Unter der Voraussetzung, daß ein telfisches Schiffmit Verletzten an Bord schnell genug im Orbit Hospital eintraf, konnte man dort durchaus Hilfe gewähren. Wenn allerdings der Strahlenabsorptionsmechanismus eines verletzten Telfi zusammenbrach – zumeist ausgelöst durch einen plötzlichen Strahlenentzug oder eine katastrophale Übersättigung von harter Strahlung -, dann blieben dem Krankenhaus höchstens einhundert Stunden vom Eintreten des Unglücksfalls bis zur Einleitung der Behandlung. Dazu gehörte, daß der Strahlencocktail in der erforderlichen Dosierung und Dauer reproduziert werden mußte, da dies eine unabdingbare Voraussetzung für den Genesungsprozeß des Verletzten war.
Die Notwendigkeit, diese Vielfalt heilender atomarer Strahlen für die Telfis zu reproduzieren, war der einzige Grund, weshalb das Orbit Hospital einen kleinen Atomreaktor unterhielt, der inmitten modernster Kernfusionsanlagen eher wie ein Museumsstück wirkte. Über die Jahre hinweg hatte das Krankenhaus nicht nur gelernt, wie man telfische Unfallopfer behandeln konnte, sondern auch Patienten, die an den telfischen Entsprechungen für Atem- und Darmbeschwerden und gynäkologischen Krankheiten litten. Aus naheliegenden Gründen mußten für solche Behandlungen häufig nicht nur Ärzte, sondern auch Physiker und Ingenieure herangezogen werden.
»Das Teilwesen, das wir besuchen werden, ist der letzte noch lebendePatient von insgesamt dreien, die sich bei einer Funktionsstörung ihres Schiffs verletzt haben. Die technischen Einzelheiten will ich uns lieber ersparen, da wir beide sowieso nicht viel davon verstehen. Cherxic war ein Teilwesen der Gesamtgestalt, die auf die Bedienung des Schiffes spezialisiert war. Da er kein funktionierendes Mitglied seiner Gruppe mehr ist, haben die anderen die Reihen so gut wie möglich geschlossen und jeglichen körperlichen, verbalen und telepathischen Kontakt mit Cherxic abgebrochen, um…«
»Haben Sie nicht eben noch behauptet, daß es sich bei den Telfis um eine zivilisierte Spezies handelt?« unterbrach ihn Hewlitt.
»Ja«, antwortete Lioren, wobei er mit den Augen und den mittleren Händen schnell die Verschlüsse von Hewlitts Schutzanzug überprüfte. »In Ordnung. Die Schutzhandschuhe und die darunter befindlichen Stoffhandschuhe brauchen Sie nicht anzulegen, da wir sie während des Besuches bei Cherxic nicht benötigen, aber überprüfen Sie die Sichtblende ihres Helms lieber doppelt, während ich mich umziehe. Die Lichtstrahlung ist auf der Telfi-Station nämlich das reinste Teufelszeug.«
»Der Anzugstoff scheint sehr dünn zu sein«, merkte Hewlitt mit kritischem Blick an.
»Die Materialien, aus denen sowohl der Anzug als auch die Sichtblende sind, wurden vom Planeten Telfi importiert, wo man sie zum Schutz für außerplanetarische Besucher entwickelt hat«, klärte ihn der Padre auf. »Weder Sie selbst noch einer Ihrer zukünftigen Nachkommen, die Sie vielleicht noch hervorbringen werden, müssen sich Sorgen machen.«
Hewlitt schluckte schwer und versuchte, mit fester Stimme zu reden, als er sagte: »Wenn wir tatsächlich Virenembryos in uns tragen, müßte Prilicla sie dann nicht wahrnehmen können?«
»Ja, vorausgesetzt, daß sie sich in einem Entwicklungsstadium befinden, wo sie sich ihrer eigenen Existenz bereits bewußt sind.«
Noch bevor Hewlitt etwas entgegnen konnte, fuhr Lioren fort: »Weder Patient Cherxic noch irgendein anderer Telfi würde in solch einer tragischenZeit daran denken, um die Anwesenheit eines Familienangehörigen oder Freundes zu bitten. Bei vollem Bewußtsein langsam sterben zu müssen ist für jede Lebensform eine schreckliche Erfahrung, und da die Telfis ihre telepathischen Fähigkeiten bis zum Ende bewahren, möchten sie diese nicht mit ihren Artgenossen teilen. Selbst bei nachlassendem Bewußtsein spürt ein Telfi heftige Schmerzen, begleitet von Angst, die nicht gebändigt oder verheimlicht werden kann, weil ein Telepath außerstande ist, seine Gefühle zu verheimlichen. Für ein Wesen, das von Geburt an daran gewöhnt ist, in engem körperlichen und geistigen Kontakt mit seinen Mitwesen zu stehen, bedeutet dieser Zustand eine unbekannte und schreckliche Isolation; eine Einsamkeit, die dermaßen groß ist, daß Nichttelepathen sich das kaum vorstellen können. Folglich sind nur Nichttelepathen wie wir in der Lage, einem sterbenden Telfi Trost zu spenden. Dies erreichen wir am besten dadurch, indem wir uns mit ihm per Translator unterhalten, seinen letzten Gedanken zuhören und ihm ermöglichen, die körperliche Nähe eines anderen empfindungsfähigen Wesens noch einmal zu spüren, denn er weiß, daß wir Mitgefühl haben, seinen Schmerz aber nicht spüren können.«
Hewlitt schämte sich ein wenig dafür, daß seine egoistische Angst größer gewesen war als sein Mitleid für dieses Wesen, dem er gleich begegnen würde. »Wie sehen Telfis eigentlich aus? Und als Sie eben von körperlicher Nähe gesprochen haben, was genau haben Sie damit gemeint?«
»Wir werden jetzt bis zur Schleusenkammer gehen, die zum Telfi-Schiff führt«, sagte Lioren, ohne Hewlitts Frage zu beantworten. »Folgen Sie mir. Sie brauchen keine Angst zu haben, denn wo wir hingehen, ist die Strahlenemission ungefährlich.«
Die Luftschleuse klappte auf und enthüllte einen Bordtunnel, dessen Ende wie eine viereckige Sonne glühte. In der Zeit, in der sie ihn durchquert hatten, hatten sich Hewlitts Augen an das grelle Licht gewöhnt, aber trotz seiner Sichtblende mußte er die Augen zusammenkneifen, um die Einzelheiten erkennen zu können. Die Geräte, die aus den Wänden und der Decke hervorragten, nahm er nur verschwommen wahr – und das sowohl in optischer als auch in geistiger Hinsicht -, doch in der Mitte derSchleusenkammer war ein G-Schlitten festgebunden, auf dem zwei lange, offene Metallkästen standen. Hewlitt folgte dem Padre und blieb mit ihm neben den beiden Kästen stehen. Ihm fiel dabei auf, daß Särge offenbar auf allen Welten gleich aussahen, wenngleich die Tatsache, daß diese Wesen anscheinend in ihre letzte Ruhestätte gelegt worden waren, bevor sie klinisch tot waren, nach seinem Dafürhalten von einem gewissen Mangel an Sensibilität zeugte.
»Diese beiden sind klinisch tot«, korrigierte ihn Lioren mit leiser, mißbilligender Stimme, die Hewlitt deutlich werden ließ, daß er zuvor laut nachgedacht haben mußte. »Sie sind beide innerhalb weniger Minuten nach meinem ersten Besuch gestorben. Man hat sie hier in der Schleusenkammer in der Nähe des Bordtunnels gelassen, damit die physische Anwesenheit ihrer Körper dem noch lebenden Teilwesen ihrer ehemaligen Gesamtgestalt keinen Kummer bereitet. Außerdem ist es so für die Pathologie bequemer, die Leichen abzutransportieren. Da die Telfis ihre Toten lediglich in der Erinnerung ehren, sind die Leichen dem Krankenhaus für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt worden, allerdings unter der Voraussetzung, daß die sterblichen Überreste auf die Oberfläche irgendeiner Sonne befördert werden. Bei den raumreisenden Gestaltwesen der Telfis hat sich dieser einheimische Brauch so eingebürgert. Entschuldigen Sie mich bitte kurz, denn ich muß mich erkundigen, ob es überhaupt noch möglich ist, Cherxic zu besuchen. Vielleicht ist er bereits gestorben… Ach, und bitte denken Sie daran, daß der Tod während einer Unterhaltung mit einem Telfi nie angesprochen werden darf.«
»In Ordnung, und trotzdem habe ich noch eine Frage: Eben haben Sie gesagt, daß die körperliche Nähe zu…«
»Padre Lioren und Patient Hewlitt, ein DBDG-Terrestrier, möchten mit dem verletzten Teilwesen Cherxic Kontakt aufnehmen«, sagte Lioren in den Kommunikator. »Wäre das wohl möglich?«