Um diese Jahreszeit war Nebel so häufig wie eisige Winde. Beide brachten Gefahren, und beide wurden von den Seeleuten gleichermaßen gefürchtet.
Auch als die Fregatte Skagen gerundet und mit einer Halse auf südlichen Kurs gedreht hatte, um nun an der Ostküste Jütlands hinunter-zusegeln, konnte Neale melden, daß der erwartete Nebel nicht mehr war, als etwas dickerer Dunst. Die dickste Suppe hing unter Land und hatte sich offenbar in der Bucht gefangen, die sie gerade hinter sich gelassen hatten.
Herrick würde damit leicht fertigwerden, doch wenn man ihm ein ernstgemeintes Kompliment dafür machte, hätte es ihm die Sprache verschlagen.
Sie sichteten nur wenige Fahrzeuge, und auch das waren nur kleine Küstensegler und Fischer, die sich dicht unter Land hielten und gewiß auf der Hut waren, als die schlanke Fregatte durch das Kattegatt gegen den engen Sund zwischen Dänemark und Schweden vorstieß: den Eingang zur Ostsee, eine Zuflucht oder eine Falle, je nachdem, mit welchen Absichten man kam.
Sobald es dunkel war, bat Neale um Erlaubnis zum Ankern. Als die Styx dann langsam vor ihrer Ankertrosse schwojte und die Dunstschwaden in der Takelage sie wie ein Phantomschiff erscheinen ließen, ging Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab und beobachtete die blassen Sterne und das gelegentliche Aufblitzen eines Lichtes an Land.
Styx hatte nur eine einzige Ankerlaterne, und die Wachtposten, die auf der Back und den Laufbrücken standen, waren voll bewaffnet. Mr. Pickthorn, der Erste Offizier, hatte sogar Enternetze ausgebracht.
Um ganz sicherzugehen, hatte Neale gesagt.
Pascoe tauchte aus der Dunkelheit auf und wartete auf einen günstigen Augenblick, um etwas melden zu können.
Bolitho nickte ihm zu.»Komm, laß uns ein Weilchen auf- und abgehen. Wenn man längere Zeit stehenbleibt, fühlt sich das Blut wie Gletscherwasser an.»
Sie gingen vorbei an den Männern der Wache und einigen Offizieren, die sich in der kalten Luft ebenfalls etwas Bewegung machten.
«Unsere Leute sind untergebracht, Sir. «Pascoe warf Bolitho einen schnellen Blick zu.»Ich habe Midshipman Penels als Boten mitgenommen. Ich meinte, er sei dazu noch etwas jung, aber Mr. Wolfe sagte, irgendwann müsse er mal anfangen. «Er lachte in sich hinein.»Er hat recht, denke ich.»
«Morgen werden wir in Kopenhagen einlaufen, Adam. Dort soll ich einen hohen britischen Beamten treffen.»
Er blickte hinüber zu den schwachen Lichtern an Land. Die Nachricht mußte schon weitergeleitet sein: ein britisches Kriegsschiff, eines von dem neuen Geschwader. Was bedeutete das? Warum kam es?
«Es gibt da einige Fragen, auf die ich zu meiner Beruhigung Antwort brauche.»
Pascoe drängte sich nicht in Bolithos Gedanken, auch wenn er sie laut aussprach. Er dache an Midshipman Penels und seinen Freund Babbage. Durch einen Zufall oder durch die Gleichgültigkeit eines Unteroffiziers war auch Babbage mit auf der Styx.
Plötzlich fragte Bolitho:»Wie kommst du mit meinem Flaggleutnant aus, dem ehrenwerten Oliver Browne?»
Pascoe lächelte, seine Zähne blitzten dabei in der Dunkelheit.»Mit einem >e< am Schluß, Sir. Sehr gut. Er ist ein seltsamer Kerl, ganz anders als die meisten Seeoffiziere. Das heißt: als die meisten, die ich bisher kennengelernt habe. Er ist immer so ruhig und beherrscht. Ich glaube, wenn die Franzosen in diesem Augenblick an Bord gestürzt kämen, würde er erst seine Mahlzeit beenden, bevor er zum Kampf zu uns stieße.»
Kapitän Neale kam an Deck, und Pascoe verabschiedete sich.
Bolitho sagte:»Es scheint alles ruhig zu sein, Captain.»
«Das glaube ich auch. «Neale spähte durch die herunterhängenden Netze.»Aber ich bin vorsichtig. Kapitän Herrick würde mich aufspießen, wenn ich seinen Admiral auflaufen ließe.»
Bolitho sagte ihm gute Nacht und ging in seine Kajüte. Er hatte nicht gewußt, wie bekannt Herricks Ergebenheit ihm gegenüber war.
«Lassen Sie das Großsegel bergen, Mr. Pickthorn. «Kapitän Neale stand sehr ruhig mit verschränkten Armen da, als die Fregatte nur noch unter Marssegeln, Fock und Klüver vorwärtsglitt.
Die kalte Luft, die eisigen Tropfen, die wie Regen von den Schlechtwettersegeln herunterfielen, waren vergessen, als die Styx sich langsam auf die Einfahrt in den Öre-Sund zubewegte. Zwei starke Festungen, Helsingborg auf dem schwedischen, Kronborg auf dem dänischen Ufer, konnten selbst dem abgebrühtesten Mann an Bord
Respekt einflößen. Bolitho nahm ein Fernrohr und richtete es auf die dänische Festung. Man brauchte eine ganze Armee und außerdem eine monatelange Belagerung, um sie einzunehmen, dachte er ingrimmig.
Es war fast Mittag, und je näher die Fregatte der Einfahrt und den beiderseits drohenden Batterien gekommen war, desto mehr wurden sie sich der Aufregung bewußt, die das Erscheinen der Styx hervorrufen mußte. Keine Spur eines Willkommensgrußes war zu sehen, aber auch nichts, was auf Feindseligkeit schließen ließ.
Bolithos Blick schweifte über die Oberdecks. Neale hatte alles gut vorbereitet, sein Schiff sah so tadellos aus wie möglich. Die Seesoldaten in ihren auffallenden roten Röcken standen in Korporalschaften auf der Schanz angetreten. Keiner von ihnen war in den Marsen, und auch keins der leichten Geschütze war dort oben aufgestellt. Seeleute versahen ruhig ihren Dienst, während andere bereitstanden, um mehr Segel für eine eventuelle Flucht zu setzen oder um die restlichen einzuholen und zu ankern.
Neale sah Bolitho fragend an.»Soll ich mit dem Salut anfangen?»
«Bitte sehr.»
Neale befahl energisch:»Mündungspfropfen entfernen! Stückpforten öffnen!»
Dabei dachte er wahrscheinlich daran, daß seine Geschütze ungeladen dastehen würden, sobald der volle Landessalut erst abgeschossen war. Aber wenn er die Breitseite mit mehr Leuten bemannt hätte, als für das Ritual unbedingt erforderlich, hätte das vielleicht wie ein kriegerischer Akt ausgesehen.
«Kanonen ausrennen!«Polternd und ächzend steckten die Geschütze der Styx ihre schwarzen Mündungen ins grelle Licht.
«Klar zum Flaggedippen!»
Bolitho biß sich auf die Lippen. Noch immer kein Zeichen von Land. Er musterte die ausgedehnten Artillerieanlagen. Der Wind hatte erheblich nachgelassen. Wenn die Dänen jetzt das Feuer eröffneten, würde es für die Styx schwer sein, zu wenden und sich freizusegeln. Unter diesen Bedingungen konnten sie in Minuten zusammengeschossen sein.
«Fangen Sie an mit dem Salut, Mr. Pickthorn!«»Erstes Geschütz: feuern!»
Der Abschußknall rollte über das kabbelige Wasser, und unmittelbar darauf antwortete eine Batterie unterhalb der Festung. Schuß auf
Schuß. Gleichzeitig wurde die dänische Flagge, die wie eine Metallplatte an einer hohen Stange in den Himmel ragte, langsam zum Salut gedippt.
Allday wischte sich den Mund mit dem Handrücken.»Puh, das hat Nerven gekostet!»
Bolitho sah, wie der Stückmeister der Styx von Geschütz zu Geschütz eilte und jedem mit der Faust das Zeichen zum Feuern im richtigen Zeitabstand gab.
Man erkannte jetzt auch Leute an Land. Einige liefen mit und winkten. Was sie riefen, konnte man aber auf die Entfernung nicht verstehen.
Die letzten Geschütze gaben ihren Schuß ab, und der Pulverqualm trieb über die Galionsfigur der Fregatte nach vorne.
Kapitän Neale machte eine Ehrenbezeigung zu Bolitho hin und sagte:»Ich glaube, wir sind gnädig aufgenommen, Sir.»
«Ein Wachboot kommt längsseit, Sir!»
«Nehmen Sie die Fock weg, Mr. Pickthorn und machen Sie alles klar zum Empfang unserer Besucher!»
Männer legten auf der Fockrah aus, schlugen fluchend auf das steife Segeltuch ein, während sie sich bemühten, es angesichts der Zuschauermenge an Land besonders fix aufzuholen und festzumachen.
Das Wachboot war ein interessantes Fahrzeug. Länger als ein normales Schiffsboot, wurde es mit den längsten Riemen gerudert, die Bolitho je — außer bei einer Schebecke — gesehen hatte. An jedem Riemen saßen zwei Mann, und direkt hinter dem gefährlich aussehenden Vorsteven stand ein einzelnes schweres Geschütz. Dieses Miniatur-Kanonenboot konnte mit seinen Riemen jedes Fahrzeug, das größer als eine Fregatte war, ausmanövrieren und ihm von achtern schwere Kanonenkugeln ins ungeschützte Heck jagen, ohne dabei selber in Gefahr zu geraten. Selbst eine Fregatte war gefährdet, wenn plötzlich der Wind aussetzte.