Schwer stampfend und gischtübersprüht, arbeitete sich das Schiff mit wild schlagenden Vorsegeln und dichtgeholtem Besan in den
Wind.
Bolitho packte die Reling und folgte mit seinem Körper den Schiffsbewegungen, als die Hyperion weiterdrehte und schließlich durch den Wind kam.
Männer rannten in geordnetem Durcheinander über Deck, die gebräunten Oberkörper vor Nässe triefend, als die See — nun von Steuerbord — über das Vorschiff schlug und sie mit Spritzern überschüttete.
Bolitho hieb die Faust auf die Reling.»Jetzt, Mr. Inch!»
«Los die Steuerbordschoten und Brassen, hol Brassen und Schoten an Backbord!«Inchs Hut hing schief auf dem Kopf, aber er schaffte es, sich über den Lärm der schlagenden Segel und des wimmernden Riggs verständlich zu machen.
Bolitho beobachtete zufrieden, wie die Rahen herumschwangen, weil die Männer wie verrückt an den Brassen zogen, obwohl sie nur wenig Halt für ihre nackten Füße auf dem nassen Deck fanden.
Über ihnen füllten sich die Segel wieder mit dem Wind, der nun von der anderen Seite einfiel. Blöcke und Taljen quietschten, Wanten und Stage vibrierten, bis das Schiff sich auf seinem neuen Kurs eingependelt hatte.
Bolitho nickte.»Und jetzt setzen Sie die Bramsegel!«Ein schneller Blick nach achtern sagte ihm, daß Herrick seinem Beispiel folgte. Sein Schiff drehte gerade an, wobei Bugspriet und Galionsfigur von einer überkommenden See begraben wurden.
Gossett rief:»Kurs Nord zu Ost, Sir. Voll und bei!»
«Sehr schön. «Bolitho fühlte, daß das Deck zitterte, als sich noch mehr Segel an den Rahen blähten. Die kleinen Gestalten hoch oben auf den Bramrahen schienen außer Reichweite und Gefahr, aber er wußte, daß dies eine Täuschung war. Ein Ausrutscher dort oben bedeutete den unmittelbaren Tod — wenn der Mann noch Glück hatte. Fiel er aber in die schäumende See, hatte er nur die Aussicht, achteraus zu treiben und — das davonziehende Schiff vor Augen — zu ertrinken. Denn der Versuch, die Hyperion unter solch einem Segeldruck zum Stehen zu bringen, hätte eine Katastrophe heraufbeschworen. Bei solch einem Manöver konnte sie leicht sämtliche Masten einbüßen.
Auf dem Hauptdeck sah Bolitho den Segelmacher und seine Leute die Leesegel klarieren, die wie große Flügel dem Schiff mit etwas Glück einen zusätzlichen Knoten Geschwindigkeit geben würden, wenn der Wind anhielt.
In den Masten und Wanten wimmelte es bald von Leuten, die nach dem Kommando ihrer Unteroffiziere auf und nieder, vor und zurück kletterten und die Leesegel an ihren Spieren ausbrachten.
Plötzlich sah er Pascoe, der die Püttingswanten hochkletterte, wobei sein schlanker Körper zeitweise schräg nach unten hing. Bolitho hielt den Atem an, als er sah, daß Pascoes Fuß abrutschte und er den Schuh verlor, der gemächlich herunter und neben der Bordwand ins Wasser fiel. Der Junge fand aber gleich wieder Halt und kletterte hinter den anderen her, wobei ihm das schwarze Haar um den Kopf wehte. Als Bolitho wieder nach vorn schaute, bemerkte er seinen Bruder, der am Fockmast stand und die Augen beschattete, weil er ebenfalls nach dem Midshipman ausschaute. Als er bemerkte, daß Bolitho ihn beobachtete, machte er eine beruhigende Geste. Oder sollte sie Erleichterung ausdrücken?
Leutnant Roth rief: «Hermes hat gewendet!«Er schüttelte sich vor Lachen.»Sie kommt nicht mehr mit!»
Bolitho drehte sich zornig nach ihm um.»Seien Sie nicht so überheblich! Wenn die Hermes zurückfällt, werden Sie vierundsiebzig Kanonen weniger haben, wenn Sie sie am meisten brauchen.»
Roth errötete.»Tut mir leid, Sir.»
Bolitho ging auf die Luvseite und lehnte sich gegen die Finknetze. Er mußte sich zusammennehmen. Sich über solch eine harmlose Bemerkung zu ärgern, war sinnlos und dumm. Roth hatte eher Stolz auf sein eigenes Schiff ausdrücken wollen als Spott über die unter der Wasserlinie mit hemmenden Muscheln und Pflanzen bewachsene Hermes. Er mußte plötzlich an seine eigene Gereiztheit und Ungeduld damals im Mittelmeer denken, als die Hyperion, das Unterwasserschiff so voll Entenmuscheln und Seetang wie jetzt die Hermes, sich mühsam vorwärtsschleppte und von einem verständnislosen Admiral einfach zurückgelassen wurde. Aber es war nutzlos, Vergleiche zu ziehen.
«Machen Sie ein Signal für die Hermes, Mr. Carlyon. «Er runzelte die Stirn, als er sich an Fitzmaurices Versicherung, ihm beistehen zu wollen, erinnerte.»>Setzen Sie mehr Segel
«Sie hat verstanden gezeigt, Sir. «Carlyon schien überrascht.
Vom Hauptdeck scholl Schimpfen und Fluchen herauf, als das Backbord-Leesegel wogte und flatterte wie ein Seeungeheuer. Es wollte einfach nicht richtig stehen, war aber trotzdem nützlich. Auf jeden Fall hielt es die Männer beschäftigt, denn sie hatten noch einen langen Weg vor sich.
Inch sagte:»Hab' noch nie ein Segel gesehen, das so störrisch ist wie dieses, Sir.»
«Es ist möglich, daß wir weiter im Norden noch ungünstigere Winde bekommen. «Bolitho dachte laut.»Wir müssen das Schiff trotzdem mit allem vorwärts treiben, was wir an Segeln haben, und den Passat nutzen, so lange es geht.»
Die Männer aus den Masten glitten schon wieder herunter an Deck. Sie waren bester Stimmung wegen des prächtigen Bildes voll entfalteter Antriebskraft, die sie freigemacht hatten.
Bolitho sagte kurz:»Ich bin im Kartenraum, Mr. Inch. Sie können die Wache nach unten schicken.»
In dem engen Raum saß er am Tisch und schaute starr auf die Karte. Alles war getan, und es schien, als sei seinen sorgfältigen Berechnungen nichts mehr hinzuzufügen. Er blätterte die Seiten des abgenutzten Logbuchs durch. Jede enthielt die Eintragung über zurückgelegte Meilen, gesichtete Schiffe. Über Männer, die gestorben, gefallen, verletzt waren. Mit einem Knall schloß er es und stand auf. Er mußte aufhören, sich zu erinnern, das führte zu nichts.
Es klopfte.»Herein!»
Er drehte sich um und sah seinen Bruder, der ihn mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
Bolitho sagte:»Mach' die Tür zu!«Dann leiser:»Du kannst offen sprechen. Es ist niemand da, der uns zuhört.»
«Ich wollte gern. «Hugh begann zu stottern und fuhr dann entschlossen fort:»Ich hörte vom Tod deiner Frau. Es tut mir sehr leid. Was könnte ich dir sonst noch sagen?«Bolitho seufzte.»Ja. Ich danke dir.»
«Als ich mit den anderen Strafgefangenen in Cozar war, habe ich Cheney häufig bei der alten Festung Spazierengehen gesehen. Ich glaube, ich habe mich damals auch in sie verliebt. «Er lächelte traurig.»Wirst du die Franzosen dieses Mal finden?»
Bolitho sah ihn an.»Ja.»
«Wenn das Glück dir hold ist, was hast du danach mit mir vor?»
«Ich habe mich noch nicht entschieden. «Bolitho setzte sich erschöpft hin und rieb sich die Augen.»Falls wir Lequiller finden und schlagen…»
Sein Bruder hob eine Augenbraue.»Ihn schlagen?»
«Ihn zu lahmen, würde schon ausreichen. «Seltsam, wie Hugh Dinge voraussah, die andere nicht einmal vermuteten. Eine Seeschlacht in der Biskaya, vielleicht einige hundert Seemeilen vom nächsten Land entfernt, konnte für den Sieger ebenso gefährlich enden wie für den Besiegten.
Er fuhr abrupt fort:»Ich könnte dich den Behörden mit der dringenden Bitte um Begnadigung übergeben. Angesichts dessen, was du auf der Spartan geleistet hast, sollte diese Bitte nicht abgeschlagen werden. «Er hob die Hand.»Hör' mich erst an, bevor du etwas sagst. Aber wenn du es vorziehst, schicke ich dich mit irgendeinem Auftrag an Land. «Er sah weg, als er weitersprach.»Du kannst dann verschwinden und weiter deiner Wege gehen.»
«Mit beidem setzt du dich der Kritik, möglicherweise sogar wirklicher Gefahr aus, Dick. Beim letzteren noch mehr, weil du dann mit dem Wissen weiterleben mußt, daß du privaten Interessen zuliebe gegen deine Dienstauffassung verstoßen hast.»