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Er ging um die Kurve, und da stand der Hund, ein kastanienfarbener Irischer Setter. Als er Stu sah, bellte er freudig und kam die Straße entlanggelaufen, daß seine Krallen auf dem Asphalt klickten, und er wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Er sprang an Stu hoch, drückte ihm die Vorderpfoten auf den Bauch, so daß Stu einen Schritt zurücktaumelte. »He, Junge«, sagte er grinsend.

Als der Hund seine Stimme hörte, bellte er fröhlich und sprang wieder hoch.

»Kojak!« sagte eine strenge Stimme, und Stu zuckte zusammen und sah sich um. »Runter! Laß den Mann in Ruhe! Du machst ihm das Hemd schmutzig! Böser Hund!«

Kojak brachte wieder alle viere auf die Straße und ging mit eingezogenem Schwanz um Stu herum. Der Schwanz wedelte aber trotz der Behinderung noch ein wenig vor unterdrückter Freude, und Stu kam zu dem Ergebnis, daß dieser hier nie ein guter HundeBetrüger werden würde. Jetzt sah er auch den Besitzer der Stimme - und von Kojak, vermutete er. Ein Mann von etwa Sechzig, der einen zerlumpten Pullover, eine alte graue Hose... und eine Baskenmütze trug. Er sass auf einem Klavierhocker und hielt eine Palette in der Hand. Vor ihm stand eine Staffelei mit aufgespannter Leinwand.

Jetzt erhob er sich und legte die Palette auf den Hocker (»Bloß nicht nachher draufsetzen«, hörte Stu ihn murmeln), dann ging er mit ausgestreckter Hand auf Stu zu. Unter seiner Baskenmütze quoll lockiges graues Haar hervor und wehte im Wind.

»Hoffentlich verfolgen Sie mit dem Gewehr keine bösen Absichten, Sir. Glen Bateman, zu Ihren Diensten.«

Er kam einen Schritt vorwärts und nahm die ausgestreckte Hand (Kojak wurde wieder übermütig, er hüpfte um Stu herum, wagte aber nicht, wieder mit seinen Sprüngen anzufangen - jedenfalls noch nicht). »Stuart Redman. Machen Sie sich wegen des Gewehrs keine Sorgen. Ich habe noch nicht genug Menschen gesehen, daß ich anfangen könnte, sie zu erschießen. Ich hab' eigentlich noch gar keinen gesehen, außer Ihnen.«

»Mögen Sie Kaviar?«

»Habe ich noch nie probiert.«

»Dann wird es Zeit. Und wenn er Ihnen nicht schmeckt, sind noch genügend andere Dinge da. Kojak, nicht springen. Ich weiß, du hast schon wieder deine verrückten Sprünge im Sinn - ich lese in dir wie in einem Buch -, aber beherrsche dich. Denk immer daran, Kojak, Beherrschung ist das, was die höheren Ordnungen von den niederen trennt. Also beherrsch dich!«

Nachdem solchermaßen an seine bessere Natur appelliert worden war, setzte sich Kojak auf die Hinterbeine und fing an zu hecheln. Sein Hundegesicht grinste breit. Stu wußte aus Erfahrung, daß ein grinsender Hund entweder ein bissiger Hund oder ein verdammt guter Hund ist. Und der hier sah nicht wie ein bissiger Hund aus.

»Ich lade Sie zum Frühstück ein«, sagte Bateman. »Sie sind das erste menschliche Wesen, das ich in der letzten Woche gesehen habe. Bleiben Sie?«

»Mit Vergnügen.«

»Sie stammen aus dem Süden, richtig?«

»Aus dem Osten von Texas.«

»Aus dem Osten, mein Fehler.« Bateman gluckste über seinen eigenen Witz und wandte sich wieder seinem Bild zu, einem durchschnittlichen Aquarell des Waldes jenseits der Straße.

»Ich würde mich lieber nicht auf den Klavierhocker setzen«, sagte Stu.

»Scheiße, nein! Das wäre ganz schlecht, was?« Er änderte den Kurs und ging zu der kleinen Lichtung zurück. Stu sah, daß eine Kühltasche in Weiß und Orange dort im Schatten stand, darüber eine Art weißes Altartuch. Als Bateman es ausschüttelte, sah Stu, daß es genau das war.

»Es gehörte zur Abendmahlsausrüstung der Baptisten-Gnadenkirche in Woodsville«, sagte Bateman. »Ich habe es befreit. Ich glaube nicht, daß die Baptisten es vermissen werden. Sie sind alle heimgegangen zu Jesus Christus. Jedenfalls alle Baptisten in Woodsville. Jetzt können sie ihr Abendmahl mit dem Herrn selber feiern. Ich glaube allerdings, der Himmel wird eine herbe Enttäuschung für die Baptisten sein, wenn die Direktion ihnen keine Fernseher gestattet - vielleicht nennen sie sie da oben ja auch Himmelseher -, damit sie Jerry Falwell und Jack van Impe sehen können. Was wir hier haben, ist ein alter Heide, der statt dessen mit der Natur Zwiesprache hält. Kojak, nicht auf dem Tischtuch schlafen. Beherrschung, vergiß das nicht, Kojak. Mach Beherrschung zu deinem Leitwort, was du auch tust. Sollen wir über die Straße gehen und uns waschen, Mr. Redman?«

»Nennen Sie mich Stu.«

»In Ordnung, mach' ich.«

Sie gingen die Straße hinunter und wuschen sich im kühlen, klaren Wasser. Stu war glücklich. Genau diesen Mann zu genau dieser Zeit zu treffen schien irgendwie genau richtig zu sein. Weiter unten am Bach schlabberte Kojak im Wasser und verschwand dann fröhlich bellend im Wald. Er scheuchte einen Waldfasan auf, und Stu sah ihn aus dem Unterholz hochschießen und dachte überrascht, dass vielleicht alles gut werden würde. Irgendwie gut.

Er mochte den Kaviar nicht besonders - schmeckte wie kalter Fisch in Aspik -, aber Bateman hatte auch eine Peperoniwurst, Salami, zwei Dosen Ölsardinen, ein paar nicht mehr ganz frische Äpfel und einen Karton mit abgepackten Feigen. Großartig für die Verdauung, Feigen, sagte Bateman. Seit er aus Stovington geflohen war und seine Wanderschaft begonnen hatte, hatte Stu keine Probleme mit der Verdauung gehabt, aber die Feigen schmeckten ihm auch so, und er aß jede Menge. Er aß eigentlich von allem jede Menge. Beim Essen, das sie weitgehend auf Saltines aßen, erzählte Bateman Stu, daß er Assistenzprofessor der Soziologie am Community College von Woodsville gewesen war. Woodsville, sagte er, war eine Kleinstadt (»berühmt für ihr Community College und die vier Tankstellen«, erklärte er Stu), die sechs Meilen entfernt lag. Seine Frau war seit zehn Jahren tot. Sie waren kinderlos geblieben. Die meisten seiner Kollegen hatten ihn nicht leiden können, sagte er, ein Gefühl, das ganz auf Gegenseitigkeit beruhte. »Sie haben mich für einen Irren gehalten«, sagte er. »Die Möglichkeit, daß sie recht haben könnten, hat auch nicht zur Entspannung unseres Verhältnisses beigetragen.« Er habe die Supergrippe-Epidemie gelassen hingenommen, sagte er, weil sie ihm wenigstens ermöglicht habe, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und der Malerei zu widmen, was immer sein Wunsch gewesen sei. Während er den Nachtisch aufteilte (einen Kuchen Marke Sara Lee) und Stu seine Hälfte auf einem Pappteller reichte, sagte er: »Ich bin schrecklich als Maler, schrecklich. Aber ich sage mir einfach, diesen Juli ist niemand mehr auf der Welt, der bessere Landschaften malt als Glendon Pequod Bateman, B.A., M.A., M.F.A. Ich weiß, ein billiger Ego-Trip, aber meiner.«

»War Kojak schon immer Ihr Hund?«

»Nein - das wäre ein erstaunlicher Zufall gewesen, oder? Ich glaube, Kojak hat jemand aus einem anderen Stadtviertel gehört. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, aber da ich nicht wußte, wie er heißt, habe ich mir die Frechheit genommen und ihn umgetauft. Scheint ihm nichts auszumachen. Entschuldigen Sie mich einen Moment, Stu.«

Er ging über die Straße, und Stu hörte ihn im Wasser plätschern. Wenig später kam er mit bis zu den Knien hochgekrempelten Hosen zurück. Er trug ein tropfendes Sechserpack Narragansett-Bier in jeder Hand.

»Hätte eigentlich zum Essen gehört. Zu dumm.«

»Schmeckt danach genauso gut«, sagte Stu und zog eine Dose von der Plastikverschweißung ab. »Danke.«

Sie zogen die Ringe ab, Bateman hob die Dose. »Auf uns, Stu. Mögen wir glückliche Tage erleben, stets zufrieden sein und keine Schmerzen im verlängerten Rücken haben.«

»Amen.« Sie stießen mit den Dosen an und tranken. Stu fand, dass ihm ein Schluck Bier noch nie so gut geschmeckt hatte.

»Sie machen nicht viele Worte«, sagte Bateman. »Ich hoffe, Sie sind nicht der Meinung, daß ich auf dem Grab der Welt tanze, sozusagen.«

»Nein«, sagte Stu.

»Ich hatte Vorurteile gegenüber der Welt«, sagte Bateman. »Das gebe ich offen zu. Die Welt im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts hatte für mich soviel Charme wie ein achtzigjähriger Mann, der an Prostatakrebs stirbt. Man sagt, das wäre eine Stimmung, die alle Menschen im Westen empfinden, wenn sich ein Jahrhundert - egal, welches - dem Ende nähert. Wir haben uns jedesmal in Trauergewänder gehüllt, sind herumgezogen und haben wehe dir, Jerusalem geschrien... oder Cleveland, je nachdem. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts grassierte der Veitstanz. Beulenpest - der schwarze Tod - dezimierte Europa gegen Ende des sechzehnten. Keuchhusten gegen Ende des siebzehnten, die ersten Ausbrüche von Influenza gegen Ende des neunzehnten. Wir haben uns so sehr an die Grippe gewöhnt - uns kommt sie wie eine gewöhnliche Erkältung vor, nicht? -, daß nur noch Historiker wissen, sie hat vor hundert Jahren überhaupt noch nicht existiert.

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