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Ralph und Dick Ellis sahen einander an, schluckten und ließen das Schwein langsam am Flaschenzug herunter. Nachmittags um drei waren sie damit fertig, um vier erreichten sie mit einer Wagenladung Fleisch Abagails Haus und aßen frische Schweinekoteletts zum Abendessen. Die Männer aßen nicht viel, aber Abagail verzehrte allein zwei Koteletts und genoß es, wie die fette Kruste zwischen ihrem Gebiß knackte. Es gab nichts Schöneres als frisches Fleisch aus eigener Schlachtung.

Es war kurz nach neun Uhr. Gina schlief, und Tom Cullen war auf der Veranda in Mutter Abagails Schaukelstuhl eingenickt. Fern im Westen zuckte Wetterleuchten über den Himmel. Die anderen Erwachsenen hatten sich in der Küche versammelt, außer Nick, der einen Spaziergang machte. Abagail wußte, womit der Junge kämpfte, und ihr Herz war bei ihm.

»Sagen Sie, Sie sind doch nicht wirklich hundertacht, oder?« fragte Ralph, dem etwas einfiel, das Abby heute morgen gesagt hatte, bevor sie zu ihrer Schweinesafari aufgebrochen waren.

»Kleinen Moment mal«, sagte Abagail. »Ich will dir etwas zeigen, mein Lieber.« Sie ging ins Schlafzimmer und holte den eingerahmten Brief von Präsident Reagan aus der obersten Schublade der Kommode. Sie brachte ihn Ralph und legte ihn auf dessen Schoß.

»Lies das, Jungchen«, sagte sie stolz.

Ralph las ihn. »...Anlaß Ihres einhundertsten Geburtstages... eine von zweiundsiebzig erwiesenen Hundertjährigen in den Vereinigten Staaten von Amerika... fünftälteste amtlich erfaßte Republikanerin in den Vereinigten Staaten von Amerika... Grüße und Glückwünsche von Präsident Ronald Reagan, 14. Januar 1982.« Er sah sie mit großen Augen an. »Da soll doch die Schei...« Er verstummte und errötete verwirrt. »Verzeihung, Ma'am.«

»Was Sie alles gesehen haben müssen!« staunte Olivia.

»Das ist alles nichts verglichen mit dem, was ich im Lauf des vergangenen Monats gesehen habe.« Sie seufzte. »Oder was ich noch zu sehen erwarte.«

Die Tür ging auf, und Nick trat ein - die Unterhaltung verstummte, als hätten sie alle sich die Zeit vertrieben und nur auf ihn gewartet. Sie sah seinem Gesicht an, daß er sich entschieden hatte, und glaubte zu wissen, wie die Entscheidung ausgefallen war. Er gab ihr einen Zettel, den er bei Tom auf der Veranda geschrieben hatte. Sie hielt den Zettel auf Armlänge, um ihn zu lesen.

»Wir sollten morgen nach Boulder aufbrechen«, hatte Nick geschrieben.

Sie sah vom Zettel in Nicks Gesicht und nickte bedächtig. Sie gab den Zettel June Brinkmeyer, die ihn an Olivia weiterreichte. »Das denke ich auch«, sagte Abagail. »Ich will ebenso wenig wie ihr, aber wir müssen es tun. Wie bist du zu dem Entschluß gekommen?«

Er zuckte fast wütend die Achseln und deutet auf sie.

»So sei es«, sagte Abagail. »Ich vertraue dem Herrn.«

Nick dachte: Ich wünschte, ich könnte das auch.

Am nächsten Morgen, dem 26. Juli, brachen Dick und Ralph nach einer kurzen Besprechung mit Ralphs Wagen nach Columbus auf.

»Ich trenne mich ungern von dem Ding«, sagte Ralph. »Aber wenn es so ist, wie du sagst, Nick, okay.«

Nick schrieb: »Kommt so schnell wie möglich zurück.« Ralph lachte kurz auf und sah über den Hof. June und Olivia wuschen in einer großen Wanne, in der ein Waschbrett stand, einige Kleidungsstücke. Tom war im Mais und scheuchte Krähen auf - eine Beschäftigung, die er endlos unterhaltsam zu finden schien. Gina spielte mit Toms Corgi-Modellautos und der Tankstelle. Die alte Frau döste in ihrem Schaukelstuhl, döste und schnarchte.

»Du hast es ja furchtbar eilig, den Kopf in den Rachen des Löwen zu stecken, Nicky.«

Nick schrieb: »Hast du einen besseren Vorschlag?«

»Du hast recht. Es hat keinen Zweck, in der Gegend herumzuziehen. Dabei fühlt man sich wertlos. Ein Mensch fühlt sich eigentlich nur wohl, wenn er ein Ziel hat, ist dir das schon mal aufgefallen?«

Nick nickte.

»Okay.« Ralph schlug Nick auf die Schulter und wandte sich ab.

»Dick, können wir jetzt fahren?«

Tom Cullen kam aus dem Mais gerannt; Maisfäden hingen ihm an Hemd, Hose und den blonden Haaren. »Ich auch! Tom Cullen will auch mitfahren! Meine Güte, ja!«

»Dann komm«, sagte Ralph. »Sieh dir das an. Von oben bis unten und von Bug bis Heck voller Maisfäden. Und du hast immer noch keine Krähe gefangen. Laß dich abbürsten.«

Tom grinste dümmlich, während Ralph ihm Hemd und Hose abbürstete. Für Tom, überlegte Nick, mußten die letzten zwei Wochen die glücklichsten seines Lebens gewesen sein. Er war bei Leuten, die ihn akzeptierten und brauchten. Warum auch nicht? Er mochte schwachsinnig sein, aber er war in dieser neuen Welt eine ausgesprochene Seltenheit: ein lebendes menschliches Wesen.

»Tschüs, Nicky«, sagte Ralph und stieg hinter das Lenkrad des Chevy.

»Tschüs, Nicky«, wiederholte Tom Cullen noch grinsend. Nick sah dem Wagen nach, bis er nicht mehr zu sehen war, dann ging er in den Schuppen, wo er eine alte Kiste und einen Eimer Farbe fand. Er brach ein Seitenbrett der Kiste ab und nagelte ein langes Stück Zaunpfahl daran. Er trug Schild und Farbe auf den Hof und schrieb sorgfältig etwas darauf, während Gina ihm interessiert über die Schulter sah.

»Was heißt das?« fragte sie.

»Es heißt: >Wir sind nach Boulder, Colorado, gefahren. Wir benutzen Nebenstraßen, um Verkehrsstaus auszuweichen. Citizen Band, Kanal 14<«, las Olivia vor.

»Was soll das?« fragte June, die herüberkam. Sie nahm Gina auf den Arm, und sie sahen beide zu, wie Nick das Schild so aufstellte, daß es der Stelle zugewandt war, wo der Sandweg in Mutter Abagails Einfahrt überging. Er grub neunzig Zentimeter der Zaunlatte ein. Jetzt würde nur noch ein schwerer Sturm sie umwerfen. Selbstverständlich herrschtenin diesem Teil der Welt schwere Stürme; er dachte an den, der Tom und ihn fast fortgerissen hätte, und die Angst, die sie im Keller ausgestanden hatten. Er schrieb eine Notiz und gab sie June.

»Dick und Ralph sollen in Columbus unter anderem ein CB Funkgerät besorgen. Jemand muß die ganze Zeit Kanal 14 überwachen.«

»Oh«, sagte Olivia. »Schlau.«

Nick tippte sich feierlich an die Stirn und lächelte. Die beiden Frauen gingen weg, um ihre Wäsche aufzuhängen. Gina hinkte auf einem Bein zu ihren Spielzeugautos. Nick ging über den Hof, stieg die Stufen zur Veranda hoch und setzte sich neben die schlafende alte Frau. Er sah über das Maisfeld und fragte sich, was aus ihnen werden sollte.

Aber wenn es so ist, wie du sagst, Nick, okay.

Sie hatten ihn zum Anführer gemacht. Das hatten sie, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, warum. Man konnte von einem Taubstummen keine Befehle entgegennehmen; das war wie ein schlechter Witz. Dick hätte ihr Anführer sein müssen. Er selbst war nur ein Speerträger, der dritte von links, keine Streifen, den nur seine Mutter gelten ließ. Aber von dem Augenblick an, als sie Ralph Brentner getroffen hatten, der mit seinem alten Chevrolet die Straße entlangtuckerte, ohne zu wissen, wohin er fuhr, hatte es angefangen: Immer wenn jemand etwas sagte, sah er rasch Nick an, als ob er eine Bestätigung brauchte. Auf die Tage zwischen Shoyo und May, vor Tom und der Verantwortung, hatte sich jetzt schon ein Nebel von Nostalgie gelegt. Es war leicht, die Einsamkeit zu vergessen und die Angst, die ständigen entsetzlichen Träume könnten bedeuten, daß er den Verstand verlor. Und leicht, sich zu erinnern, wie man für sich selbst sorgen mußte, den Speerträger, dritter von links, ein Statist in diesem grauenhaften Stück.

Als ich dich sah, wußte ich es. Du bist es, Nick. Gott hat seinen Finger auf dein Herz gelegt...

Nein, das akzeptiere ich nicht. Ich akzeptiere auch Gott nicht, was das angeht. Mochte die alte Frau ihren Gott behalten; Gott war für alte Frauen so notwendig wie Einläufe und Teebeutel von Lipton. Er würde sich darauf konzentrieren, eins nach dem anderen zu erledigen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er würde sie nach Boulder bringen und sehen, was dann kam. Die alte Frau hatte gesagt, den dunklen Mann gäbe es wirklich, er wäre nicht nur ein psychologisches Symbol, und auch das wollte er nicht glauben... aber in seinem Herzen glaubte er es doch. In seinem Herzen glaubte er alles, was die alte Frau gesagt hatte, und es machte ihm angst. Er wollte nicht ihr Anführer sein.

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