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Und die Fregatte? Er blieb unvermittelt stehen, und der Rudergänger blinzelte beunruhigt im Licht der Kompaßlampe, als Bolitho durch ihn hindurchstarrte. Sie konnte ihren Vorgesetzten melden, daß die Engländer getäuscht worden waren. Er runzelte die Stirn. Aber in welcher Absicht? Er nahm sein ruheloses Hin und Her wieder auf, war völlig von seinen Gedanken in Anspruch genommen und von der Frage, was das alles für ihn und sein Schiff bedeuten konnte.

Selbst mit einer schlecht gezielten Breitseite hätte die Hyperion die Fregatte entmasten können, als sie an ihr vorbeilief. Angenommen, sie befand sich nicht mehr auf ihrer Position, wenn die Morgendämmerung kam? Pelham-Martin bekam dann nicht einmal die Befriedigung zu wissen, daß ein feindliches Schiff vernichtet worden war, wenn er in seinem Bericht an Cavendish den Verlust der Ithuriel eingestand. Und der Kommodore würde nicht geneigt sein, die Schuld allein auf sich zu nehmen, war Bolithos ergrimmte Schlußfolgerung.

Aber was konnte den Franzosen zu seinem Verhalten veranlaßt haben? Dafür mußte es einen Grund geben.

Schließlich fühlte Bolitho sich ausgelaugt; ihm wurde plötzlich eiskalt, und er sagte erschöpft:»Ich gehe schlafen, Mr. Stepkyne.

Lassen Sie mich bitte eine halbe Stunde vor Beginn der Morgenwache wecken.»

Als er in die Dunkelheit der Hütte trat, hörte er eine Stimme bewundernd murmeln:»Der hat vielleicht Nerven! Hat so einen verdammten Froschfresser im Visier und krümmt ihm kein Haar. «Darauf Gossetts tiefer Baß:»Halt deine verdammte Klappe! Du kannst sie noch weit genug aufreißen, wenn die Kanonen donnern. »

Bolitho trat in seine Kajüte und schlug die Tür hinter sich zu. Ein paar Augenblicke blieb er völlig ruhig stehen, die Schulter gegen die Schottwand gestützt, während er mit leeren Blicken auf die schwankenden Lampen starrte.

Gossett wußte Bescheid. Weniger als ein Viertel der Besatzung hatte schon einmal den Fuß an Bord eines Schiffes gesetzt, ehe sie auf die Hyperion kamen, gar nicht davon zu reden, daß sie je das Grauen einer feindlichen Breitseite erlebt hätten.

Er preßte die Augen zu und versuchte, sich von seinen Zweifeln freizumachen. Es gab gar keine Wahl; schon seit dem Augenblick nicht mehr, als er das kaltblütige Täuschungsmanöver des französischen Kommandanten durchschaut hatte.

Beinahe hätte es geklappt, und das war das schlimmste. Trotz seiner großen Erfahrung und seiner Ausbildung hatte er nur das gesehen, was man von ihm erwartete. Der Kommandant der Fregatte hatte zwar darauf gesetzt, aber auch die Folgen eines Fehlschlags mußten ihm bewußt gewesen sein. Jede Minute mußte ihm wie eine Stunde erschienen sein, als die Hyperion mit zwei Meilen Abstand an ihm vorbeigelaufen war.

Aber was die Franzosen auch verbergen wollten, es mußte ihnen das Risiko wert sein. Zu seiner Überraschung gab ihm diese Erkenntnis Sicherheit, und als etwas später Petch mit Kaffee in die Kajüte kam, fand er Bolitho mit entspanntem Gesicht fest schlafend auf der Bank unter dem Heckfenster ausgestreckt.

Petch war eine schlichte Seele, und als er seinen Kumpanen erzählte, ihr Kommandant sei seiner Sache so sicher, daß er ihn bald fest schlafend angetroffen habe, fand seine Geschichte manche Ausschmückung.

Allday hörte sie und hatte nichts dazu zu sagen. Er kannte Bo-litho besser als jeder andere und vermutete, daß der Captain ganz wie er selbst an jene andere Begegnung vor vielen Jahren gedacht hatte, als ein ähnliches Täuschungsmanöver ihn um ein Haar Leben und Schiff gekostet hätte.

Allday prüfte im gedämpften Licht einer abgeschirmten Laterne sein schweres Entermesser. Wenn es zu einem Gefecht kommen sollte, brauchte die unerfahrene Besatzung der Hyperion mehr als Selbstvertrauen. Eine ganze Menge mehr.

IV Ein Schandname

«Captain, Sir!»

Bolitho schlug die Augen auf und starrte ein paar Sekunden lang in Inchs besorgtes Gesicht. Er hatte geträumt. Von einem grünen Feld und einem endlosen, von blühenden Hecken gesäumten Weg, und über diesen Weg kam ihm Cheney entgegen, um ihn zu begrüßen. Er war ihr entgegengelaufen, genau wie sie ihm, aber sie schienen einander nicht näherzukommen.

«Was ist?«Er sah, wie Inch nervös zurückzuckte, und fügte hinzu:»Entschuldigung. Wird es schon Zeit?»

Inch nickte, das Gesicht im Halbschatten.»Von der Küste kommt Nebel auf, Sir. Er ist nicht sehr dicht, aber Mr. Gossett sagt, er könne die endgültige Annäherung erschweren. «Er sprang beiseite, als Bolitho die Beine zu Boden schwang und nach seinem Uniformrock griff.

Bolithos Kopf war jetzt klar.»Wie ist unsere Position?«Inch zögerte.»Wir sind zehn Meilen nordnordwestlich von der Halbinsel, Sir.»

«Ich bin bereit. «Bolitho warf einen letzten Blick rundum durch die Kajüte und löschte die Lampe.

Auf dem Achterdeck war es noch dunkel; erst als Bolitho nach oben blickte, erkannte er die Dichte des Nebels. Er trieb recht schnell davon, so daß die Segel noch gut zogen, doch oberhalb der Großrah konnte er nichts mehr erkennen, ganz so, als ob eine Riesenhand die übrigen Segel und die Maststengen weggesäbelt hätte.

Aus dem Dunkel meldete Stepkyne:»Kombüsenfeuer gelöscht,

Sir.»

Auf allen Seiten herrschte nervöse Spannung, aber Bolitho zwang sich, nicht auf die anderen zu achten, als er zum Kompaß ging.

«Fallen Sie zwei Strich ab auf Kurs Südost!«Er hob die Hand.»Und machen Sie sowenig Geräusch wie möglich.»

Er ging nach Luv hinüber und sah zum nächsten Segel auf. Zu ärgerlich, daß wir nicht Segel kürzen können, dachte er. Die Hyperion glitt sehr langsam an der feindlichen Küste entlang, und im ersten Tageslicht mochte ein wachsamer Posten die Bramsegel des Schiffes wahrnehmen und Alarm schlagen, ehe Bolitho das letzte Stück zurückgelegt und sich in die günstigste Position gebracht hatte, um die Fregatte zu stellen. Wenn er genügend Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit erhalten wollte, um die Fregatte zu überraschen, ehe sie ihm ihr Heck zeigen konnte, mußte er wachsam bleiben.

Er kam zu einem Entschluß.»Alle Mann auf Station, Mr. Inch. Aber ohne Pfeifen oder Lärm. Geben Sie den Befehl mündlich weiter, und dann: Klarschiff zum Gefecht.»

Durch diese Vorsichtsmaßnahme wurde die Aufgabe, das abgedunkelte Schiff gefechtsbereit zu machen, zu einer noch schwereren Nervenprobe. Schatten glitten hin und her, während von den Decks gedämpftes Poltern und Schlagen heraufklang, als die Zwischenwände entfernt, die Geschütze von ihren Zurringen gelöst wurden und die Offiziere mit scharfem Flüstern ihre Leute zusammentrieben und antreten ließen. Und während der ganzen Zeit glitt die Hyperion wie ein Geisterschiff durch langgestreckte Nebelschwaden, die Segel naß von Gischt und Sprühwasser, mit knarrender Takelage, als der Rumpf in die starke Strömung geriet und die Männer im Ausguck die Augen anstrengten, um die Dunkelheit zu durchdringen.

Bolitho griff in die Netze und sah den Nebel wie eine milchige Flüssigkeit durch die Großwanten streichen, ehe der nächste Windstoß ihn hob und auf die offene See hinaustrieb. Hinter sich hörte er Hauptmann Dawson zu seinen Marinesoldaten sprechen, gelegentlich klirrte Stahl oder klapperte ein Ausrüstungsstück, wenn sie in dem befohlenen, engen Karree auf dem Achterdeck gegeneinander-stießen. Im Nebel wirkten ihre Uniformen schwarz, während die weißen, gekreuzten Brustriemen überraschend deutlich zu erkennen waren.

Inch erschien keuchend und schwitzend.»Schiff klar zum Gefecht, Sir.»

Bolitho grunzte. Wie würde er sich blamieren, wenn die See bei Tagesanbruch leer vor ihnen lag! Jedes Vertrauen, daß er bei der kaum ausgebildeten Mannschaft hatte gewinnen können, war wieder verloren, wenn es sich herumsprach, daß der Kommandant sich vor seinem eigenen Schatten gefürchtet hatte.

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte er gewartet. Erfahrene Leute konnten laden und ausrennen, wieder laden und weiter feuern, wenn alles um sie herum in einem Inferno ohrenbetäubender Explosionen und schreiender Menschen unterging; wenn es sein mußte, schafften sie das auch bei völliger Dunkelheit. Jetzt dachte er an diese Leute, die, hinter geschlossene Stückpforten geduckt, mit gespitzten Ohren auf jedes Geräusch lauschten, mit klopfenden Herzen und dankbar für die Dunkelheit, die ihre Furcht vor den Kameraden verbarg. Bei ihnen wäre das Risiko zu groß gewesen. Da er sich nun einmal hatte entscheiden müssen, war es ihm lieber, daß seine Leute hinter seinem Rücken über ihn lachten, als daß sie seiner Eitelkeit wegen starben.

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