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»Siehste, Scheiß-A«, sagte er. »Welches Zimmer? Entscheide dich, Mülli.«

Mülleimer entschied sich für das Zimmer rechts und durfte eine Weile alleine bleiben. Kid war weggegangen. Mülleimer überlegte, ob er ganz einfach in der Dämmerung verschwinden sollte, bevor etwas Schlimmes passierte - er versuchte, diese Möglichkeit gegen das durchaus real existente Fehlen eines jeglichen Transportmittels abzuwägen -, als Kid zurückkam. Mülleimermann stellte erschrocken fest, daß er einen Einkaufswagen schob, der voll beladen mit Sechserpacks Coors-Bier war. Die Puppenaugen waren jetzt blutunterlaufen und von roten Ringen umgeben. Die Pompadourfrisur zerfiel wie eine kaputte, ausgeleierte Uhrfeder, fettige Haarsträhnen hingen Kid über Ohren und Wangen, so daß er wie ein gefährlicher (wenngleich widersinniger) Höhlenmensch aussah, der eine von einem Zeitreisenden vergessene Lederjacke gefunden und angezogen hatte. Die Hasenpfoten am Gürtel der Jacke baumelten hin und her.

»Es ist warm«, sagte Kid, »aber wen schert das schon, hab' ich recht?«

»Vollkommen recht«, sagte der Mülleimermann.

»Nimm 'n Bier, Arschloch«, sagte Kid und warf ihm eine Dose zu. Als Mülleimer den Ring abzog, bekam er eine Gesichtvoll Schaum ab, und Kid wurde von einem seltsam verhaltenen Lachen geschüttelt und hielt sich den flachen Bauch mit beiden Händen. Müll lächelte ergeben. Er beschloß, später in der Nacht, wenn dieses kleine Monster eingeschlafen war, einfach weiterzuziehen. Er hatte genug. Und was Kid über den dunklen Priester gesagt hatte... Mülleimermanns Angst war so groß, daß er sie nicht einmal ausdrücken konnte. So etwas zu sagen, und sei es im Scherz, war etwa so, als würde man in der Kirche auf den Altar scheißen oder bei einem Gewitter das Gesicht himmelwärts heben und den Blitz auffordern, einen zu treffen.

Das Schlimmste war aber, er glaubte nicht, daß Kid gescherzt hatte. Mülleimermann hatte nicht die Absicht, mit diesem irren Zwerg, der den ganzen Tag trank (und höchstwahrscheinlich auch die ganze Nacht) und davon sprach, den dunklen Mann zu stürzen und seine Stelle einzunehmen, in die Berge und durch sämtliche Haarnadelkurven zu fahren.

Derweil hatte Kid zwei Bier in zwei Minuten gekippt, die Dosen zusammengedrückt und gleichgültig auf eines der Doppelbetten des Zimmers geworfen. Er hielt eine frische Dose Coors in der linken und den 45er, mit dem er die Verbindungstür aufgeschossen hatte, in der rechten Hand und starrte verdrossen den RCA Chromacolor an.

»Kein Scheißstrom, also auch kein Scheißfernsehen«, sagte er. Je betrunkener er wurde, um so deutlicher wurde sein Südstaatenakzent und machte die Worte pelzig. »Wie mir das stinkt. Freut mich, daß sämtliche Arschlöcher abgenibbelt sind, aber Himmelarschundzwirn, wo ist HBO? Wo sind die elenden Sportsendungen? Wo ist der Playboy Channel? Der war gut, Mülli. Ich meine, die haben nie Typen gezeigt, die Muschis geleckt, haarige Pflaumen vernascht haben, du weißt schon, was ich meine, aber ein paar Damen dort hatten Beine bis rauf zum Kinn, ist dir klar, was ich sage?«

»Klar«, sagte Mülleimer.

»Bist 'n Scheiß-A. Brauchst du mir nicht zu sagen, ich sag's dir.«

Kid starrte den Fernseher an. »Taube Fotze«, sagte er und schoss auf den Fernseher. Die Bildröhre implodierte mit einem lauten, hohlen Plopp. Glas wurde auf den Teppichboden gerülpst. Mülleimermann hob die Arme, um das Gesicht zu schützen, dabei blubberte Bier auf den grünen Nylonteppich.

»Sieh dir das an, Dummkopf!« rief Kid. Sein Ton war zutiefst erbost. Plötzlich war der Fünfundvierziger auf Müll gerichtet, und die Mündung war so groß und dunkel wie der Schornstein eines Ozeanriesen. Mülleimer spürte, wie sein Unterleib taub wurde. Es war möglich, daß er sich vollpißte, aber er war nicht sicher.

»Dafür mach' ich 'n Sieb aus deiner Denkmaschine«, sagte Kid.

»Man verschüttet kein Bier. Beiner annern Marke würdichs nich machn, aber du hast Coors verschüttet. Ich wurde Coors pissen, wenn ich könnte, glaubst die Heißescheiße?«

»Klar«, flüsterte Mülleimer.

»Und glaubst du, sie brauen heutzutage noch Coors, Müll? Scheint das besonders wahrscheinlich?«

»Nein«, flüsterte Mülleimer. »Wohl nicht.«

»Stimmt auffallend. Eine vom Aussterben 'drohte Rasse.« Er hob den Revolver etwas. Mülleimer dachte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Dann senkte Kid die Waffe wieder... etwas. Sein Gesicht hatte einen vollkommen leeren Ausdruck. Mülleimer vermutete, dieser Ausdruck deutete angestrengtes Nachdenken an.

»Ich sag' dir was, Müll. Du holst dir noch 'ne Dose und kippst sie ex. Wenn du das ganze Ding ex kippen kannst, schick ich dich nicht zur Cadillac Ranch. Glaubste die Heißescheiße?«

»Was ist... was ist >ex kippen<?«

»Allmächtiger, du bist dumm wie Schifferscheiße! Die ganze Dose saufen, ohne abzusetzen, das ist ex kippen! Wo bisten die ganze Zeit gewesen, in Afrika, wo der Pfeffer wächst? Solltest dir Mühe geben, Mülli. Wenn ich dir eine reinballern muß, geht sie mitten ins rechte Auge. Die Knarre hier ist mit Dumdums geladen. Reißt dich auf bis hinten und macht ein Fressen für die Wanzen in dieser Absteige aus dir.« Er gestikulierte mit der Pistole und nahm kein blutunterlaufenes Auge von Müll. Er hatte einen Flecken Bierschaum auf der Oberlippe.

Mülleimer ging zum Karton, wählte ein Bier und zog den Ring ab.

»Los doch. Runter damit. Und wenn du's wieder auskotzt, biste wech vom Fensta.«

Mülleimermann hielt die Dose hoch. Bier schäumte heraus. Er trank verzweifelt, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab wie ein Affe auf der Stange. Als die Dose leer war, warf er sie zwischen die Beine, kämpfte einen scheinbar endlosen Kampf mit dem Erbrechen und gewann sein Leben mit einem langen, dröhnenden Rülpser zurück.

Kid warf den kleinen Kopf zurück und lachte vor Vergnügen. Müll schwankte auf den Füßen und grinste angewidert. Plötzlich war er nicht mehr nur ein wenig, sondern sehr betrunken.

Kid steckte die Waffe ins Halfter zurück.

»Okay. Nicht schlecht, Müllimann. Gar nicht übel.«

Kid trank weiter. Zerdrückte Dosen häuften sich auf dem Motelbett. Müll hielt eine Dose Coors zwischen den Knien und nippte jedesmal daran, wenn Kid ihn mißbilligend anzusehen schien. Kid murmelte unablässig vor sich hin, seine Stimme wurde immer lauter, der Südstaatenakzent immer ausgeprägter, während der Berg leerer Dosen wuchs. Er sprach von Orten, wo er gewesen war. Rennen, die er gewonnen hatte. Eine Ladung Stoff, die er mit einem Wäschelaster mit einem halben 44er-Motor unter der Haube über die mexikanische Grenze gebracht hatte. Schlimmes Zeug, sagte er. Jeder Stoff war schlimmes Zeug. Er selbst rührte das Zeug nie an, aber hallo, wenn man ein paar Ladungen davon geschmuggelt hatte, konnte man sich den Arsch mit goldenem Toilettenpapier abwischen. Schließlich döste er ein, die kleinen roten Augen blieben immer länger zu und kamen dann widerwillig wieder auf Halbmast.

»Ich krieg' ihn, Mülli«, murmelte Kid. »Ich geh' da raus, check es ab und leck' ihm den verwichsten Arsch, bis ich weiß, wie der Hase läuft. Aber keiner kommandiert Kid herum. Keine Sau. Nicht lange. Ich mach' kein' Kleinkram.

Wenn ich was mache, dann als Boss. Das ist mein Stil. Keinen Schimmer, wer er ist, woher er kommt oder wie er in unsere elenden Denkmaschinen senden kann, aber ich werd' ihn...« gewaltiges Gähnen »...ausser Stadt rausjagen. Bleib bei mir, Wühlmann oder wiede heißt.«

Er kippte langsam rückwärts aufs Bett. Die Bierdose, die er gerade erst aufgemacht hatte, fiel ihm aus der schlaffen Hand. Coors floss auf den Teppich. Der Kasten war leer, Müll rechnete aus, daß Kid allein einundzwanzig Dosen getrunken hatte. Mülleimer wußte nicht, wie so ein kleiner Kerl soviel Bier trinken konnte, aber er wußte, dass es Zeit war: Zeit zu verschwinden. Das wußteer, aber er fühlte sich betrunken und schwach und elend. Mehr als alles auf der Welt wollte er eine Weile schlafen. Das machte nichts, oder? Kid würde wahrscheinlich die ganze Nacht wie ein Toter schlafen, vielleicht sogar den halben Vormittag. Zeit genug, daß er selbst ein Nickerchen machen konnte.

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