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Bolitho ergriff Inchs heile Hand, aber dessen Gesicht verschwamm vor seinen Augen.»Und er soll ihn haben, Mr. Inch!»

Er übersah Gossetts breites Grinsen und die ausgelassen herumspringenden Kanoniere. Das Schiff war ohne Masten und lag tief im Wasser. Er fühlte sein Leid fast wie eigenes.

Dann stülpte er seinen Hut über die rebellische Haarlocke und sagte mit fester Stimme:»Wir sind einen langen Weg zusammen gesegelt, Mr. Inch.»

Er schnallte seinen Säbel ab und gab ihn Allday.

«Wenn wir der Hyperion ein Behelfsrigg gegeben haben, können wir unsere Prisen nach Plymouth zurückbringen. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.»

Er fühlte Rührung in sich aufsteigen, fuhr aber im gleichen brüsken Ton fort.»Worauf warten wir also noch?»

Inch sah ihn müde an. Dann antwortete er:»Ich werde mich gleich darum kümmern, Sir!»

Epilog

Die Fenster des Golden Lion Inn waren nicht mehr gegen Regen und eisige Winde verklebt, sondern standen weit offen, um eine sanfte Brise — mehr war es nicht — einzulassen. Auf dem Plymouth-Sund gab es keine weißen Schaumköpfe mehr, und die helle Mittagssonne spiegelte sich in Millionen auf dem blauen Wasser tanzenden Strahlen und überschüttete auch die Schaulustigen, die auf der Straße und der Pier flanierten, mit angenehmer Wärme.

Aber das Fernrohr auf seinem Dreifuß war noch da, und der Raum genauso eingerichtet, wie Bolitho ihn in Erinnerung hatte. Und doch gab es Unterschiede, war er sich der Stille hinter seinem Rücken bewußt, einer abweisenden Leere, die nur darauf zu warten schien, daß er wieder ging. Gerade in dem Augenblick hörte er den Wirt an der verschlossenen Tür vorbeischlurfen. Er wunderte sich bestimmt über Bolithos seltsame Bitte und wartete voller Ungeduld, daß er auszog, damit neue Gäste das Zimmer beziehen konnten, wie er es einst getan hatte.

Die meisten Leute am belebten Ufer waren nur aus einem Grunde gekommen: sie wollten die vor Anker liegenden Schiffe sehen und mit Stolz und Schaudern ihr vom Kampf gezeichnetes Äußeres betrachten, als ob sie dadurch an ihrem Sieg teilhaben könnten. In diesen Ungewissen Zeiten war jeder Erfolg willkommen, aber die Kriegsbeute zu sehen und den Geruch von Kampf und Tod einzuatmen, war für manche Leute befriedigender als trockene Bericht in der >Gazette< oder die von reitenden Boten aufgeschnappten Neuigkeiten.

Bolitho schwenkte das Teleskop und beobachtete das geschäftige Kommen und Gehen der kleinen Boote, die ihre zahlenden Fahrgäste um den sich turmhoch erhebenden Rumpf der Tornade, Lequil-lers Flaggschiff, ruderten. In wenigen Monaten würde der Dreidek-ker wieder in See gehen, diesmal unter der Flagge seines alten Feindes: mit einem anderen Kommandanten und einer anderen Besatzung, und vielleicht würde seine Herkunft auch unter einem anderen Namen verborgen sein.

Bolitho war dankbar, daß nicht auch die Hyperion als groteskes Überbleibsel der Schlacht und Schauobjekt für alle Leute dort unten lag. Fast sofort, nachdem sie am gestrigen Morgen in den Ply-mouth-Sund eingelaufen waren, hatte man sie ins Dock verholt, und bis zu diesem Augenblick hatten ihre Pumpen einen tapferen Kampf gegen das Eindringen der rachsüchtigen See geführt. Eines war sicher: die alte Hyperion würde nie wieder in den Kampf ziehen. Nun, da unverwundet gebliebene Reste ihrer Besatzung ausbezahlt und auf die übrige Flotte verteilt worden waren, lag sie leer und leblos in Erwartung ihres endgültigen Schicksals. Im besten Fall konnte sie als Ausbildungsschiff für den Nachwuchs dienen. Im schlimmsten… Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, daß sie ihre Tage auch als schwimmendes Gefängnis in irgendeiner Flußmündung beenden konnte. Er hatte sie erst vor ein paar Stunden verlassen. Was er gesehen hatte, hatte ihn traurig gestimmt, denn er wußte, daß er niemals lebend davongekommen wäre, wenn es nicht dieses stillschweigende Einvernehmen zwischen ihm und dem Schiff gegeben hätte.

Als er über die zersplitterten Decks gegangen war, hatte er noch einmal an die Heimreise nach der Schlacht denken müssen. Sie hatte fast zwei Wochen gedauert, und wenn die Biskaya ihnen nicht ausnahmsweise freundlich gesonnen gewesen wäre, würde die Hyperion jetzt wohl in Frieden auf ihrem Grunde ausruhen. Am Ende der ersten Woche waren die Schiffe von einem heftigen Windstoß getroffen worden, durch den sich einer der französischen Zweidecker von seiner Schlepptrosse losriß und in wenigen Minuten kenterte. Wenn diese Bö nicht genauso schnell wieder abgeklungen wäre, hätte die Hyperion es kaum bis nach Hause geschafft.

Es hatte großer Anstrengungen und ständiger Arbeit bedurft, vielen guten Zuredens und — nicht zuletzt — seemännischen Könnens, um sie durchzubringen. Die Tage erschienen ihnen wie Wochen, und immer wieder hatte es Seebestattungen gegeben, als weitere Verwundete ihren Kampf ums Überleben verloren.

Schließlich waren sie dann auf Sir Manley Cavendishs Geschwader gestoßen, und ihre Last hatte sich etwas verringert. Aber Bo-litho war von den vorangegangenen Anstrengungen zu erschöpft gewesen, als daß er sich mehr als verschwommene Bilder von den Ereignissen und den Leiden, die diesen Augenblick ermöglicht hatten, in Erinnerung rufen mochte.

Sympathieerklärungen und Glückwünsche, Cavendish, der seine Hand ergriffen und Worte der Anerkennung und von möglicher Beförderung gemurmelt hatte — alles schien verlorene Zeit und ohne wirklichen Gehalt.

Als er am Dock entlanggegangen war und sich die riesigen Löcher im Schiffsrumpf und die Spuren von Pulverqualm und Blut angesehen hatte, hatte er sich gefragt, ob das Schiff selber es wohl irgendwie empfand, daß sein Leben vorüber war. Aber als er am Bug angekommen war und zu der grimmigen Galionsfigur hinaufgeschaut hatte, war ihm einige Augenblicke lang so gewesen, als hätte er die Antwort gefunden. Der Blick des Sonnengottes war so fest wie immer, und der vorgestreckte Dreizack zeigte mit der gleichen Teilnahmslosigkeit und Arroganz auf unsichtbare Horizonte. Vielleicht war das Schiff nach dreiundzwanzig Jahren harten Dienstes reif für den Ruhestand und er reagierte falsch, ihm etwas anderes zu wünschen.

Den ganzen Weg vom Dock zurück hatte er sich überlegt, was wohl mit ihm selber geschehen würde. Die übrige Besatzung würde — ob sie wollte oder nicht — bald wieder auf See sein. Sie hatte sich mit neuen Schiffen und einer anderen Umwelt vertraut zu machen, bevor sie überhaupt Zeit gefunden hatte, Gott für ihre Rettung zu danken. Es war schwer gewesen, sie gehen zu sehen, die rechten Worte zu finden, die einem so reichlich einfielen, wenn es zu spät und der richtige Augenblick verpaßt war. Gossett und Tomlin und alle die anderen, die so viel mit ihm erlebt und erduldet hatten. Und Inch natürlich, der auch jetzt wieder auf der Suche nach einem Mädchen war, das er heiraten könnte, bevor er ebenfalls auf ein anderes Schiff versetzt wurde. Bolitho hoffte, daß auch der neue Kommandant sich die Zeit nehmen würde, ihn und seine besondere Art zu verstehen und seine Loyalität zu würdigen.

Viele Überlebende der Hyperion hatten Glück gehabt und waren gleich auf Kapitän Herricks Schiff geschickt worden, um die dortigen Verluste zu ersetzen. Auch sie würden in ein paar Wochen wieder auf See sein, denn wenn auch die Verluste der Impulsive an Menschen groß waren, so hatte sie doch nur geringe Materialschäden davongetragen.

Sogar Pelham-Martin schien seltsam zufrieden zu sein. Vielleicht gedachte er, sich auf den Lorbeeren seiner Verwundung auszuruhen. Die zusätzliche Aussicht auf einen schönen Teil des Prisengeldes, das andere, weniger Glückliche, mit ihrem Blut erkämpft hatten, würden seine Drohungen mit einer Anklage wegen Gehorsamsverweigerung zerstreuen. Bolitho stellte fest, daß er in dieser Hinsicht weder Hoffnungen noch Sorgen hatte.

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