Er sagte:»So, Sie sind also Richard Bolitho. «Sein Blick haftete kurz auf der Goldmedaille, die Bolitho für diesen offiziellen Besuch um den Hals trug.»Die Medaille für den Sieg am Nil, nicht wahr?«Er schüttelte den Kopf.»Manche Leute haben das Glück gepachtet. «Er hatte eine sprunghafte Art, das Thema zu wechseln.»Wie steht's mit Ihrem Geschwader?«Er wartete nicht auf Antwort, sondern fuhr fort:»Sie haben länger gebraucht, als ich dachte, aber es ging wohl nicht anders, wie?»
«Tut mir leid, Sir. Schlechtes Wetter, ungeübte Leute, das übliche. «Damerum rieb sich die Hände, und wie herbeigezaubert erschien ein Diener.
«Brandy, Mann. Aber nicht die miese Sorte, die wir den Kommandanten anbieten!«Er lachte in sich hinein.»Mein Gott, was für ein Krieg, Bolitho. Immer weiter und weiter. Und kein Ende abzusehen.»
Bolitho wartete. Er war sich noch nicht klar über diesen seltsam sprunghaften Mann, der eine Menge redete, aber bis jetzt eigentlich noch nichts gesagt hatte.
Bolitho sagte:»Mein Flaggkapitän schickt Ihnen ein paar Vorräte herüber, Sir.»
«Vorräte?«Die Augen des Admirals folgten dem Brandy und den beiden Gläsern, die der Diener auf den Tisch gestellt hatte.»O ja, Mr. Fortnum, mein Lebensmittelhändler in London, tut sein Bestes, um mich nicht verhungern zu lassen, wissen Sie. Das ist nicht ganz einfach heutzutage.»
Bolitho wußte nicht, wer Mr. Fortnum war, hatte aber irgendwie das Gefühl, daß er es eigentlich hätte wissen müssen.
Der Brandy war mild und erwärmend und machte schläfrig, wenn man nicht aufpaßte.
«Nun, Bolitho, Sie werden wissen, daß Sie die Aufgabe meines Geschwaders übernehmen sollen. Die dänische Affäre scheint sich zur Zeit abgekühlt zu haben, aber meine Informationen gehen dahin, daß der Zar sich mit den Franzosen gegen uns verbünden will. Sie wissen von dem Vertrag, den er mit den Schweden zu schließen versuchte?«Wieder wartete er nicht auf Antwort, sondern fuhr schnell fort:»Er hängt noch immer an dieser Idee. Zusätzlich wird er darin von Preußen unterstützt. Gemeinsam könnten die beiden Dänemark zwingen, sich gegen uns zu entscheiden. Es ist eben nicht einfach, in Frieden neben einem wütenden Löwen zu leben.»
Bolitho versuchte sich vorzustellen, wie sein kleines Geschwader das Vordringen der vereinigten baltischen Flotten verhindern sollte. Beauchamp hatte ja gesagt, daß seine Aufgabe nicht leicht sein würde.
«Sollen wir in die Ostsee einlaufen Sir?»
Damerum machte seinem Diener ein Zeichen, die Gläser neu zu füllen.
«Ja und nein. Es wäre falsch, demonstrativ Stärke zu zeigen. Der Zar würde das zum Anlaß nehmen, das Feuer zu schüren. In einer Woche wären wir im Krieg. Aber eine kleine Streitmacht wie Ihre kann mit friedlichen Absichten hineinfahren. Meine Schiffe sind allen Spionen gut bekannt. Bald wird man wissen, daß ein neues Geschwader hier ist. Da es kleiner ist als meines, werden Spannung und Mißtrauen nachlassen. «Er lächelte und zeigte dabei sehr ebenmäßige Zähne.»Abgesehen davon, Bolitho: Wenn wirklich Schwierigkeiten auftreten sollten, sind wir bis zum nächsten Jahr hilflos. Bis März mindestens. Da wir die Schiffe des Zaren nicht in ihren Häfen packen können, müssen wir warten, bis das Eis geschmolzen ist. Bis dahin«, er schaute Bolitho fest an,»werden Sie die Dinge aus möglichst naher Entfernung beobachten. «Dann lachte er in sich hinein.»Aus sehr naher Entfernung, um es ganz deutlich zu sagen. Sie haben den Auftrag, nach Kopenhagen zu segeln und sich dort mit einem Beauftragten der britischen Regierung zu treffen.
Bolitho war erstaunt.»Wären Sie als ranghöherer Offizier nicht sehr viel besser für diese Mission geeignet, Sir?»
«Ihr Einwand ehrt Sie. Aber wir müssen behutsam vorgehen. Wenn ein zu junger Offizier kommt, müssen die Dänen sich geringschätzig behandelt fühlen. Kommt ein zu hoher Offizier, wittern sie bestimmt eine finstere Absicht oder gar eine Drohung. «Damerum zeigte mit dem Finger auf Bolitho.»Aber ein junger Konteradmiral ist genau der richtige Mann. Die Admiralität glaubt es jedenfalls, und ich habe meine Unterstützung zugesagt.»
«Nun gut, und ich danke Ihnen, Sir. «Bolitho wußte nicht recht, was er sagen sollte. Es kam alles so schnell: ein Geschwader, eine neue Station, und unmittelbar darauf war er schon wieder mit einem ganz anderen Auftrag unterwegs. Er hatte das Gefühl, daß er bald feststellen würde, wie außerordentlich nützlich ihm Browne noch werden konnte.
Damerum setzte plötzlich hinzu:»Wenn irgendwelche Zweifel auftreten, dann schicken Sie ein schnelles Schiff zu mir. Die Hälfte me ines Geschwaders geht zur Überholung nach England, die übrigen Schiffe werden die Blockadekräfte vor Holland verstärken. Es steht alles in den Anweisungen, die mein Flaggleutnant dem Ihrigen gerade aushändigt. Die beiden können sich glücklich schätzen: haben das Schicksal einer ganzen Flotte in Händen, ohne dafür die Last der Verantwortung mit uns zu teilen, verdammt noch mal!»
Wasserspritzer prasselten gegen die Heckfenster wie Schrotkugeln. Es hatte angefangen zu regnen oder zu hageln.
Bolitho stand auf.»Ich werde meine neuen Instruktionen aufmerksam lesen, Sir Samuel. «Er streckte die Hand aus.»Vielen Dank für das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt haben.»
Als er es sagte, kam ihm die wahre Bedeutung seiner Worte zu Bewußtsein, als hätte er eine Grenzlinie überschritten. Er mußte die Anweisungen so befolgen, wie er es vermochte. Niemand war in der Nähe, den er um Weisung oder Rat bitten konnte. Ob er nun richtig oder falsch handelte — es war einzig seine Entscheidung.
«Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht am Fallreep verabschiede, Bolitho. Ich muß noch Briefe schreiben, die mit der Kurierbrigg nach England gehen sollen. «An der Tür, hinter der Browne mit einem sehr jung aussehenden Leutnant sprach, sagte Damerum noch:»Also viel Glück in Kopenhagen. Es soll eine sehr schöne Stadt sein, hat man mir erzählt.»
Nach einem halsbrecherischen Abstieg an der Bordwand des Flaggschiffs zwängten sich Bolitho und Browne in die Hecksitze des Admi-ralsbootes und hüllten sich in ihre Mäntel.
Mit klappernden Zähnen fragte Browne:»Alles klar, Sir? Ich wollte bei Ihnen bleiben, aber der Adjutant des Admirals wartete schon darauf, mich wegzulotsen. Man hat mir nicht einmal ein Gläschen angeboten. «Es klang ziemlich empört.
«Wir segeln nach Kopenhagen, Mr. Browne. «Bolitho sah ein Licht in des Leutnants Augen aufleuchten.»Gefällt Ihnen das?»
«Und ob, Sir.»
Es war gut, wieder an Bord der Benbow zu sein. Sie mochte noch neu und bis jetzt unerprobt sein, aber sie hatte schon etwas Persönliches und eine Wärme, die man auf dem Schiff, das sie eben besucht hatten, vermißte. Vielleicht war es Herricks Einfluß zuzuschreiben. Die Atmosphäre auf den Schiffen, dachte Bolitho, würde immer einen Rest Unerklärliches behalten.
Herrick kam zu ihm in die Kajüte und wartete geduldig, während Bolitho sich von seinem nassen Hut und Mantel befreite.
«Nach Kopenhagen, Thomas. Wir müssen gleich Kurs um Skagen absetzen. Ich werde das Geschwader informieren, was uns bevorsteht. «Er lächelte, als er Herricks ernstes Gesicht sah.»Soweit ich es selber weiß, natürlich.»
Mindestens einhundert Meilen waren es bis Skagen, dem nördlichsten Punkt Dänemarks. Bis dahin blieb Bolitho genügend Zeit, seine Anweisungen zu studieren und vielleicht zwischen den Zeilen zu lesen, was nicht darin stand.
Bolitho lag zurückgelehnt in einem Stuhl, während Allday ihn rasierte. Es war früher Morgen und jenseits der salzverkrusteten Fenster noch kaum hell, aber Bolitho war schon seit einer Stunde wach und dabei, sich auf einen entscheidenden Tag vorzubereiten, indem er noch einmal seine Instruktionen durchging und prüfte, ob er bisher irgend etwas übersehen hatte.
Es überraschte Bolitho, daß er innerlich so ruhig war. Er döste sogar etwas vor sich hin, während das Rasiermesser sanft über seine Kehle glitt, und hörte dem Platschen von Wasser und den taktmäßigen Schritten nackter Füße über seinem Kopf zu. Die Mannschaft war beim morgendlichen Deckswaschen.