In Bolithos Arm klopfte das Blut, vielleicht vor Aufregung. Das Schiff konnte wieder ein Kauffahrer sein oder aber eine feindliche Patrouille. Vielleicht sogar die Spitze eines großen Verbandes. Aber diesen Gedanken ließ er fallen. Wenn das Schiff zum Geschwader aus Cartagena gehörte, hatte es sich erheblich von seiner Station entfernt; und wenn der Feind wirklich hinter Broughton hergewesen wäre, hätte er keine Zeit verschwendet und gleich den ganzen Verband eingesetzt.
Er nahm ein Teleskop und ging rasch aufs Achterdeck. Jetzt konnte er das Glas schon besser mit einer Hand regieren; und als er es über die Valorous hinaus richtete, sah er das kleine Viereck eines Segels, das auf der Kimm zu ruhen schien.
Ashton, hoch überm Deck und mit seinem starken Glas, hatte weit bessere Sicht.»Zweidecker, Sir«, erklang seine Stimme schrill über das Rauschen der Takelage.»Hält auf uns zu!»
Bolitho eilte wieder aufs Hüttendeck.»Wir sollten lieber Segel kürzen, Sir. Dann wissen wir genau Bescheid.»
«Na schön«, nickte Broughton,»geben Sie entsprechendes Signal.»
Die Zeit schlich dahin, die Matrosen faßten ihr Mittagessen, schwerer Rumgeruch hing in der Luft. Es hatte schließlich keinen Sinn, die tägliche Routine zu unterbrechen, wenn noch reichlich Zeit für die
Entscheidung war, welche Aktion man einleiten sollte — falls überhaupt eine.
Für einen Zweidecker kam das fremde Schiff sehr schnell auf. Die voll ziehende Leinwand war gut zu erkennen. Der Kommandant hatte sogar Leesegel setzen lassen, so daß der Rumpf beinahe unter der Pyramide aus steifem Tuch verschwand.
Erregt gellte Ashton:»Sie setzt Erkennungssignal, Sir!»
«Ach du lieber Gott!«Broughton biß sich auf die Lippe und starrte zu dem Midshipman hinauf, der auf dem Eselshaupt des Großmastes saß. Tothill war zu Ashton aufgeentert, und beide blätterten im Signalbuch; es schien sie gar nicht zu stören, daß das Deck so tief unter ihren baumelnden Beinen lag.
«Einer von uns, Sir«, sagte Bolitho.»Verstärkung, möglicherweise. Aber auf alle Fälle werden wir Neues hören.»
Ungläubig starrte er zum Mast empor und wollte seinen Ohren nicht trauen. Denn:»Die Impulsive, Sir, vierundsechzig Geschütze, Kommandant Captain Herrick!«schrillte Tothill.
Broughton fuhr herum und fragte scharf:»Kennen Sie den Mann?»
Bolitho konnte nicht gleich antworten. Thomas Herrick! Wie oft hatte er an ihn gedacht und an Adam, seinen Neffen, hatte sich ausgemalt, wo sie waren und was sie erleben mochten. Und jetzt war er hier. Hier!
«Seit Jahren, Sir«, antwortete er endlich.»Er war mein Erster Offizier. Und ist mein bester Freund.»
Broughton musterte ihn mißtrauisch und befahl dann kurz:»Signal an Geschwader: >Beidrehen.< Und an die Impulsive: Kommandant zu mir an Bord!<«Er sah zu den Flaggen auf, die sich im Wind entfalteten.»Hoffentlich taugt er was!»
Bolitho lächelte.»Wäre er nicht gewesen, Sir, würde dieses Schiff noch unter französischer Flagge segeln.»
«Na, wir werden ja sehen«, knurrte der Admiral.»Ich bin achtern, wenn er an Bord kommt.»
Keverne wartete, bis Broughton gegangen war, und fragte dann:»War er tatsächlich so entscheidend daran beteiligt, daß dieses Schiff genommen wurde, Sir? Mit einem kleinen Vierter-Klasse-Schiff?»
Nachdenklich sah Bolitho ihn an.»Mein eigenes Schiff war fast kampfunfähig. Captain Herrick hat sich ohne zu zögern dazwi-schengeworfen, mit seinem kleinen Vierundsechziger, der außerdem noch erheblich älter ist als Sie. «Er deutete auf das geschäftige Achterdeck.»Genau da, wo Mr. Partridge steht, war es — da hat sich der französische Admiral ergeben.»
«Das habe ich nicht gewußt«, antwortete Keverne betroffen. Er starrte auf das ordentliche Deck, als erwarte er, noch Spuren des blutigen Kampfes zu sehen.
Tothill kam an einem Backstag heruntergerutscht und rief:»Alle Schiffe haben bestätigt, Sir!»
«Mr. Keverne«, sagte Bolitho,»führen Sie das Manöver aus. Und lassen Sie die Ehrenwache antreten, damit unser Gast anständig empfangen wird.»
Bolitho führte seinen Freund auf die Kampanje, weg von der brütenden Hitze und der schlagenden Leinwand, und sah ihm erst einmal gründlich ins Gesicht.»Thomas, es ist wirklich schön, daß Sie da sind!»
Beim Anblick von Bolithos verwundetem Arm war Herrick zunächst erschrocken, jetzt aber grinste er übers ganze Gesicht.»Ich brauche nicht erst zu erläutern, wie mir war, als ich Order bekam, zu Ihrem Geschwader zu stoßen.»
Bolitho fing das unregelmäßige Schwanken ab, mit dem die Eurya-lus auf den Seegang reagierte, und musterte ihn neugierig. Er war etwas voller im Gesicht, unter dem goldbetreßten Dreispitz sahen einige graue Haare hervor, aber er war immer noch derselbe. Dieselben Augen vom hellsten Blau, das Bolitho je gesehen hatte.
«Erzählen Sie mir von Adam. Ist er noch bei Ihnen?»
«Aye. Und der Wunsch, Sie wiederzusehen, brennt ihn fast zu Asche.»
Bolitho lächelte.»Wenn Sie mit Sir Lucius gesprochen haben, können wir uns unterhalten.»
Freudig faßte Herrick seinen gesunden Arm.»Das werden wir!»
Als Bolitho zur Seite trat, um Herrick den Vortritt auf der Leiter zu lassen, sah er die beiden goldenen Epauletten auf seinen Schultern. Ein älterer Kapitän war er also jetzt! Trotz allem hatte Herrick es geschafft und sich durchgesetzt, genau wie er selber.
Sie traten in die geräumige Kajüte, und Broughton erhob sich von seinem Schreibtischsessel.»Sie haben Depeschen für mich, Captain?«Er tat sehr dienstlich.»Ich habe nicht damit gerechnet, daß ich Verstärkung bekomme.»
Herrick legte einen versiegelten Umschlag auf den Tisch.»Von Sir John Jervis, Sir. «Er verzog den Mund.»Pardon, ich meine Lord St. Vincent, wie sein Titel jetzt lautet.»
Broughton warf den Umschlag dem verlegen dabeistehenden Cal-vert zu und sagte:»Erzählen Sie mir, was es Neues gibt. Was wurde aus der verdammten Meuterei?»
«Es gab einiges Blutvergießen«, antwortete Herrick zurückhaltend,»und ziemlich viel Geschrei; doch als Ihre Lordschaften gewisse Konzessionen gemacht hatten, erklärten sich die Leute bereit, den Dienst wieder aufzunehmen.»
«Erklärten sich bereit!«Ungläubig starrte Broughton ihn an.»Ist das alles?»
Ernst wandte Herrick die Augen ab.»Die Rädelsführer wurden gehängt, Sir, aber vorher wurden einige Offiziere wegen Unfähigkeit abgelöst.»
Broughton sprang auf.»Woher wissen Sie das alles?»
«Mein eigenes Schiff war an der Nore-Meuterei beteiligt, Sir.»
Der Admiral schien zu glauben, er habe nicht richtig gehört. »Ihr Schiff? Heißt das, Sie haben dabeigestanden und sich das Schiff we g-nehmen lassen?»
Gelassen erwiderte Herrick:»Ich hatte keine Wahl, Sir. «Bolitho sah die altbekannte Dickköpfigkeit aus Herricks Augen blitzen, als er jetzt weitersprach:»Und überhaupt hielt ich die me isten Forderungen für berechtigt. Ich konnte auch an Bord bleiben, weil sie wußten, daß ich sie verstand — wie viele andere Offiziere übrigens auch.»
Eilig unterbrach Bolitho:»Das ist sehr interessant, Captain. «Hoffentlich verstand Herrick die Warnung.»Sir Lucius hat ganz ähnliche Erfahrungen in Spithead gemacht. «Er lächelte Broughton freundlich an.»Nicht wahr, Sir, das stimmt doch?»
Broughton öffnete den Mund, schloß ihn wieder und sagte dann:»Äh. Bis zu einem gewissen Grade, ja.»
Herrick trat einen Schritt näher.»Aber, Sir, ich habe Ihnen noch nicht berichtet, was sich auf der Fahrt hierher ereignet hat. Ich stieß bei Cadiz zu Lord St. Vincent und bekam Order, Ihr Geschwader zu suchen. Er braucht die Bombenwerferschiffe für einen Angriff auf Teneriffa, glaube ich. Unter Führung von Konteradmiral Nelson. »
«Konteradmiral ist er schon?«knurrte Broughton.
Herrick verkniff sich ein Lächeln.»Aber vor zwei Tagen sichteten wir ein fremdes Segel vor Malaga. Ich schnitt ihm den Weg zur Küste ab und machte mich an die Verfolgung. Es war eine Fregatte, Sir, und obwohl mein Vierundsechziger ziemlich schnell ist, kam ich da nicht mit. Aber ich blieb zunächst dran; heute früh erst habe ich sie verloren. Als ich Ihre Nachhut sichtete, dachte ich, sie wäre es.»