Ihre Gesichter drückten die unterschiedlichsten Empfindungen aus: gespannte Erwartung wegen der bevorstehenden weiten Fahrt, Besorgnis bei dem Gedanken, einem geliebten Menschen noch ferner zu sein, vielleicht auch Erleichterung, daß ihnen die Langeweile der Blockade erspart blieb; noch erkannten sie nicht die Ungeheuerlichkeit ihres Auftrags. Die plötzliche Änderung der Befehle hatte den Horror über die Hinrichtungen, den wilden Zusammenstoß mit der Fregatte aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Selbst die Erinnerung an die Kameraden, die bei dem einseitigen Kampf ums Leben gekommen waren und ein Seemannsgrab gefunden hatten, fast ehe noch ihr Blut von den Planken gescheuert war, schien verblaßt zu sein. Das war auch ganz gut so, dachte Bolitho grimmig.
Als Pelham-Martins Hut an der Schanzpforte auftauchte, als die Trillerpfeifen schrillten und die Trommeln und Querflöten der Marinesoldaten Heart of Oak anstimmten, schob Bolitho seine persönlichen Hoffnungen und Befürchtungen zunächst beiseite.
Er trat vor, nahm seinen Hut ab, erkannte an dem nach oben gerichteten Blick eines Schiffsjungen, daß sich der Kommodorestander im Masttopp genau im richtigen Moment entfaltete, und sagte förmlich:»Willkommen an Bord, Sir.»
Pelham-Martin stülpte seinen Hut auf und musterte die angetretene Besatzung der Hyperion. Er schwitzte stark, und Bolitho glaubte, eine Brandyfahne wahrzunehmen. Was Cavendish dem Kommodore unter vier Augen auch gesagt haben mochte, zweifellos hatte es ihn veranlaßt, sich für das Übersetzen auf sein neues Flaggschiff gründlich zu stärken.
Er sagte kurz angebunden:»Lassen Sie weitermachen, Bolitho. «Dann watschelte er, gefolgt von Petch, zum Niedergang des Ac h-terdecks.
Bolitho sah Inch an.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt. «Er blickte zu dem Doppelstander hinauf.»Der Wind hat etwas rückgedreht, scheint mir. Setzen Sie Signal für die Fregatten Spartan und Abdiel, die befohlenen Positionen einzunehmen. «Er beobachtete Gascoi-gne, der auf seiner Tafel kritzelte, und die Flaggen, die zur Gaffel aufstiegen. Er bemerkte auch Pascoe neben Gascoigne, der aufmerksam den Kopf senkte, um alles mitzubekommen, was sein Vorgesetzter ihm erklärte. In diesem Augenblick sah der Junge auf, und über die Rücken der arbeitenden Seeleute hinweg und durch die zitternden Fallen begegneten sich ihre Blicke.
Bolitho nickte mit einem knappen Lächeln. Als er wieder hinsah, war der Junge von der Achterwache verdeckt, die sich an die Be-sanbrassen drängte.
Er sagte:»Kurs Westsüdwest, Mr. Gossett.»
Später, als die Hyperion sich kräftig in den Wind legte und immer mehr Leinwand sich knatternd unter ihren rundgebraßten Rahen blähte, ging Bolitho auf die Hütte und spähte nach achtern. Die beiden anderen Zweidecker und die Fregatte des Admirals waren bereits im Dunst verschwunden, und von der französischen Küste war keine Spur mehr zu entdecken.
Inch kam nach achtern und griff an seinen Hut.»Das wird eine lange Jagd, Sir.»
Bolitho nickte.»Hoffen wir, daß sie auch erfolgreich wird. «Damit ging er nach Luv hinüber und gab sich wieder seinen Gedanken hin.
VI Ein Offizier des Königs
Drei Wochen lang, nachdem die Hyperion und die beiden Fregatten das Geschwader verlassen hatten, liefen sie nach Südwesten; später, als der Wind launisch umsprang und sich zu voller Sturmstärke steigerte, wandte sie sich unter soviel Besegelung, wie die Sicherheit des Schiffes noch gerade erlaubte, nach Süden.
Als sich der Januar dann seinem Ende näherte, nahmen sie den Nordostpassat auf und hatten damit die längste und letzte Teilstrek-ke ihrer Reise erreicht. Mit dreitausend Meilen Ozean vor sich, waren sie auf nichts als die eigenen bescheidenen Hilfsmittel und Vorräte angewiesen.
Doch nach Bolithos Ansicht war das Wetter auf dem ersten Teil der Atlantiküberquerung ein willkommener Verbündeter gewesen. Kaum eine Stunde war vergangen, ohne daß die Besatzung alarmiert wurde, um Segel zu reffen oder zu trimmen; dadurch hatte sie wenig Zeit gefunden, über ihre unerwartete Einsamkeit oder die große Weite des Atlantik, die jeden Morgen ihre müden Augen begrüßte, zu brüten.
Trotz der Mühsal und Entbehrungen war Bolitho zufrieden, wie sich die Leute entwickelten. Wenn er an der Achterdecksreling stand und die Matrosen beobachtete, die sich mit Scheuersteinen und Schwappern plagten, konstatierteer offenkundige Veränderungen. Verschwunden waren blasse Hautfarbe und verhärmte Gesichter. Die Körper waren nach wie vor mager, aber zäh als Ergebnis harter Arbeit und der Seeluft, und sie verrichteten ihre täglichen Aufgaben, ohne daß sie ständig bewacht oder angetrieben werden mußten. Selbstverständlich spielte das Wetter dabei eine wichtige Rolle. Alle Farben waren anders. Der Himmel leuchtete blau statt des trüben Graus, und die seltenen Wolken glitten duftig einem
Horizont zu, der so hart und funkelnd wie eine Degenklinge schien. Die Hyperion nutzte den günstigen Passat zum größten Vorteil und hatte ihm ihre äußere Erscheinung angepaßt. Sie war jetzt mit hellen leichten Segeln getakelt anstelle der schweren Schlechtwetterleinwand und schien sich dem endlosen Panorama schimmernder Schaumkronen entgegenzuneigen, als ob es sie beglücke, die düstere Monotonie des Blockadedienstes hinter sich zu lassen.
Bolitho hob das Teleskop und bewegte es langsam oberhalb der Netze, bis er die winzige Segelpyramide fand, weit voraus an Steuerbord: ein kleiner Fleck am Horizont, der zeigte, daß die Fregatte Abdiel sich in der richtigen Position befand. Die andere Fregatte, die Spartan, stand zwanzig Meilen vor ihr und war völlig unsichtbar. Er schob das Glas zusammen und gab es dem Midshipman der Wache.
In solchen Augenblicken fiel es ihm schwer zu glauben, daß er nicht allein das Kommando hatte. Pelham-Martin schien nur selten an Deck zu kommen. Er hielt auf Distanz und blieb die meiste Zeit unerreichbar in der Achterkajüte. Jeden Morgen gewährte er Boli-tho eine kurze Audienz, hörte sich dessen Erläuterungen und Überlegungen an und beschränkte seine Äußerungen auf:»Das scheint ein recht guter Plan zu sein«, oder auf:»Wenn das Ihrer Ansicht nach das Beste ist, Bolitho?«Es war, als ob er sich selbst für die wirkliche Aufgabe aufsparte, die zu lösen noch bevorstand, und sich damit zufriedengab, den täglichen Kram dem Kommandanten zu überlassen.
Bis zu einem gewissen Punkt kam das Bolitho gelegen, doch soweit es um die wahre Bedeutung und den Sinn von Pelham-Martins Befehlen ging, tappte er völlig im Dunkeln.
Der Kommodore schien nicht bereit, der Betreuung der einzelnen Kapitäne mit bestimmten Aufgaben eine besondere Bedeutung beizumessen und überließ das völlig dem persönlichen Urteil Bo-lithos, obwohl der noch ein Neuling im Geschwader war. Bolitho dachte über die weit voraus segelnde Spartan nach und daß es Pelham-Martin beinahe zu überraschen schien, daß er den jungen Kommandanten der Fregatte schon kannte. Doch es war nur eine milde Überraschung, weiter nichts. Persönliche Beziehungen schien er auf Armeslänge von sich fernzuhalten, als ob sie überhaupt keine Bedeutung hätten.
Bolitho begann langsam auf- und abzugehen, dachte über die vergangenen Jahre nach, an die vielen Gesichter und Erlebnisse während seiner Dienstzeit auf See. Da war der Kommandant der Spartan. Charles Farquhar war unter ihm Midshipman gewesen, und Bolitho war der erste gewesen, der seinen Wert erkannte und ihn zum diensttuenden Leutnant ernannte. Mit neunundzwanzig Jahren war er jetzt Kapitän, und bei seiner Abkunft aus einer adligen Familie und seinen weitreichenden Verbindungen in der Marine würde er seine Karriere wahrscheinlich als Admiral und sehr reicher Mann beenden. Merkwürdigerweise hatte Bolitho ihn nie so recht leiden können, hatte aber dessenungeachtet von Anfang an erkannt, daß Farquhar scharfsinnig und einfallsreich war, wenn ihm jetzt auch nachgesagt wurde, daß er bei der Führung seines Schiffes ein Tyrann sei.