Er rief nach Ozzard, aber an seiner Stelle kam Allday.
«Es geht los, Allday!«Seltsam, wie leicht es fiel, sich mit ihm zu verständigen.»Würden Sie wohl Kapitän Herrick bitten, wieder nach achtern zu kommen?»
Allday nickte mit grimmigem Gesicht.»Aye, Sir. «Er warf einen Blick auf die beiden Säbel in ihren Halterungen an der Wand.»Und ich dachte, wir würden diesmal ungeschoren bleiben, Sir. Wir haben doch schon unseren Teil getan. «Bolitho lächelte.»Hier gibt es keine Teile.»
Dann erklärte er Herrick und Inch den wesentlichen Inhalt der Befehle. Der Platz, den sie selber beim Angriff einnehmen würden, stand noch nicht fest. Admiral Damerum hatte das Kommando über das die Aktion deckende Geschwader und damit die Aufgabe, Schiffe mit Nachschub zu beschützen und das Eingreifen von französischen Schiffen zu verhindern, die vielleicht versuchten, den Blockadering zu durchbrechen und ihren Verbündeten zu Hilfe zu kommen. Es hatte nicht den Anschein, als käme der für sie vorgesehenen Rolle große Bedeutung zu.
Herrick sagte nach einer Pause.»Wir werden das Beste daraus machen.»
Inch war bestimmter.»Ein Jammer, daß Nelson nicht vorweg marschiert und unser Konteradmiral direkt dahinter.»
Herrick nickte ihm finster zu.»Auf dieses Worte trinke ich einen, Francis!»
Bolitho bemühte sich, ein Lächeln zu verbergen. Inchs Vertrauen in seine Fähigkeiten war umwerfend.»Die Flotte wird sich gegen Ende des Monats vor dem Nordausgang des Öre-Sunds versammeln. «Er versuchte, nicht an Belindas Gesicht zu denken und an das, was sie durchmachen mußte, wenn sich die Neuigkeit erst in England herumsprach. Ende des Monats hatte er gesagt. Das war in knapp zwei Wochen.»Was danach geschieht, hängt von Sir Hyde Parker ab.»
Bolitho stellte sich das enge Fahrwasser durch den Sund vor, mit der starken Batterie von Helsingör querab auf der dänischen Westseite. Wenn auch die schwedischen Batterien am Ostufer das Feuer eröffneten, mußten sie in diesem Kreuzfeuer augenblicklich in Stücke gerissen werden.
Inch sagte:»Ich würde gern auf mein Schiff zurückkehren, Sir. «Er sah plötzlich beunruhigt aus.»Ich habe noch ein paar Briefe für das Geschwader.»
Als die beiden Kommandanten gingen, hörte Bolitho Herrick fragen:»Wie geht es Ihrer Frau?»
«Hannah geht es gut, danke. Wir erwarten unser erstes Kind. «Der Rest wurde durch die sich schließende Tür erstickt.
Bolitho stand auf und ging ruhelos in der Kajüte auf und ab. Früher hatte sich niemand von ihnen viele Gedanken über die nächs ten ein, zwei Tage hinaus gemacht, aber jetzt waren sowohl Herrick wie Inch verheiratet und bedachtsamer. Bolitho hielt vor den Heckfenstern an.
Unter sich spürte er, wie sich das Rudergeschirr bewegte. Offenbar drehte Herrick das Schiff, um für die Gig der Odin Windschutz zu geben. Das war es, was eine Admiralsflagge ausmachte, und was auch für seine Flagge am Kreuzmast galt: nicht daß er ein Geschwader ins Gefecht führte oder zu irgendeiner Aufgabe, die Gehorsam und Mut verlangte. Es ging um die Menschen. Um Männer mit Familie wie Herrick und Inch, die jedesmal ihren eigenen inneren Kampf auszu-fechten hatten, wenn ein Kriegsschiff Anker auf ging. Männer, die ihre Hoffnungen und Wünsche hatten und doch keine andere Wahl, als ihrem Befehlshaber zu vertrauen.
Er erinnerte sich plötzlich ganz deutlich an Belindas Worte, als sie einander das letzte Mal umarmt hatten:»Komm' gesund zu mir zurück, Richard. Mehr verlange ich nicht.»
Nun, diese Verantwortung trug er jetzt auch.
Er beobachtete, wie die Silhouette der Odin länger wurde, als die Fregatte wendete. Ihre Segel wirkten vor dem düsteren Hintergrund einer Wolkenbank und verzerrt durch die dicken Glasscheiben wie ein Paar Flügel.
Eine Stunde später, als das Geschwader wieder in eng aufgeschlossener Kiellinie segelte, kam Herrick wieder zu ihm. Bolitho stand noch immer am Heckfenster, die Hände auf das Süll gestützt, um sein schmerzendes Bein zu entlasten.
Bolitho erkannte Herricks Spiegelbild in der salzverkrusteten Glasscheibe und sagte:»Wir werden alle Kommandanten zusammenrufen, sobald wir wissen, was von uns erwartet wird. Ich möchte sie gern sehen, bevor wir ins Gefecht gehen. Machen Sie ein Signal an Loo-kout, daß sie die Relentless von ihrer Patrouille zurückruft.»
Herrick nickte.»Gleich als erstes, bevor es zu dunkel wird. «Er bemerkte Bolithos Unsicherheit.»Werden Sie es ihm sagen, Sir?»
Bolitho brauchte nicht zu fragen, wen er meinte.»Er hat ein Recht darauf. Adam trifft keine Schuld.»
Herrick sah ihn betrübt an.»Und Sie auch nicht, Sir.»
«Vielleicht nicht. «Er drehte sich um und sah ihn direkt an.»Nun verschwinden Sie aber, und setzen Sie das Signal. Hinterher essen wir zusammen zu Abend, ja?»
Als er wieder allein war, lauschte Bolitho an seinem Tisch auf die Stimmen des Schiffes. Spieren und Rahen, Spanten und Planken flüsterten miteinander in ihrer Sprache.
Dann zog er einen Bogen Papier aus der Schublade und nahm eine Feder aus dem Ständer, den Tregoye, der Schiffszimmermann, ein wortkarger Landsmann aus Cornwall, ihm geschenkt hatte. Bolitho erinnerte sich, wie sie ihn umarmt hatte und wie sie — wenn sie still bei ihm saß — die Hände im Schoß gefaltet hatte. Dann begann er zu schreiben:
>Meine liebste Belinda… <
Wenn die Kurierbrigg noch vor dem Kampf bei ihnen vorbeischor, konnte Belinda den Brief bald lesen. Zu dem Zeitpunkt mußte für das Geschwader aber schon alles vorüber sein. Zumindest würde sie erfahren, was er in dem Augenblick gedacht hatte, als die Benbow an der Spitze des kleinen Geschwaders der abendlichen Dämmerung entgegensegelte.
Bolitho hörte die gedämpften Kommandos der Ehrenwache und wußte, daß ein weiterer seiner Kommandanten zur Besprechung an Bord gekommen war. Die Besprechung mußte kurz sein, denn angesichts so vieler Linienschiffe in ihrer Nähe, dazu zahlreicher Fregatten, Versorgungsschiffe und was sonst noch dazugehörte, konnten sie unmöglich irgendwo ankern.
Die letzte Woche war arbeitsreich, aber wenig aufregend gewesen. Nachdem sie einmal auf einen Schlachtplan festgelegt waren, so unklar er dem einfachen Matrosen oder Seesoldaten auch vorkommen mochte, machten sich die Leute doch entschlossen an die Vorbereitungen. Da galt es vor allem, durch Umstauen von Vorräten und Munition die Schiffe neu zu trimmen. Zu lange hatten sie darauf nicht mehr geachtet.
So lange Tageslicht herrschte, meldeten die Ausguckposten in den Masten immer neue Schiffe von Hyde Parkers Flotte, die sich für den ersten gefahrvollen Vorstoß in den Sund versammelte.
Es klopfte, und Bolitho hörte vor der Tür das Gescharre vieler Füße wie von Schauspielern, die hinter der Bühne auf ihren Auftritt warteten. Browne schaute herein und sagte:»Alle zur Stelle, Sir. «Dann fiel ihm noch ein:»Der Wind ist gleichgeblieben. Mr. Grubb meint, er wird auch kaum umspringen.»
«Lassen Sie die Herren herein. «Bolitho ging zur Tür, um jeden seiner jungen Kommandanten mit Handschlag zu begrüßen: Veitch von der Lookout und Keverne von der Indomitable. Letzterer hatte sich trotz seiner neuen Würde kaum verändert. Noch immer hatte er das zigeunerhaft gute Aussehen wie damals, als er Erster Offizier auf Bolithos Euryalus gewesen war. Inch war da und natürlich auch Neale von der Styx, dem Kapitän Peel von der Relentless auf dem Fuße folgte. Als letzter kam, zusammen mit Herrick, Kapitän Valentine Keen von der Nicator. Mit ihm hatte Bolitho vor dem Kriege in Ostindien und später in der Südsee, wo er beinahe am Fieber gestorben wäre, vieles gemeinsam erlebt.
Bolitho schüttelte ihm herzlich die Hand.»Wie geht's?»
Keen wußte, daß Bolithos Frage einen Hintersinn hatte. Der vorige Kommandant der Nicator war ein Feigling und Lügner gewesen, und es wurde behauptet, daß die Kugel, die ihn im Gefecht getötet hatte, von einem seiner eigenen Leute abgefeuert worden sei. Die Nicator war damals ein Unglücksschiff gewesen, aber unter Keens Kommando hatte sie sich überraschend schnell zum Besseren verändert.