»Ich habe auf dich gewartet, Stu. Hast du eine Minute Zeit?«
»Aber nur eine. Ich komme zu spät zum Abendessen. Frannie wird sich Sorgen machen.«
»Ja. Warst wieder im Kraftwerk und hast Kupfer gewickelt, wie deine Hände aussehen?« Ralph sah zerstreut und besorgt aus.
»Ja. Da helfen nicht einmal Arbeitshandschuhe. Meine Hände sind kaputt.«
Ralph nickte. Im Park waren vielleicht noch ein halbes Dutzend andere Leute; einige sahen sich die Schmalspureisenbahn an, die früher zwischen Boulder und Denver gefahren war. Ein Trio junger Frauen hatte ein Picknick gerichtet. Stu fand es sehr angenehm, einfach mit den zerschundenen Händen im Schoß hier zu sitzen. Vielleicht ist es doch nicht so schlimm, Marshal zu sein, dachte er. Wenigstens brauche ich dann nicht mehr an dem verdammten Fließband zu stehen.
»Wie läuft es da draußen?« fragte Ralph.
»Das kann ich dir nicht sagen - ich bin nur Hilfsarbeiter, wie alle anderen. Brad Kitchner sagt, es wird losgehen wie ein brennendes Haus. Er sagt, Ende der ersten Septemberwoche sind die Lichter wieder an, möglicherweise früher, Mitte des Monats haben wir wieder Heizung. Er ist natürlich ziemlich jung und seine Vorhersagen vielleicht nicht...«
»Ich würde mein Geld auf Brad setzen«, sagte Ralph. »Ich vertraue ihm. Er hat jede Menge Praxisausbildung bekommen.« Ralph versuchte zu lachen; aber das Lachen wurde zu einem Seufzer, der von den Schuhsohlen des großen Mannes heraufzukommen schien.
»Warum bist du so niedergeschlagen, Ralph?«
»Ich habe Neuigkeiten über Funk bekommen«, sagte Ralph.
»Manche sind gut, manche sind... nun, manche sind nicht so gut, Stu. Ich möchte, daß du es weißt, weil man es nicht geheimhalten kann. Viele Leute in der Zone haben CB. Ich denke mir, sie haben zugehört, als ich mit den Neuen gesprochen habe, die unterwegs sind.«
»Wie viele?«
»Über vierzig. Einer ist Arzt und heißt George Richardson. Klingt nach einem guten Mann. Auf dem Boden der Tatsachen.«
»Das ist ja eine gute Nachricht!«
»Er stammt aus Derbyshire, Tennessee. Die meisten Leute in seiner Gruppe kommen aus dem Süden. Sie hatten eine schwangere Frau bei sich, die vor zehn Tagen niedergekommen ist, am dreizehnten. Der Arzt hat sie entbunden - es waren Zwillinge -, und die Kinder waren gesund. Zuerst waren sie gesund.« Ralph verfiel wieder in sein Schweigen, seine Kiefer mahlten.
Stu packte ihn an den Schultern. »Sind sie gestorben? Sind die Babys gestorben? Willst du mir das sagen? Daß sie gestorben sind?Sprich, verdammt noch mal!«
»Sie sind gestorben«, sagte Ralph mit leiser Stimme. »Eins nach zwölf Stunden. Einfach erstickt. Das andere starb zwei Tage später. Richardson konnte sie nicht retten. Die Frau wurde verrückt. Sie schrie von Tod und Vernichtung und keine Kinder mehr. Du solltest darauf achten, daß Frannie nicht dabei ist, wenn sie ankommen, Stu. Das wollte ich dir nur sagen. Und du solltest sie es gleich wissen lassen. Denn wenn du es nicht machst, macht es ein anderer.«
Stu ließ langsam Ralphs Hemd los.
»Dieser Richardson wollte wissen, wie viele schwangere Frauen wir haben, und ich sagte, unseres Wissens nur eine. Er wollte wissen, in welchem Monat sie sei, und ich sagte im vierten. Stimmt das?«
»Sie ist im fünften Monat. Aber Ralph, ist er sicher, daß die Babys an der Supergrippe gestorben sind. Ist er sicher?«
»Nein, ist er nicht, und das mußt du Frannie auch sagen, damit sie es weiß. Er sagt, es hätte alles mögliche sein können... was die Mutter gegessen hat... etwas Erbliches... eine Infektion der Atemwege... oder vielleicht waren es einfach, du weißt schon, lebensunfähige Babys. Er sagte, es könnte der Rhesus-Faktor gewesen sein, was immer das ist. Er wußte es einfach nicht, schließlich wurden sie auf einem Acker neben der verdammten Interstate 70 geboren. Er sagte, daß er und drei andere, die die Gruppe leiteten, bis spät in die Nacht zusammen gesessen und den Vorfall diskutiert hätten. Richardson hat den anderen erklärt, was es bedeutet, wennCaptain Trips die Babys getötet hat, und wie wichtig es wäre, das eindeutig festzustellen.«
»Glen und ich haben uns darüber unterhalten«, sagte Stu tonlos.
»An dem Tag, als wir uns kennengelernt haben. Wenn wirklich die Supergrippe die Babys umgebracht hat, bedeutet das wahrscheinlich, wir können in vierzig oder fünfzig Jahren die ganze Meschpoke den Ratten und Stubenfliegen und Spatzen überlassen.«
»Ich glaube, das ist so ziemlich das, was Richardson ihnen gesagt hat. Jedenfalls waren sie zu der Zeit etwa vierzig Meilen westlich von Chicago, und er überredete sie, am nächsten Tag zurückzufahren, um die Leichen in ein großes Krankenhaus zu bringen, wo er eine Autopsie machen konnte. Er sagte, dann würde er genau wissen, ob es die Supergrippe war. Die hat er ja Ende Juni zur Genüge erlebt. Wie alle anderen Ärzte wahrscheinlich auch.«
»Ja.«
»Aber am nächsten Morgen waren die Babys verschwunden. Diese Frau hatte sie beerdigt, wollte aber nicht sagen wo. Sie haben zwei Tage gegraben, weil sie glaubten, so kurz nach der Niederkunft hätte die Frau sie weder sehr weit entfernt noch sehr tief vergraben können. Aber sie fanden sie nicht, und obwohl sie der Frau immer wieder beteuerten, wie wichtig es sei, hat sie die Stelle nicht verraten. Die arme Frau war vollkommen außer sich.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte Stu und dachte daran, wie sehr Fran sich ihr Baby wünschte.
»Der Doktor sagte, auch wenn die Babys an der Supergrippe gestorben sind, könnten zwei immune Leute möglicherweise ein immunes Kind zeugen«, sagte Ralph hoffnungsvoll.
»Die Chancen, daß der leibliche Vater von Frans Baby immun war, stehen etwa eins zu einer Milliarde«, sagte Stu. »Jedenfalls ist er nicht hier.«
»Ja, das ist kaum möglich, was? Tut mir leid, daß ich dir das sagen mußte, Stu. Aber ich fand, du mußt es wissen. Damit du sie darauf vorbereiten kannst.«
»Darauf freue ich mich wirklich nicht«, sagte Stu. Aber als er nach Hause kam, mußte er erfahren, daß ihm schon jemand zuvorgekommen war.
»Frannie?«
Keine Antwort. Das Essen stand auf dem Kocher - das meiste davon angebrannt -, aber die Wohnung war dunkel und still. Stu ging ins Wohnzimmer und sah sich um. Auf dem Tisch stand ein Aschenbecher mit zwei Zigarettenkippen, aber Fran rauchte nicht, und seine Marke war es nicht.
»Baby?«
Er ging ins Schlafzimmer, und da fand er sie; sie lag im Halbdunkel auf dem Bett und starrte zur Decke hinauf. Ihr Gesicht war verquollen und tränenfeucht. »Hi, Stu«, sagte sie leise.
»Wer hat es dir gesagt?« fragte er wütend. »Wer konnte es nicht abwarten, die gute Nachricht zu verbreiten? Wer immer es war, ich breche ihm den verdammten Arm.«
»Es war Sue Stern. Sie weiß es von Jack Jackson. Er hat ein CB und konnte mithören, als Ralph mit dem Arzt gesprochen hat. Sie wollte es mir sagen, bevor jemand anders ungeschickt damit herausplatzt. Arme kleine Frannie. Vorsicht, zerbrechlich. Erst zu Weihnachten öffnen!« Sie lachte kurz. Es klang so verzweifelt, dass Stu zum Weinen zumute war.
Er ging durch das Zimmer, legte sich neben sie auf das Bett und strich ihr das Haar aus der Stirn. »Liebes, es ist nicht sicher. Es ist überhaupt nicht sicher.«
»Das weiß ich. Und vielleicht können wir trotzdem eigene Kinder haben.« Sie sah ihn mit blutunterlaufenen, unglücklichen Augen an.
»Aber ich will dieses Kind. Ist das so schlimm?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Ich habe die ganze Zeit gelegen und darauf gewartet, daß er sich bewegt. Er hat sich nicht mehr bewegt, seit Larry hier war und nach Harold gefragt hat. Weißt du noch?«
»Ja.«
»Ich habe gespürt, wie sich das Baby bewegte, und wollte dich nicht wecken. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan.« Sie fing wieder an zu weinen und hielt einen Arm übers Gesicht, damit er es nicht sah.
Stu nahm den Arm weg, streckte sich neben ihr aus, küßte sie. Sie umarmte ihn wild und lag dann reglos neben ihm. Als sie sprach, klangen die Worte gedämpft an seinem Hals.