Литмир - Электронная Библиотека

Bolitho packte die Reling. Von den aufblitzenden Kanonen zog Rauch ab. Eisen jaulte über das Achterdeck, ein paar gebrochene Leinen und lose Blöcke fielen ohne Schaden anzurichten in die straffgespannten Netze.

«Abwarten!»

Er rieb sich die Augen, denn wieder wirbelte Qualm übers Deck; dicht vor dem Backbordbug standen, wie abgesägt, die Masten des Schiffes, das ihnen am nächsten war. Wieder ruckte das Deck, mehrere Treffer schmetterten in den Rumpf, und plötzlich fiel ihm ein, wie er seinerzeit Draffen auseinandergesetzt hatte, die Euryalus sei wegen ihrer französischen Konstruktion ein Schiff von überlegener Kampfkraft. Ein makabrer Gedanke: Draffen lag jetzt tief unten in der finsteren stillen Kabellast in seinem Rumfaß; und die Lebenden warteten indessen auf Kampf und Tod.

Er trat an die Hängemattsnetze — ein kleiner Farbfleck wurde über dem Qualm sichtbar. Die spanische Flagge wehte von der Gaffel; er hatte also die richtige Stelle für seinen Durchbruch abgepaßt.

«Batteriedecks klar zum Feuern!»

Die Midshipmen eilten zu den Niedergängen, und er stellte sich Weigall und Sawle vor, dort unten in ihrer Dämmerwelt; doch vielleicht blinkten die mächtigen Rohre schon in den offenen Stückpforten.

Meheux stand mit dem Blick aufs Achterdeck; Bolitho fiel auf, daß er den Degen wie bei der Parade an die Schulter gelehnt hatte. Mit plötzlichem Erschrecken faßte er an seine Hüfte und rief:»Meinen Degen!»

Allday kam gelaufen.»Aber Captain, Sie können ihn doch jetzt gar nicht halten!»

«Her damit!«Bolitho befühlte seine Seite und wunderte sich selbst über die abergläubische Bedeutung, die er seinem Degen beimaß. Doch er war ihm wichtig, obwohl er es nicht in Worte fassen konnte.

Er blieb stehen, bis Allday ihm das Koppel umgeschnallt hatte, und sagte nur:»Linkshändig oder nicht — man kann nie wissen!»

Allday nahm bei den Netzen Aufstellung und behielt ihn fest im Auge. Solange er seinen Entersäbel halten konnte, würde der Kommandant seinen Degen nicht brauchen müssen, das hatte er sich geschworen.

Ein neuer Laut ließ alle nach oben blicken. Kreischend, heulend wie ein Gespenst, fuhr es hoch über Deck dahin und verschwand im driftenden Qualm.

«Kettenkugeln«, sagte Bolitho kurz.

Die Franzosen versuchten stets, den Gegner zu entmasten, wenn irgend möglich, oder ihn manövrierunfähig zu schießen, während die britischen Batterien normalerweise auf den Rumpf zielten, um dort so viel Schaden an Schiff und Mannschaft anzurichten, daß der Gegner sich ergab.

Der Qualm glühte rot, vom Vorschiff her kamen Schreie, denn noch weitere Kettenkugeln sägten an den Karronaden vorbei und schnitten durch Wanten und Stage wie die Sichel durch Gras.

Eine starke Fallbö trieb den Rauch zur Seite, und während das Geschützfeuer die feindliche Linie entlanglief, sah Bolitho den nächsten spanischen Vierundsiebziger nur eine knappe Kabellänge vor ihrem Backbordbug. Kurz bevor sich der Qualm wieder setzte, stand das Schiff auf der glitzernden See, klar und deutlich, die vergoldeten Schnitzereien und die eleganten Heckaufbauten schimmerten, und auf der hohen Kampanje knallten bereits Musketen.

An Steuerbord schor das zweite spanische Schiff etwas aus; Klüver und Vormars killten, als der Kommandant sich bemühte, dem ansegelnden Dreidecker auszuweichen.

Broughton stand noch so da wie vorhin: reglos, mit herabhängenden Händen, wie versteinert.

«Sir! Nicht stehenbleiben!«Bolitho deutete auf das spanische Schiff.»Da sind Scharfschützen!»

Wie zur Bestätigung dieser Warnung flogen Splitter von den Planken hoch wie Daunenfedern, und ein Mann am Geschütz schrie schmerzlich auf, denn eine Kugel war ihm in die Brust gefahren. Trotz seines Schreiens und Sträubens wurde er nach unten geschafft; er war wohl noch so weit bei Sinnen, daß er wußte, was ihn dort im Orlop-deck erwartete.

Broughton erwachte aus seiner Trance und ging weiter auf und ab. Er zuckte nicht einmal, als ein Toter von der Großrah abstürzte, auf die Netze fiel und dann über Bord rollte. Er schien jenseits von Furcht und Schmerz zu sein: als wäre er schon tot.

Schmetternd krachte es gegen den Rumpf; und dann, als der Qualm wieder abzog, sah Bolitho das spanische Schiff in Höhe seines eigenen Fockmastes. Sie passierten die feindliche Linie! Jeder Nerv in seinem Leib zuckte bei dem Gedanken. Er packte die Reling.»Mr. Meheux! Beide Batterien! Befehl weitergeben!«Hoffentlich konnte er den Krach überschreien. Tastend und fluchend versuchte er, seinen Degen zu ziehen. Es war hoffnungslos.

«Moment, Sir, ich mache das!«Pascoe.

Bolitho nahm den abgewetzten Griff in die Linke und lächelte ihm zu.»Danke, Adam. «Dachte der Junge in diesem Sekundenbruchteil dasselbe? Daß diese alte Klinge eines Tages ihm gehören würde?

Er hielt sie hoch über den Kopf, das dunstige Sonnenlicht blinkte auf der scharfen Schneide, bis sich der Qualm wieder übers Deck wälzte.

«Ziel erfassen!«Er zählte die Sekunden.»Feuer!»

Das Schiff schwankte heftig, als Deck für Deck, Geschütz für Geschütz, die todbringenden Breitseiten an Backbord und Steuerbord blitzten und krachten. Er hörte das Stöhnen brechender und fallender Spieren, spitze Schreie im Qualm — das nächstliegende Schiff mußte schwer getroffen sein. Und das war noch nicht einmal der eigentliche Anfang. Das tiefe Aufbrüllen der untersten Batterie von Zweiunddrei-ßigpfündern übertönte alles; ihr Rückstoß erschütterte das Schiff bis in den Kiel. Ihre Doppelsalve fegte mit erbarmungsloser Genauigkeit in die spanischen Schiffe. Das an Steuerbord hatte die Stengen von Fock- und Großmast verloren, die verkohlte Leinwand stürzte ins Wasser wie Müll. Der nächste Zweidecker trieb vorm Winde ab, sein Ruder war weg, und das Heck gähnte als riesige schwarze Höhle in das Sonnenlicht. Was die Breitseite in den Batteriedecks angerichtet hatte, konnte man nur ahnen.

Ein verschwommenes Gebilde kam hinter dem anderen Spanier aus dem Rauch, und Bolitho vermutete, es sei das Schiff des stellvertretenden Admirals. Die untere Batterie der Euryalus hatte bereits neu geladen und harkte über den Bug des Franzosen, bevor dieser von seinem Nebenmann freigekommen war. Bolitho sah, wie seine Geschütze Feuer und Rauch spuckten, wußte aber, daß man sich dort wenig um genaues Zielen kümmern konnte.

«Klar zum Halsen, Mr. Partridge!»

Sie waren durch! Schon war der manövrierunfähige Vierundsiebziger im Rauch verschwunden, und bis zum nächsten Schiff, dem dritten in der Linie, klaffte eine mächtige Lücke.

Mit knarrenden Rahen, unter Befehlsgebrüll, das den Kanonendonner übertönte, drehte die Euryalus langsam und ging die feindliche Linie von hinten an. Das war ganz etwas anderes! Nun hatten sie in Luv den Windvorteil und konnten den Feind unbehindert vom Kanonenqualm beobachten. Bolitho atmete erleichtert auf, denn Masten und Rahen der Euryalus waren noch unbeschädigt. Allerdings waren die Segel durchlöchert, Tote und Verwundete lagen an Deck. Einige waren Opfer der Scharfschützen in den Masten des Feindes, die meisten jedoch waren von Splittern und herumfliegenden Holzstücken niedergemäht worden.

Irgendwo achtern ertönte nervenzerreißendes Krachen, und als er sich über die Reling beugte, wollte er seinen Augen nicht trauen: wie betrunken schwankte die Impulsive in einem Chaos zerbrochener Spieren; sie hatte die feindliche Linie erst zur Hälfte passiert. Der Fockmast war vollkommen weg, nur das Kreuzmarssegel schien noch intakt zu sein. Große Löcher klafften überall, und eben jetzt stürzte die Großmaststenge krachend in den Rauch, driftete längsseit und zog das Schiff noch mehr in den Feuerbereich des französischen Zweideckers. Kettenkugeln hatten sie fast entmastet; er sah bereits, daß noch ein weiteres französisches Schiff über Stag ging, um sie unter Feuer zu nehmen, so wie die Euryalus vorhin den Spanier. Er mußte sich wieder seinem eigenen Schiff zuwenden, aber seine Ohren konnte er vor dem Donner dieser furchtbaren Breitseite nicht verschließen. Er sah Pascoe mit schreckgeweiteten Augen hinüberstarren.

93
{"b":"113273","o":1}