!«
»Gut«, erwidere ich.»Also ein Mausoleum.«
Die kleine, verschüchterte Frau hat sich in der kurzen Zeit, seit Niebuhr tot ist, stark verändert. Sie ist scharf, redselig und zänkisch geworden und eigentlich bereits eine ziemliche Pest.
Ich verhandle seit zwei Wochen mit ihr über ein Denkmal für den Bäcker und denke jeden Tag milder über den Verstorbenen. Manche Menschen sind gut und brav, solange es ihnen schlecht geht, und sie werden unausstehlich, wenn sie es besser haben, besonders in unserm geliebten Vaterlande; die unterwürfigsten und schüchternsten Rekruten wurden da später oft die wüstesten Unteroffiziere.
»Sie haben ja keine zur Ansicht«, sagt Frau Niebuhr spitz.
»Mausoleen«, erkläre ich,»gibt es nicht zur Ansicht. Die werden nach Maß angefertigt wie die Ballkleider von Königinnen. Wir haben ein paar Zeichnungen dafür da und müssen vielleicht sogar eine Extrazeichnung für Sie entwerfen.«
»Natürlich! Es muß etwas ganz Besonderes sein. Sonst gehe ich zu Hollmann und Klotz.«
»Ich hoffe, Sie sind schon dort gewesen. Wir haben es gern, wenn unsere Kunden sich bei der Konkurrenz informieren. Bei einem Mausoleum kommt es ja nur auf die Qualität an.«
Ich weiß, daß sie dort gewesen ist. Der Reisende von Hollmann und Klotz, Tränen-Oskar, hat es mir erzählt. Wir haben ihn kürzlich getroffen und versucht, ihn zum Verräter zu machen. Er schwankt noch, aber wir haben ihm höhere Prozente angeboten als Hollmann und Klotz, und um sich während der Bedenkzeit freundlich zu erweisen, arbeitet er einstweilen für uns als Spion.»Zeigen Sie mir Ihre Zeichnungen!«befiehlt Frau Niebuhr wie eine Herzogin.
Wir haben keine, aber ich hole ein paar Kriegerdenkmalsentwürfe hervor. Sie sind effektvoll, einundeinhalb Meter hoch, mit Kohle und bunter Kreide gezeichnet und mit stimmungsvollem Hintergrund geschmückt.
»Ein Löwe«, sagt Frau Niebuhr.»Er war wie ein Löwe! Aber wie ein springender, nicht wie ein sterbender. Es müßte ein springender Löwe sein.«
»Wie wäre es mit einem springenden Pferd?«frage ich.»Unser Bildhauer hat darin vor einigen Jahren den Wanderpreis von Berlin-Teplitz gewonnen.«
Sie schüttelt den Kopf.»Ein Adler«, sagt sie nachdenklich.
»Ein wirkliches Mausoleum sollte eine Art Kapelle sein«, erkläre ich.»Bunte Scheiben wie eine Kirche, ein Marmorsarkophag mit einem bronzenen Lorbeerkranz, eine Marmorbank zum Ausruhen und zum stillen Gebet für Sie, rundherum Blumen, Zypressen, Kieswege, ein Vogelbad für unsere gefiederten Sänger, eine Grabeinfassung von niedrigen Granitsäulen und Bronzeketten, eine schwere Eisentür mit dem Monogramm, dem Familienwappen oder dem Wahrzeichen der Bäckerinnung -«