Bolitho sah ihn ernst an.»Mein Gott, glaubst du, daß ich mir jetzt noch darum Sorgen mache?»
«Jedenfalls tue ich's. Und du gibst mir die Fluchtchance auch nicht nur deshalb, weil du im Grunde der Nachsicht des Kriegsgerichts mißtraust, sondern weil es auf meinen Sohn einen schrecklichen Eindruck machen muß, wenn sein Vater als Hochverräter hingerichtet würde. «Er lächelte wieder.»Ich kenne dich doch, Dick.»
«Also?«Bolitho stand auf und ging an das Kartenspind.
«Ich werde dein Angebot annehmen und abhauen. «Hughs Stimme klang plötzlich müde.»Und zwar nicht nach Cornwall, wo man mich erkennen könnte. «Er machte eine Pause.»Aber es wird England sein und nicht irgendein pockenverseuchtes Gefängnis am anderen Ende der Welt.»
Bolitho sah ihn an.»Vielleicht sprechen wir später darüber.»
«Kaum. «Sein älterer Bruder sah ihm in die Augen.»Übrigens halte ich das, was du jetzt tust, für verrückt. Du hättest PelhamMartin die Verantwortung tragen lassen und ruhig in St. Kruis vor Anker bleiben sollen. Jetzt wird er gewinnen, ganz gleich, wie die Sache ausgeht.»
«Mag sein.»
Hugh nickte.»Aber vielleicht hätte ich genauso gehandelt. Die Männer aus Cornwall sind leicht verrückt, sagt man, und wir bilden anscheinend keine Ausnahme.»
Man hörte Fußgetrappel auf dem Gang, dann steckte Midshipman Pascoe den Kopf durch die Tür.»Frage von Mr. Roth, Sir, ob er ein Reff einstecken darf. Der Wind hat ziemlich aufgefrischt. «Seine Augen wanderten von Bolitho zu Hugh.»Sir?»
Bolitho sagte:»Nein, das darf er nicht, Mr. Pascoe. Jetzt nicht und auch später nicht, es sei denn, wir bekommen einen Hurrikan.»
Pascoe nickte.»Aye, aye, Sir, ich richte es sofort aus. «Dann fragte er:»Wäre es Ihnen recht, wenn Mr. Selby mir den Sextanten noch einmal erklärte, Sir? Es scheint, daß ich etwas langsamer bin als die anderen.»
Bolitho sah ihn wohlwollend an.»Nicht langsamer, Mr. Pascoe, nur jünger.»
Dann schaute er auf seinen Bruder.»Wenn Sie es mit Ihrem übrigen Dienst vereinbaren können, Mr. Selby, haben Sie meine Genehmigung. «Und mit Nachdruck:»Was unsere Unterredung soeben betrifft — ich möchte hoffen, daß Sie die restliche Zeit gut nutzen.»
Hugh nickte, und seine Augen strahlten plötzlich.»Die Zeit wird gut genutzt, Sir, darauf haben Sie mein Wort.»
Als sie gegangen waren, stützte Bolitho den Kopf in die Hände und starrte blind auf die Karte. Es hatte Zeiten gegeben, da ihm sein Bruder wegen der Aussichtslosigkeit seiner Zukunft leid tat. Jetzt war er eher neidisch auf ihn. Denn obwohl Pascoe über die Identität seines Lehrmeisters im unklaren blieb, würde Hugh ihn schnell für sich gewinnen; danach konnte er sich mit dem Gedanken trösten, daß sein Sohn frei von Schande das Leben weiterführen konnte, das er selber so leichtfertig weggeworfen hatte.
Und was hatte er selbst? Nichts. Seine Finger berührten wie von selber das Medaillon. Nur Erinnerungen, die im Lauf der Jahre gewiß so ungreifbar werden würden wie der Wind und keinen Trost mehr schenkten.
Mit einem Ruck stand Bolitho auf und griff nach seinem Hut. Hier war ein schlechter Ort zum Alleinsein. An Deck hatte er wenigstens das Schiff und die Aufgabe, alles zu versuchen, was in seiner Macht stand.
XVIII Endlich: das Signal
Wie Bolitho vorausgesehen hatte, wich die erste allgemeine Begeisterung über die Rückkehr den Belastungen knochenbrechender Arbeit, die damit für jeden Mann verbunden war. Als sie aus der friedlichen Zone des Passats in die Roßbreiten gelangten, wurden sie das Opfer von irritierenden und enttäuschenden Verzögerungen. Denn in der Weite des Ozeans drehten die schwachen Winde unaufhörlich, manchmal zweimal während einer Wache, so daß alle ständig damit beschäftigt waren, die Segel neu nach dieser oder jener Seite zu trimmen, um auch nicht eine Mütze voll Wind zu vergeuden.
Schließlich setzte der Wind ganz aus, und zum ersten Mal seit St. Kruis schaukelte die Hyperion flügellahm mit schlaff hängenden Segeln in einer unangenehmen Dünung. Die meisten Leute an Bord waren zunächst dankbar für die Ruhepause. Doch ihre Hoffnung auf Ruhe verflog schnell, als Bolitho Inch befahl, sie anders zu beschäftigen und die Zeit zu nutzen, um die Schlechtwettersegel anzuschlagen, die sie bald brauchen würden.
Sechzehn Tage nach dem Ankerlichten erwischten sie eine steife Südwestbrise, halsten unter einem bleifarbenen Himmel und nahmen Kurs Ost für den letzten Abschnitt ihrer Fahrt.
Bolitho wußte, daß ihn viele Leute verfluchten, wenn wieder einmal der Ruf» Alle Mann! Alle Mann an Deck!«erscholl und ihre müden Leiber in die Wanten und auf die schaukelnden Rahen trieb. Ihre Welt bestand nur noch aus heulendem Wind und durchnässendem Gischt, wenn sie hoch über Deck mit aufgerissenen und blutenden Fingern die nasse Leinwand hochholten und mit Fäusten zusammenschlugen, bevor sie die Beschlagzeisinge herumschlingen konnten. Dabei hatten sie zu kämpfen, daß sie nicht den Halt verloren und nach unten in den sicheren Tod stürzten. Doch Bolitho hatte jetzt nur wenig Zeit für ihre Gefühle, wenigstens nicht mehr, als er sich selber in einem Augenblick der Ruhe gönnte.
Zu jeder anderen Zeit wäre er stolz, ja begeistert über die Art gewesen, wie das alte Schiff und seine Besatzung sich verhielten. Als die Meilen unter dem Kiel dahinrauschten und die Farbe des Ozeans in ein dumpfes Grau wechselte, wußte er, daß ihn viele Kommandanten um die schnelle Reise beneiden würden.
Wie immer, wenn er aufs Achterdeck kam, stand die Impulsive nicht weit hinter ihnen. Ihre dunklen Schlechtwettersegel gaben ihr das Aussehen von Zielstrebigkeit und grimmiger Entschlossenheit. Von der Hermes dagegen war nichts mehr zu erblicken. Bolitho hatte sich schon gefragt, ob Fitzmaurice sich vielleicht entschlossen haben mochte, vorsätzlich zurückzufallen und ihn sich selbst zu überlassen. Aber es war fruchtlos und unfair, so etwas überhaupt zu denken. Solche Gedanken entsprangen nur der Ungewißheit und seinem alles andere zurückdrängenden Willen, das Schiff wie nie zuvor anzutreiben.
Jeden Tag hatte er den Kommodore in seiner Schlafkammer besucht, doch selbst das schien jetzt zwecklos. Pelham-Martin sprach selten mit ihm und starrte aus seiner Koje nur an die Decke, ohne sich die Mühe zu machen, seine Genugtuung über Bolithos nichtssagende Berichte zu verbergen. Trotz Pelham-Martins stummer Feindseligkeit war Bolitho über dessen Aussehen beunruhigt. Er aß wenig, trank zum Ausgleich aber eine Menge Brandy. Er schien niemandem in seiner Nähe zu trauen und hatte sogar Petch mit einer Flut von Drohungen weggejagt, als der Unglückliche versucht hatte, ihm den Schweiß vom Gesicht zu wischen.
Seltsamerweise hatte der Kommodore jedoch nach Sergeant Munro verlangt, einem älteren Seesoldaten, der vor seiner Dienstzeit einmal Diener in einem Gasthof gewesen war und etwas vom Umgang mit Höhergestellten verstand. Bolitho hatte allerdings den
Verdacht, daß der Kommodore Munro mehr als Leibwächter gegen einen eingebildeten Feind denn als Diener ausgewählt hatte.
Pelham-Martins Stimme war offenbar fester, aber er hatte es abgelehnt, daß Trudgeon nach ihm sah oder daß sein Verband in letzter Zeit gewechselt wurde. Bolitho war überzeugt, daß er sich nur verstellte und Zeit bis zu dem Augenblick gewinnen wollte, da er seinen Irrtum zugeben mußte.
Mit seinem Bruder hatte Bolitho nicht mehr gesprochen, aber eines Nachts, als der Wind unerwartet zu voller Sturmstärke auffrischte, hatte er ihn mit einigen Matrosen aufentern gesehen, um das Besanstagsegel zu bergen, das mit einem Knall, den man selbst im Tosen der See und dem Geheul der Takelage nicht überhören konnte, von oben bis unten zerrissen war. Pascoe war an seiner Seite gewesen, und als sie beide schließlich wieder an Deck standen, hatten sie einander so fröhlich zugelacht wie Verschworene, die etwas Privates, Besonderes verband.