Partridge räusperte sich und hielt seine mächtige Taschenuhr vors Auge.»Sie gibt Signal, daß sie durch ist, Sir. Beinahe fünfzehn Minuten diesmal.»
Broughton warf dazwischen:»Ich hoffe, Ihre Zweiunddreißig-pfünder sind ihr Futter wert. «Er lächelte; die straff von den gleichmäßigen Zähnen we ggezogenen Lippen verrieten, welche Anstrengung ihn das kostete.
Aber Bolitho hatte andere Dinge im Kopf. Fünfzehn Minuten, in denen das Schiff nochmals einem gnadenlosen Artilleriebeschuß ausgesetzt war. Die spanischen Kanoniere brauchten nicht einmal die Erhöhung ihrer Geschütze zu ändern. Sie brauchten nur abzuwarten, bis ein Schiff nach dem anderen über diesen Streifen offenen Wassers segelte, und dann zu feuern. Auch gegen die Sonne war das so leicht wie Hühner vom Ast zu schießen.
«Ich schlage vor, Sie signalisieren dem Geschwader >Aktion ein-stellen<, Sir. «Er hatte ganz leise gesprochen, aber Broughton fuhr hoch, als hätte er ihn gröblich beschimpft. Rasch sprach Bolitho weiter:»Unabhängige Operationen zur Unterstützung der Landungskorps wären…»
Weiter kam er nicht.
«Niemals! Bilden Sie sich ein, ich kneife vor ein paar lausigen
Dons? Bei Gott, ich dachte, Sie hätten ein bißchen mehr Mumm im Leibe!«Wütend, fast verächtlich starrte er Bolitho an.
Der sah an ihm vorbei und rief:»Fock setzen, Mr. Keve rne! Dann Bramsegel!«Fest sah er dem Leutnant in die schreckgeweiteten Augen.»So schnell wie möglich!»
Die Männer schwärmten an den Webeleinen hoch, und Bolitho schritt absichtlich langsam zur Achterdecksreling. Er wußte, daß Broughton hinter ihm herstarrte, aber das war ihm egal. Broughton hatte seine Entscheidung getroffen, und dem Befehl mußte er gehorchen. Aber die Euryalus war sein Schiff, und er würde sie nach bestem Können einsetzen; Broughton mochte denken, was er wollte.
Die große Breitfock bauschte sich knallend, und der Druck des Windes warf die Männer durcheinander. Gischt sprühte über die Gali-onsfigur und den Klüverbaum.
«Voll und bei!«rief er Partridge zu.
«Voll und bei, Sir. West zu Nord liegt an.»
Die dunkle Landzunge glitt schneller vorbei; prall stand die Leinwand im Sonnenlicht. Hoch überm Deck arbeiteten die Toppmatrosen wie die Teufel, und durchs Teleskop sah Bolitho, wie ein paar MarineInfanteristen auf der Landzunge Freudensprünge vollführten und die Musketen schwenkten, als das Flaggschiff die Landenge passierte.
Die andere Seite der Bucht lag jetzt in flimmerndem Dunst, oder vielleicht war es auch der Qualm von der Tanais. Wie blau das Wasser unter diesem fernen Landstreifen war! Blau und unerreichbar. Bolitho fuhr sich mit der Zunge über die knochentrockenen Lippen.
«Mein Gott, mein Gott!«flüsterte Lucey. Wahrscheinlich wußte er gar nicht, daß er etwas sagte.
Im Vorschiff stand Meheux, einen Fuß leicht auf das Gestell der Karronade gestützt, und spähte in die Bucht. Er hatte den Degen gezogen, und jetzt hob er ihn ganz langsam über den Kopf. Reglos stand er in der Sonne, und Bolitho erinnerte sich an ein Kriegerdenkmal, das er irgendwann in Exeter gesehen hatte.»Ziel in Sicht, Sir!«rief Me-heux und schwenkte dabei leicht den Degen.
Bolitho spürte die starre, fast körperlich greifbare Spannung, die ihn umgab.»Feuer frei!«rief er durch die hohlen Hände. Von den Matrosen, die dort hinter ihren Geschützen hockten, sahen einige zu ihm auf, maskenhaft unbewegt. Er zwang seine Lippen zu einem Grinsen und schrie:»Ruft hurra, Jungs! Zeigt ihnen, daß wir kommen!»
Eine Sekunde lang geschah gar nichts, und während das Schiff gleichmäßig an den letzten Klippen vorbeipflügte, dachte Bolitho, sie wären zu verzweifelt, um zu reagieren. Aber dann sprang ein Matrose auf einen Zwölfpfünder und brüllte:»Ein Hurra für die Euryalus! Und Hurra unserm Dick!»
Wildes Geschrei fegte über das Deck, die Männer in den vollgestopften unteren Batterien nahmen es auf, und Bolitho schwenkte den Hut für sie alle. Jetzt ging der Irrsinn wieder los. Bis zum nächsten Mal. Und immer wieder.
«Feuer, wenn Ziel erfaßt!«Meheux' Stimme ging in dem Tohuwabohu fast unter.
Die ersten Kanonen im Vorschiff brüllten auf. Bolitho packte die Reling. Das harte Bellen der Oberdeckgeschütze ging im ohrenzerreißenden Dröhnen der Zweiunddreißigpfünder fast unter. Qualm stieg aus den unteren Stückpforten auf, wirbelte um die Decksgänge nach oben; Bolitho rieb sich die tränenden Augen und spähte auf das ferne Kastell, um das die Wassersäulen der ersten Salve hochsprangen. Was da wie weißer Puder aussah, war Schutt von der Festungsmauer, der einzige Schaden, den das Geschwader bisher angerichtet hatte.
«Lieber Gott«, murmelte Keverne heiser,»das ist ja, als wolle man eine Eiche mit 'nem Zahnstocher fällen!»
Das Feuer ging in Dreiergruppen weiter, die Kanonen glitten zurück, wurden ausgeputzt und neu geladen; die Männer waren schon halb betäubt und arbeiteten ganz mechanisch. Putzen, laden und ausrennen — sonst gab es überhaupt nichts mehr: weiterfeuern, ganz gleich, was kam.
Meheux schritt jetzt die Reihe der Kanonen ab, manchmal tippte er mit dem Degen auf ein Verschlußstück oder deutete auf eine bestimmte Stelle des Forts, um dem betreffenden Geschützführer einen Hinweis zu geben. Sein Gesicht war vor Konzentration verzerrt.
«Wo ist die andere Abteilung Marine-Infanterie?«fragte Broughton.»Hauptmann Giffard müßte doch inzwischen den Dammweg erreicht haben.»
Bolitho antwortete nicht. Der Kopf dröhnte ihm vom Kanonendonner, seine Augen bluteten beinahe vor Qualm und Anstrengung; er konzentrierte sich ganz auf das Fort. Er konnte den dunklen Flecken unter der runden Mauer erkennen, wo der Eingang von See lag, und auch die Doppellinie viereckiger Fenster, wie Schießscharten, die anscheinend um den ganzen Bau gingen.
Da blitzte es in zweien dort oben grell auf, und er bildete sich ein, die Kugel über die See direkt auf sich zufliegen zu sehen. Ein dumpfer Schlag gegen die untere Bordwand — die andere Kugel jagte weit vorn eine Schaumfontäne hoch.
Er blickte nach achtern. Das Schiff hatte die Bucht fast zur Hälfte überquert; da alle Segel gut zogen, mußte es in fünf Minuten die andere Landzunge erreicht haben.
Wieder die unheilverkündenden Feuerzungen, und diesmal schmetterten die Kugeln in die Bordwand der Euryalus wie Eisenhämmer in eine hölzerne Schachtel.
Drei Treffer; wie schwer, das wußte er noch nicht. Aber das Kastell war äußerlich unbeschädigt, nur an ein paar Stellen lag etwas Schutt.
Achteraus konnte er erkennen, daß die Masttopps der Valorous die Landzunge rundeten, und konnte sich vorstellen, was Fourneaux denken mochte, wenn er das Flaggschiff im Feuer der schweren Festungsgeschütze liegen sah.
«Kann ich der Valorous signalisieren, daß sie sich heraushalten soll,
Sir?»
«Heraushalten?«Broughtons starre Augen waren jetzt auf ihn gerichtet.»Haben Sie >heraushalten< gesagt?«Ein Muskel zuckte auf seiner Wange, als die untere Batterie wieder losdonnerte und die herausschießenden Mündungsflammen den Qualm nach Lee trieben.
Wortlos musterte Bolitho sekundenlang den Admiral. Daß sein Geschwader nicht imstande war, dem Kastell ernsthaften Schaden zuzufügen, schien ihn völlig aus der Fassung zu bringen; oder vielleicht war er auch nur von dem unaufhörlichen Kanonendonner betäubt.
Bolitho nahm jetzt keine Rücksicht mehr.»Hier werden Schiffe ohne Sinn und Zweck geopfert, Sir. «Er fuhr zusammen, denn die Planken unter seinen Füßen ruckten heftig. Wieder ein Treffer, irgendwo unter dem Achterdeck.
Doch da blies der Wind auf einmal den Qualm vom Deck; jetzt erst konnte er Broughtons Gesicht richtig sehen und erkannte blitzartig, daß er sich die ganze Zeit geirrt hatte: Broughton hatte ihn gar nicht testen oder sich ein Bild über seine taktischen Fähigkeiten machen wollen! Wie ein Eiswasserguß über den Rücken kam ihm die Erkenntnis, daß Broughton keine Ahnung hatte, was er tun sollte! Sein Plan war zu starr, und wenn er nicht funktionierte, hatte er keine Alternative parat!