«Mr. Grubb meint, wir sind gegen Mittag bei Skagen, wenn der Wind uns treu bleibt.»
«Das nehme auch ich an. Wenn wir da sind, können Sie dem Geschwader signalisieren, daß es in Kiellinie ankern soll. «Bolitho nickte den Offizieren zu und ging nach achtern.
Herrick stieß einen Seufzer aus. Er neigte dazu, sich Sorgen zu machen, wenn Bolitho in der Nähe war, aber noch mehr Sorgen machte er sich, wenn er gegangen war.
Pascoe glitt herunter an Deck und holte sich seinen Hut zurück. Er wollte gerade nach achtern gehen, als eine kleine Gestalt zwischen zwei Achtzehnpfündern hervortrat und ihn ansprach.»Verzeihung, Sir. «Es war Midshipman Penels.
«Ja?«Pascoe blieb stehen und betrachtete den Jungen. >War auch ich jemals so?< dachte er.
«Ich — ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, Sir…»
Es klang so verzweifelt, daß Pascoe sagte:»Sprechen Sie sich ruhig aus.»
An Bord eines Kriegsschiffes war es praktisch unmöglich, sich zu einem vertraulichen Gespräch zurückzuziehen. Außer in der Kommandantenkajüte und möglicherweise in der Arrestzelle, befand man sich immer in einer Menge.
Pascoe wußte sehr wenig von dem neuesten Midshipman. Er kam aus Cornwall, und da hakte er ein.
Er sagte:»Sie sind aus Bodmin, glaube ich?»
«Ja, Sir. «Penels schaute sich um wie ein gefangenes Tier.»Da ist einer in Ihrer Division, Sir, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin, zu Hause in England.»
Pascoe trat zur Seite, als eine Gruppe von Seesoldaten bei ihren komplizierten Einzelübungen vorbeistampfte.
Penels erklärte:»Er heißt John Babbage, Sir, und wurde in Ply-mouth von einem Preßkommando eingefangen. Ich wußte es nicht, bevor wir in See waren. Er hat für meine Mutter gearbeitet, nachdem mein Vater gestorben war, Sir. Er war gut zu mir, mein bester Freund.»
Pascoe schaute weg. Da konnte er sich nicht einmischen. Penels hätte zum Ersten Offizier oder zum Master gehen sollen. Aber er erinnerte sich an seine eigene Anfangszeit, an den langen, hungrigen Fußmarsch von Pensance nach Falmouth.
«Warum haben Sie sich an mich gewandt, Mr. Penels? Die Wahrheit!»
«Mein Freund sagt, Sie seien ein guter Offizier, Sir. Nicht so hart wie die anderen.»
Pascoe versuchte, sich ein Bild von dem unglücklichen Babbage zu machen: ein Junge mit einem scheuem Blick, eher in seinem als in Penels Alter.
«Nun, Mr. Penels, wir sind jetzt mit dem Geschwader in See. Wären Sie im Hafen zu mir gekommen, hätte ich vielleicht etwas tun können. «Er dachte an Wolfe und wußte, es hätte auch dann kaum einen Unterschied gemacht. Ein Schiff brauchte so viele Männer, wie es bekommen konnte.
Wolfe war in mancher Hinsicht ein guter Offizier, aber es mangelte ihm an Verständnis und Sympathie für die Opfer der Preßkommandos.
Es war hart für Penels und seinen Freund aus Kindheitstagen. Da waren sie nun auf dem gleichen Schiff, ohne voneinander gewußt zu haben, bevor sie sich auf See befanden, getrennt nicht nur durch Rang und Position, sondern auch durch des Schiffes eigene Geographie. Penels gehörte bei Segelmanövern zum achteren Mast, und seine Gefechtsstation war an den Neunpfündern auf der Schanz. Babbage gehörte zu seiner Mannschaft am Vormast. Er war jung und flink und würde es bald lernen, wie die Toppsgasten aufzuentern; dann gehörte er — mit etwas Glück — zur Aristokratie der Seeleute.
Pascoe hörte sich selber sagen:»Ich werde sehen, was sich tun läßt. Aber ich kann nichts versprechen.»
Er wandte sich ab, da er die Dankbarkeit in Penels Augen nicht ertragen konnte.
Commander Matthew Veitch kam in Bolithos Kajüte und sah sich neugierig um. Die eine Epaulette auf seiner linken Schulter, die er seinem Rang entsprechend trug, glitzerte fremd auf seinem abgetragenen Wachmantel. Veitch hatte früher schon unter Bolitho gedient und wußte, daß er keinen Dank dafür geerntet hätte, wenn er sich vor seinem Besuch auf dem Flaggschiff Zeit zum Umkleiden genommen hätte.
Bolitho sagte:»Setzen Sie sich, und erzählen Sie mir alles.»
Es war ein sonderbares Gefühl, wieder zu ankern. Die vier Linienschiffe lagen in enger Formation, die dänische Küste in Sichtweite achteraus. Die Fregatten patrouillierten noch, wie Wachhunde ruhten sie nur selten.
Auch die Korvette und ihre Prise lagen bei Skagen vor Anker. Diese Bucht war in den vergangenen Monaten zum allgemeinen Treffpunkt und Rastplatz der englischen Flotte geworden.
Veitch streckte die langen Beine von sich.»Unsere Prise ist ein Handelsschiff, Sir, die Echo aus Cherbourg. Letzte Woche schlüpfte sie bei Sturm durch unsere Bewachungslinie, sagt ihr Kapitän. Sie versuchte, uns davonzulaufen, daher durchsuchte ich sie schnell.»
Bolitho warf einen Blick zum Achterschott. Dahinter war Browne, der gut französisch sprach, eifrig dabei, die Schiffspapiere der Echo, die Veitch mitgebracht hatte, durchzusehen: eine französische Brigg ohne auffallende Ladung oder Passagiere. Dennoch hatte sie beim Durchbrechen der Blockade einiges riskiert und mehr noch, als sie versuchte, der Lookout davonzusegeln.
«Wohin ist sie bestimmt?»
Veitch zuckte mit den Achseln.»Ihr Kapitän hat falsche Papiere, vermute ich. Aber die Karten wurden von einem Midshipman des Prisenkommandos im Lazarett gefunden, wo sie offenbar versteckt worden waren. «Er grinste.»Der Junge hat sicher nach etwas Eßbarem gesucht, aber ich will sein Verdienst deswegen nicht schmälern. «Er wurde wieder ernst.»Zwei Orte sind unterstrichen: Kopenhagen und Stockholm.»
Herrick wandte sich beunruhigt von den Heckfenstern ab und sagte:»Hier stinkt etwas, Sir!»
Bolitho sah ihn an.»Denken Sie das gleiche wie ich, Thomas? Daß die Franzosen bei der Unzufriedenheit des Zaren ihre Hand im Spiel haben?»
Herrick erwiderte:»Da bin ich ganz sicher, Sir. Je mehr sie unter ihren Hut bekommen können, desto lieber ist es ihnen. Wir haben die ganze Welt gegen uns, wenn sie Erfolg haben.»
Die Tür ging auf, und Browne kam herein. Er hielt einen Brief in der Hand, das aufgebrochene Siegel schimmerte matt wie Blut. Er hob fragend die Augenbrauen.
«Was steht drin?«Bolitho wußte, daß Browne niemals eine Information in Gegenwart anderer ohne seine Erlaubnis preisgegeben hätte.
«Er ist an einen Abgesandten der französischen Regierung in Kopenhagen gerichtet, Sir.»
Sie sahen einander an. Das roch nach verabredeter Zusammenkunft von Freunden und Feinden.
Browne fuhr in seinem unbewegten Ton fort:»Der Brief kommt vom Militärbefehlshaber in Toulon und ist über Paris und Cherbourg gelaufen.»
Herrick konnte seine Ungeduld nicht mehr zügeln.»Machen Sie es doch nicht so spannend, Mann!»
Browne warf ihm nur einen kurzen Blick zu.»Die französischen Besatzungstruppen in Malta haben sich dem britischen Blockadegeschwader ergeben, Sir. Schon im vorigen Monat.»
Herrick schien verblüfft.»Also eine gute Neuigkeit. Malta in unserer Hand, das heißt, daß die Franzmänner im Mittelmeer künftig vorsichtiger auftreten müssen.»
Browne verzog keine Miene.»Es dürfte bekannt sein, Sir, daß Zar Paul von Rußland sogenannter Großmeister der Ordensritter von Malta ist. Als die Franzosen Malta seinerzeit eroberten, war er wütend. Der Brief erklärt, daß die Franzosen dem Zar die Herrschaft auf Malta angeboten hatten; selbstverständlich wußten sie genau, daß die Insel früher oder später in britische Hände fallen würde.»
Herrick machte eine hilflose Geste.»Ich sehe noch immer nicht, wie wir da hineinpassen.»
Bolitho sagte ruhig:»Die Briten werden Malta nicht wieder aufgeben, Thomas. Die Insel ist zu wichtig für uns, wie Sie selber eben feststellten. Die Franzosen haben also einen schlauen Zug getan. Was gäbe eine bessere Gelegenheit, den Zaren und seine Freunde endgültig gegen uns aufzuhetzen? Wir und nicht die Franzosen stehen jetzt zwischen ihm und Malta. «Browne sagte:»Das ist genau der Sachverhalt, Sir.«»Offenbar wußte Sir Samuel Damerum nichts davon. Wegen des schlechten Wetters ist die Neuigkeit nicht zu ihm gelangt. «Veitch räusperte sich.»Aber Sie haben den Brief, Sir. «Bolitho lächelte flüchtig.»Ich habe ihn, dank Ihnen.«»Werden Sie dementsprechend handeln, Sir?«Browne beobachtete ihn unbewegt.