«Sie kommt schnell auf, Sir.»
Wieder überlegte er, ob er selbst auf entern sollte. Aber statt dessen fragte:»Fünfzig Kanonen meinen Sie, Mr. Keverne?»
«Aye, Sir. Ich kenne den Typ. Gut bewaffnet gegen Piraten und dergleichen. Wir könnten sie Meile um Meile einholen, aber wahrscheinlich ist sie zu wendig für uns.»
«Damit kommen wir auch nicht weiter«, fuhr Broughton wütend dazwischen.
«Wir müssen sie dicht herankommen lassen, Sir. «Rasch ging Bolitho zum Rad hinüber und wieder zurück, ohne es recht zu merken.»Aber wir müssen den Windvorteil behalten. Sonst können wir uns bald ihr Heck besehen.»
«Vielleicht sollten wir die französische Flagge hissen, Sir?«schlug Partridge vor.
Der Admiral hieb sich vor Ungeduld auf den Schenkel.»Viel zu auffällig!»
Er sah Hauptmann Giffard und seinen Leutnant mit Teleskopen auf dem Achterdeck stehen und das fremde Schiff betrachten.»Weg mit diesen Offizieren da! Rotröcke auf einem französischen Kriegsschiff — was bilden Sie sich eigentlich ein, Giffard?»
Die beiden Marine-Infanteristen verschwanden wie der Blitz.
«Mann über Bord, Sir«, sagte Bolitho langsam.
«Wie war das?«Broughton starrte ihn an, als sei er verrückt geworden. »Mann über Bord?»
«Der einzige Grund, weshalb ein Schiff auf hoher See halsen kann, ohne Verdacht zu erregen.»
Broughton öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Unsicherheit und Zweifel überwältigten ihn fast.
«Wir brauchen einen guten Schwimmer«, fuhr Bolitho mit sanfter Überredung fort.»Und die Besatzung der Jolle muß schon bereitstehen. Wir können sie später wieder aufgreifen. Ist einen Versuch wert, Sir«, schloß er mit zuversichtlichem Nicken.
Schweigend überlegte Broughton.»Es könnte klappen«, sagte er schließlich.»Und wir hätten Zeit, um…«Er stampfte auf die Planken.»Jawohl, bei Gott! Wir probieren es!»
Bolitho atmete tief.»Mr. Keverne, holen Sie die Breitfock ein. Wir bleiben unter Marssegel und Klüver. Das ist bei diesem Kurs ganz normal, sie werden nicht groß darauf achten. «Keverne eilte hinweg, und Bolitho wandte sich an Partridge.»Das wird unsere Fahrt ein bißchen mindern. Wir wollen auch nicht zu sehr vor ihren Bug kommen.»
Grinsend nickte Partridge, so daß sein Doppelkinn an der Halsbinde wabbelte. Er hatte sich zwar geärgert, als Broughton seinen Vorschlag so scharf ablehnte, schien aber bereits wieder bester Laune zu sein.
Von Kevernes Sprechtrompete angetrieben, rannten die Matrosen an die Schoten und Fallen, und die Fock schlug knatternd nach innen.
Als der Erste zurückkam und» Fock auf geholt und festgemacht!«meldete, sagte Bolitho:»Schicken Sie einen erfahrenen Unteroffizier nach oben, der den Spanier genau beobachtet und sofort meldet, wenn er Miene macht, abzudrehen. Anschließend können Sie die Männer auf Gefechtsstationen pfeifen. Wir können das Oberdeck jetzt nicht gefechtsklar machen; es muß also nachher schnell und gut klappen.»
Keverne eilte hinweg, und Broughton fragte ungeduldig:»Wie lange?»
«Eine Stunde höchstens, Sir. Ich gehe noch einen Strich höher an den Wind. Das hilft etwas.»
«Und in drei Stunden ist es so dunkel, daß man nichts mehr sieht«, nickte Broughton grimmig.»Also dann!»
Der Admiral wandte sich zur Kampanje, blieb aber noch einen Moment stehen und sagte ganz sanft:»Aber wenn Sie mir mein Flaggschiff dabei kaputtmachen, Bolitho, dann geht's Ihnen dreckig, das kann ich Ihnen versprechen!»
Bolitho sah zum Steuermann hinüber.»Einen Strich nach Luv!«Dann zwang er sich dazu, langsam, die Hände auf dem Rücken, an der Luvseite auf und ab zugehen. Wenn der Euryalus etwas passiert, dann geht's uns allen dreckig, dachte er.
Bolitho hielt sein Glas auf das fremde Schiff gerichtet. Seit es zuerst über der Kimm erschienen war und die Euryalus gefechtsklar gemacht hatte, wartete er auf irgendwelche Anzeichen, daß der Spanier etwas gemerkt hatte; aber das Schiff drüben hielt seinen Kurs und lag nun knapp zwei Meilen entfernt. Wenn die Euryalus auf ihrem jetzigen Kurs weitersegelte, würde der Spanier mit etwa einer Meile Abstand ihr Kielwasser kreuzen.
Keverne hatte das Schiff ganz richtig beschrieben: ein Zweidecker unter allen verfügbaren Segeln, ein schöner Anblick in voller Fahrt; der Schaum spritzte über die knallrot und blau gemalte Galionsfigur bis zur Höhe ihrer bauchigen Fock. Bolitho konnte noch das altmodische dreieckige Besansegel über der reichgeschnitzten Kampanje ausmachen und die Sonnenreflexe auf den Teleskopen der Offiziere, die sie auf die Euryalus gerichtet hatten, wobei sie sich zweifellos die Köpfe darüber zerbrachen, wer sie sei und was sie hier zu suchen habe.
«Langsam kommen wir der Sache näher«, sagte Keverne grimmig.
Bolitho schritt zur Achterdecksreling und sah unten einen kräftigen Matrosen inmitten einer schnatternden Gruppe von Gaffern stehen.
«Fertig, Williams?»
Der Mann schielte zu ihm hinauf und grinste unsicher.»Aye, Sir.»
Bolitho nickte. Wohlwollende hatten ihn zweifellos kräftig mit Rum gelabt. Nicht zu kräftig, war zu hoffen, sonst konnte sich die Kriegslist zu einem plötzlichen Begräbnis auf hoher See auswachsen. Bolitho ging wieder nach Luv hinüber, richtete sein Glas auf das fremde Schiff und befahl:»Mr. Keverne, mittleres und unteres Batteriedeck sollen die Steuerbordgeschütze doppelt laden. Sorgen Sie dafür, daß erst auf ausdrücklichen Befehl ausgerannt wird. Wenn auch nur ein Rohr vorzeitig erscheint, sind unsere Freunde auf und davon.»
Keverne winkte einem Midshipman, und Bolitho rief Leutnant Me-heux, der das obere Batteriedeck kommandierte. Mit ungewöhnlich düsterer Miene starrte er auf seine Kanonen.
«Keine Angst, Mr. Meheux, Ihre Geschützbedienungen werden bald genug zu tun bekommen. Aber wenn die drüben sehen, daß wir die Persennings abnehmen und laden, ist es mit der Täuschung vorbei.»
Meheux faßte an den Hut, aber der Schatten düsterer Enttäuschung hing weiterhin über seinem runden Gesicht.
Allday kam mit Bolithos Degen über das Achterdeck gerannt. Bo-litho nahm die Arme hoch, Allday schnallte ihm gewandt das Koppel um und sagte dabei:»Ich habe dem Bootsführer der Jolle gesagt, was Sie von ihm erwarten, Captain, und auch, was er kriegt, wenn er's verpatzt. «Dabei grinste er schadenfroh.
Bolitho runzelte die Stirn. Der Spanier kam doch weiter achterlich vorbei, als er berechnet hatte. Jetzt mußte gehandelt werden, jetzt oder nie.
«Also los, Williams, über Bord!»
Der riesige Matrose kletterte auf den Backborddecksgang und beugte sich grimmig entschlossen über die Reling.
«Na, der gibt ja ein tolles Schauspiel ab«, murmelte Keverne grimmig. Mit Armen und Beinen um sich schlagend, verschwand Williams in der Tiefe.
«Da geht er hin!«Partridge rannte zurück auf seinen Platz beim Ruderrad.
«Mann über Bord!«Bolitho eilte zu den Netzen, die Besatzung der Jolle ließ die scheinbar anderweitige Beschäftigung sein und stürzte auf ihre Station. Erleichtert atmete er auf, als der Kopf des Matrosen dicht an der Bordwand auftauchte.»Mr. Keverne, brassen Sie das Kreuzmarssegel back! Und raus mit dem Boot!«rief er. Leicht hätte Williams in seinem Eifer den rechten Moment verpassen und sich an der ausladenden Rundung des Schiffsrumpfes einen Arm oder den Schädel brechen können.
Die Besatzung sprang in das schon längsseit liegende Boot; oben schlug das Kreuzmarssegel gegen Mast und Rah und wirkte wie die Bremse eines Frachtwagens, dem die Pferde durchgehen, eben lange genug, daß Bolitho seine Augen von dem gelenkten Durcheinander losreißen und zu dem spanischen Schiff hinüberspähen konnte. Es lag etwa zwei Kabellängen von dem Punkt entfernt, wo es das Kielwasser der Euryalus kreuzen würde, und er konnte erkennen, daß Matrosen zum Vorschiff eilten, um sich das Schauspiel anzusehen.
Er hob die Hand.»Jetzt! Klar zum Halsen!»
Schon drehte sich die Großbramrah knarrend in die alte Position zurück, und die Matrosen rannten aus ihren Verstecken auf Stationen, vom gellenden Hurrageschrei der ungeduldig wartenden Geschützbedienungen angetrieben.