Während die Tage vergingen, hielt sich Bolitho möglichst von seinen Offizieren fern und beschränkte sich auf dienstliche Kontakte. Der Südwestwind zeigte keine Ermüdungserscheinungen, und während das Schiff durch die endlose Weite der schaumgekrönten See stampfte und rollte, ging Bolitho ruhelos auf dem Achterdeck auf und ab, ohne auf seine durchnäßte Kleidung zu achten, bis Allday ihn schließlich überreden konnte, zu einem Teller Suppe und einer kurzen Ruhepause nach achtern zu kommen. Überall im Schiff troff es von Feuchtigkeit, und in den unteren Decks hockten die Männer der Freiwache zusammengekauert hinter den geschlossenen Stückpforten, schliefen oder warteten auf die nächste karge Mahlzeit; alle hofften, daß ihre Reise endlich ein Ende finden möge.
Die Köche hatten tatsächlich nur wenig anzubieten; in ihrer ewig schaukelnden Kombüse, zwischen dem Gewirr von Töpfen und angebrochenen Fässern mit gesalzenem Schweine- oder Rindfleisch, konnten sie ohne Zauberei kaum etwas Besseres hervorbringen.
Am Mittag des siebenundzwanzigsten Tages stand Bolitho an der Querreling und sah zu, wie Inch und Gossett eifrig mit ihren Sextanten hantierten. Es hatte etwas aufgeklart, und gerade über ihnen waren die Wolken zu langen Fahnen ausgefranst, zwischen denen ein wässriges Sonnenlicht die Illusion von Wärme verhieß. Gossett sagte bedächtig:»Ich hätte es nicht für möglich gehalten,
Sir!»
Bolitho übergab Carlyon seinen eigenen Sextanten und hielt sich mit einer Hand an der abgenutzten Reling fest. Siebenundzwanzig Tage, also drei weniger, als er sich in St. Kruis zum kaum erreichbaren Ziel gesetzt hatte.
Inch trat an seine Seite und fragte vorsichtig:»Was nun, Sir?»
«Die Spartan klärt dort schon seit ein paar Tagen auf, Mr. Inch. «Bolitho musterte den verschwommenen Horizont. In dem einheitlichen Metallgrau war kaum ein Unterschied zwischen Himmel und Wasser zu erkennen.»Wir bleiben bis zur Abenddämmerung auf diesem Kurs. Vielleicht hören wir bis dahin etwas Neues von Kapitän Farquhar.»
Aber nichts geschah, auch tauchte nirgendwo ein Segel auf und unterbrach die unendliche Monotonie der lang dahinrollenden Wogen. Bei aufkommender Dunkelheit wendeten sie und legten sich unter gerefften Marssegeln hoch an den Wind. Nichts in Sicht auch am nächsten Tag, noch am Tage darauf, und als die Ausguckposten im Mast einander immer wieder ablösten und ihr täglicher Trott sich über Minuten und Stunden hinschleppte, wußte Bolitho, daß es — außer ihm — nur wenige an Bord gab, welche die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten.
Die Stimmung an Bord wurde gereizter, hier und da flammten unter den auf engem Raum zusammengepferchten Leuten alte Spannungen auf und endeten in Prügeleien. Drei Mann wurden ausgepeitscht, und ein sonst zuverlässiger Bootsmannsmaat mußte in die Arrestzelle gesperrt werden, weil er sich geweigert hatte, zur Nachtwache aus seiner Hängematte zu kommen.
Fünf Tage, nachdem sie den vermutlichen Treffpunkt erreicht hatten, sichteten die Ausguckposten die Spartan, die sich aus südwestlicher Richtung näherte. Für kurze Zeit kehrte etwas von der alten Erregung zurück. Männer kletterten in die Wanten und Masten und sahen zu, wie die Spartan wendete und sich in Lee der Hyperion legte.
Midshipman Carlyon setzte sein Glas ab und blickte Bolitho an.
«Sie hat nichts zu melden, Sir. «Er senkte den Blick, als ob er daran schuld sei. »Spartan bittet um Befehle.»
Bolitho war sich bewußt, daß Inch und die anderen ihn beobachteten, obwohl sie, wenn er sich umdrehte, alle mit anderen Dingen beschäftigt schienen.
Langsam antwortete er:»Signalisieren Sie: Spartan soll Position in Luv von uns einnehmen, wie die Dasher.»
Er sah zu, wie die Fregatte abfiel und ihre Rahen herumschwangen, als Farquhar sich erst einmal von der Hyperion freisegelte. Die Bordwand der Spartan trug Streifen vom Salzwasser, und in ihrer Takelage waren mehrere Leute dabei, Schäden auszubessern, die sie von den ständigen Püffen des schlechten Wetters davongetragen hatte. Wie es auf der kleinen Korvette aussah, wagte Bolitho sich gar nicht vorzustellen. Trotzdem hatte die Dasher mit ihnen Schritt gehalten, hatte sich durch Stürme gekämpft und in Flauten mit ihnen gelitten, und zu jeder Morgenwache hatten ihre Marssegel herübergegrüßt.
Bolitho sagte:»Ich gehe nach achtern, Mr. Inch.»
Der Leutnant kam auf die Luvseite hinüber und fragte zögernd:»Werden Sie den Kommodore besuchen, Sir?«Er sah Bolithos Blick und fügte hinzu:»Noch ist Zeit, Sir. Wir können es gemeinsam ausbaden, wenn Sie wollen.»
Bolitho lächelte.»Es besteht kein Anlaß, diesen Augenblick beschleunigt herbeizuführen. «Er sah ihn ernst an.»Aber trotzdem vielen Dank. Die letzten Tage waren ziemlich hart für uns alle.»
Als er wegging, hörte er Inch sagen:»Diese verfluchten Froschfresser!»
Vor der Schlafkammer hielt Bolitho kurz an und machte erst dann die Tür auf. Pelham-Martin sah ihn einige Sekunden schweigend an. Dann fragte er:»Nun, geben Sie sich endlich geschlagen?«Bolitho klemmte seinen Hut fester unter den Arm.»Es ist nichts in Sicht, Sir. Das Rendezvous ist überfällig.»
Pelham-Martins Augen blitzten kurz auf.»Holen Sie mir meinen Schreibblock!«Er beobachtete Bolitho, der an das eingebaute Spind ging.»Ich werde Sie augenblicklich Ihres Amtes entheben. Sie haben meine Befehle nicht befolgt und haben Vorteil aus meiner Verwundung gezogen. In diesem Sinne werde ich meinen Bericht abfassen.»
Bolitho legte den Block auf die Koje und sah ihn unbewegt an. Seine Glieder fühlten sich so leicht, als ob er Opium genommen hätte; nichts schien ihn zu berühren, was hier vor sich ging.
Der Kommodore befahl:»Holen Sie einen Zeugen!»
In diesem Augenblick erschien Inch in der Tür und starrte sie neugierig an. Er sagte:»Der Ausguck im Vormars hat die Hermes gesichtet, Sir.»
Pelham-Martin rührte sich unter seiner Decke.»Gut, dann wird das Geschwader geschlossen nach England zurücksegeln. «Sein Blick konzentrierte sich auf Inch.»Sie werden dieses Dokument hier als Zeuge unterschreiben. Und wenn Sie sich entsprechend verhalten, werde ich Sie vor dem Kriegsgericht retten.»
Inch sagte heiser:»Nichts von dem, was geschah, geschah ohne meine Zustim.. »
Bolitho unterbrach ihn scharf:»Bezeugen Sie lediglich dieses Dokument, Mr. Inch, und seien Sie kein Narr!»
«Recht so!«Pelham-Martin schien sich in seine Decke verwik-kelt zu haben. Er rief:»Munro, kommen Sie sofort!»
Der Sergeant betrat die Kammer und stellte sich ans Kopfende der Koje.»Richten Sie mich auf, verdammt noch mal!»
Als Munro ihn um die Schultern faßte, stieß Pelham-Martin einen so gräßlichen Schrei aus, daß er ihn aufs Kissen zurückfallen ließ.
Bolitho befahl kurz:»Bleiben Sie dort stehen!«Er zog die Decke zurück und starrte die Schulter an, die aus dem Verband herausragte.»Holen Sie sofort den Arzt!«Ihm wurde fast übel vor Entsetzen: Der Oberarm des Kommodore und der sichtbare Teil der Schulter leuchteten hellgelb wie eine reife Melone, und als er die Haut vorsichtig berührte, fühlte sie sich brennend heiß an.
Pelham-Martin blickte zu ihm auf.»Was ist? Um Gotteswillen, warum starren Sie mich so an?»
Inch murmelte:»Du lieber Himmel!»
«Die Wunde hat sich entzündet, Sir.»
«Sie lügen!«Der Kommodore versuchte, sich aufzurichten, fiel aber mit einem Schmerzenslaut zurück.»Sie sagen das nur, um Ihren Kopf zu retten!»
Trudgeon drängte sich an Inch vorbei und musterte schweigend die verfärbte Haut. Dann sagte er tonlos:»Der Splitter muß entfernt werden, Sir. «Er sah Bolitho zweifelnd an.»Selbst dann bin ich nicht sicher…»
Pelham-Martin schrie wild:»Rühren Sie mich nicht an! Ich befehle Ihnen, sich fernzuhalten!»
«Es hat doch keinen Sinn, Sir!«Bolitho sah ihn ernst an.»Sie dachten, ein so kleiner Splitter könne kein Unheil anrichten. Dennoch haben Sie sich daran infiziert. «Sein Blick fiel auf die leere Karaffe.»Oder Ihr Blut ist infiziert. «Er schaute weg, da er die angsterfüllten Blicke des Mannes nicht mehr ertragen konnte.