«Mr. Beauclerk ist tot, Sir. «Er zitterte, aber mit fester Stimme setzte er hinzu:»Mr. Pascoe und ich haben hier das Kommando.»
Bolitho schaute zum Großtopp hinauf und suchte nach Gas-coigne. Aber es war jetzt keine Zeit mehr. Er versuchte, klaren Kopf zu behalten. Nicht auszudenken: zwei Knaben kommandierten eine Hölle wie die da unten.
Ruhig sagte er:»Schön, Mr. Penrose. Schicken Sie alle Bedienungen Ihrer Steuerbordbatterie nach oben an die Backbordgeschütze. «Er sah den Midshipman einen Augenblick prüfend an und setzte dann hinzu:»Dann laden Sie Ihre Backbordgeschütze mit Doppelkugeln. «Er wartete etwas.»Glauben Sie, daß Sie das schaffen?»
«Aye, aye, Sir!»
Inch kam hinzu.»Es dauert noch eine Viertelstunde, Sir.»
«Verstehe. «Bolitho blickte über die zerfetzten Hängemattsnetze und sah Backbord achteraus die Fockbramstenge des Franzosen sich langsam, aber unaufhaltsam zur letzten Begegnung nähern.
«Wir haben nicht mehr viel Zeit, Mr. Inch. «Seltsam, wie ruhig er schien.»Holen Sie alle verfügbaren Leute nach achtern. Aber sie sollen hinter dem Schanzkleid verborgen bleiben. Schicken Sie fünfzig von ihnen in die Kajüte und den Rest in die Offiziersmesse.»
Inchs Blick war auf den Vortopp des Feindes mit der dort auswehenden Vizeadmiralsflagge gerichtet.
Bolitho fuhr im gleichen ausdruckslosen Ton fort:»Ich werde sie entern. «Er sah, wie Inch ihn anstarrte.»Es ist unsere einzige Chance. «Dann schlug er ihm auf die Schulter und lächelte.»Etwas mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf!»
Er machte kehrt und eilte zurück auf das trümmerübersäte Achterdeck. Allday stand neben den Kanonen und ließ sein Entermesser am Handgelenk baumeln.
Eine Kugel sauste mit kreischendem Ton über sie hinweg, fuhr durch das Großmarssegel und fegte einen Seemann von seinem Sitz auf der Rah. Er fiel hinunter auf das Schutznetz und blieb mit ausgestreckten Armen wie ein Gekreuzigter liegen.
Bolitho befahl kurz:»Achtung, Mr. Gossett!«Er sah sich nicht um, als die eingeteilten Matrosen und Soldaten an ihm vorbei in das Dunkel der Hütte und andere in die Offiziersmesse darunter eilten.
Gossett konnte ihren von achtern kommenden Feind wegen des Hüttenaufbaus nicht sehen, aber er beobachtete gespannt Bolithos Gesicht.
Inch hielt sich an der Leiter und sagte:»Da kommt sie!»
Der Klüverbaum der Tornade passierte schon die Heckfenster, und als sie sich nun Meter um Meter vorschob, sah Bolitho die Männer in ihren Masten, die mit gezieltem Musketenfeuer die Offiziere der Hyperion ausschalten sollten. Die eigene Drehbasse im Großtopp bellte wieder auf, und er hörte Gascoigne jubeln, als ihre Kartätschenladung den hölzernen Schutzschild um den feindlichen Stand auf der Vormarssaling zerriß und die Scharfschützen dahinter wie Vögel vom Ast blies.
Die drei vordersten Kanonen an der Steuerbordseite der Tornade spieen Flammenzungen, und Bolitho spürte die Kugeln in sein Schiff schlagen. Eine um die andere krachte in das alte Holz oder fuhr durch die Stückpforten und trug Tod und Verderben in die untere Batterie. Bolitho knirschte mit den Zähnen und spürte die Wunden des Schiffes, als seien sie ihm selber zugefügt.
Gossett sagte leise:»Viel kann sie nicht mehr einstecken, Sir.»
Bolitho erwiderte rauh:»Sie muß!«Er zuckte zusammen, als eine Kugel durch eine Gruppe von Männern fuhr, die einen Verwundeten zum Hauptluk schleppten. Arme und Beine flogen durch die
Luft, und er sah einen alten Seemann, der auf das De ck glotzte, wo seine Hände inmitten einer sich ausbreitenden Blutlache lagen — wie ein Paar weggeworfene Handschuhe.
Er wurde von dem Anblick weggerissen, als die Tornade abermals feuerte und der gewaltige Donner ihrer Breitseite fast noch von dem Getöse übertroffen wurde, als das Eisen in die Bordwand und Decks der Hyperion schlug.
Bolitho sagte:»Jetzt, Mr. Gossett! Hart Steuerbord!«Er sah, wie einer der Rudergänger gerade in diesem Augenblick zu Boden fiel, und warf sich selber mit seinem ganzen Körpergewicht in das Steuerrad. Ruckweise gaben die Speichen unter seinen Händen nach, Beweis dafür, daß das Schiff versuchte, sich gegen den Feind, der es zerstören wollte, zu kehren. Er schrie:»Dreht weiter, Jungs!»
Er sah das französische Schiff nun fast genau querab und keine dreißig Fuß entfernt. Seine Kanonen feuerten, wurden ausgewischt, neu geladen und erneut ausgerannt, um — kaum daß der Qualm der letzten Salve fortgeweht war — erneut zu feuern. Die untere Batterie der Hyperion erwiderte das Feuer, aber die sporadischen Salven verloren sich in dem tiefen Gebrüll der feindlichen Kanonen.
Männer winkten von der Schanz der Tornade mit ihren Waffen und schrieen etwas herüber, andere machten die Scharfschützen im hinteren Mast auf ihn aufmerksam.
Inch murmelte gequält:»O Gott, es hat mich erwischt…«Er brach ab und faßte nach seiner Schulter. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
Bolitho lehnte ihn gegen das Steuerrad.»Wo sind Sie getroffen?«Er riß ihm den Rock auf und sah frisches Blut an seiner Brust hinunterlaufen.
Bolitho schrie:»Mr. Carlyon!«Als der Junge herbeistürzte, befahl er kurz:»Kümmern Sie sich um den Ersten Offizier!«Zu Inch gewandt sagte er:»Ruhen Sie sich aus, Inch.»
Dann riß er sich los und rief:»Ruder bleibt in Hartlage!«Fast taub vom Kampfgeschrei und dem mit schrecklichem Krachen zersplitternden Holz ringsum, lief er nach achtern in die Kajüte, die voll kaum erkennbarer Gestalten und mit ihrer verbrannten Täfelung und den klaffenden Löchern in den Wänden nicht wiederzuerkennen war.
Mit ihrem guten Dutzend Lecks unterhalb der Wasserlinie bewegte die Hyperion sich nur schwerfällig, aber sie folgte dem Ruder noch. Langsam, ganz langsam drehte der Bug von ihrem Angreifer weg, während das Heck im Schwung der Drehung näher an das des Dreideckers herankam.
Bolitho trat das nächstgelegene Fenster ein und faßte seinen Säbel fester. Seine Augen blickten wild und plötzlich wütend. Dann sah er seinen Bruder und Pascoe mit den anderen, und fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen.
Er hörte sich selber rufen:»Jetzt, Jungs! Auf sie und dazwi-schengeschlagen!»
Er fiel fast ins Wasser, als die beiden Schiffe knarrend zusammenstießen, aber nach kurzer Besinnung sprang er auf das reich verzierte Heckgeländer des Franzosen hinüber und hielt sich mit aller Kraft fest, während die anderen sich — wie die Verrückten brüllend — neben und über ihm hinüberschwangen. Unter seinen Beinen sah er Stepkyne mit seiner Gruppe aus den Fenstern der Offiziersmesse hinüberklettern. Ein Mann rutschte aus und fiel ganz langsam ins Wasser zwischen den miteinander verhakten Achterschiffen.
Vorne donnerten weiter die Kanonen und schrien Verwundete auf, während Bolitho mit gezogenem Säbel durch ein Heckfenster in die verlassene Kajüte stürmte. Weiter nach vorn! Ein Bootsmannsmaat trat eine Tür ein und wurde — bevor er zur Seite springen konnte — von einer Pistolenkugel getroffen. Der Fähnrich, der die Pistole abgefeuert hatte, schrie auf, als ein Entermesser ihn fällte. Und dann waren sie draußen auf dem riesigen Achterdeck der Tornade. Überraschte Gesichter und blinkender Stahl schienen Bolitho aufzuhalten, doch als weitere Leute seiner Gruppe aus der Hütte drängten und mit den Franzosen handgemein wurden, vergaß er alles andere außer dem Wunsch, zum vorderen Teil des Achterdecks vorzudringen. Denn dort sah er, inmitten einer Gruppe von Offizieren und umgeben von mehreren bewaffneten Matrosen, einen goldbestickten Hut: Admiral Lequiller.
Als der Qualm einen Augenblick beiseitegeweht wurde, sah er sein eigenes Schiff, das jetzt in ganzer Länge längsseit lag und mit Enterhaken, die wohl von beiden Seiten geworfen worden waren, festgehalten wurde. Die Hyperion wirkte klein und fremd, und als er sich abwandte, um den Schlag eines Entermessers zu parieren, sah er, wie ihr Großmast stürzte und über die Seite ging. Jetzt war sie ganz nackt und bloß wie eine in der Werft mit Schlagseite vergammelnde Hulk.[11]