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Darüber hinaus gibt es Anzeichen, daß die Virenkreatur zeitweilig sogar die Kontrolle über den Wirt übernimmt«, fuhr Prilicla fort und hielt eine Weile inne.

Einen Augenblick lang glaube Hewlitt, daß der Empath den anderen Anwesenden auf diese Weise die Möglichkeit bieten wollte, sich zu seinen Thesen zu äußern, doch sagte niemand einen Ton. Also legte er wahrscheinlich nur eine Kunstpause ein, um die passenden Worte zu finden oder auch nur um sein Sprechorgan zu schonen.

»Zum Beispiel gab es da diesen Zwischenfall mit der verletzten Katze«, fuhr er schließlich fort. »Ihre emotionale Bindung zu diesem Tier war so stark, daß Sie es sogar mit ins Bett genommen haben, weil sie in Ihrem kindlichen Glauben hofften, es auf diese Weise heilen zu können. Ihr Bedürfnis, daß die Katze wieder gesund werden würde, muß derart überwältigend gewesen sein, daß sich die Virenkreatur dazu veranlaßt sah, in die Katze einzudringen, um deren Verletzungen zu kurieren und deren Gesundheit über Nacht völlig wiederherzustellen. Erst danach kehrte sie dann in den ihres Wissens nach langlebigeren Wirtskörper zurück.

Viele Jahre später haben Sie sich dann hier im Orbit Hospital mit Patientin Morredeth angefreundet. Weil die Kelgianerin aufgrund des beschädigten Fells für den Rest ihres Lebens unendliche seelische Qualen hätte ertragen müssen, empfanden Sie ebenfalls tiefes Mitleid für sie, und als sie mit ihr in Körperkontakt kamen, passierte dasselbe.«

»Aber das war doch keine Absicht!« protestierte Hewlitt. »Das war purer Zufall, und ich habe mich lediglich mit den Händen an ihrem Fell festgehalten.«

»Auch wenn die Verletzung von Morredeth aus medizinischer Sicht ganzharmlos war, so wurde ihr Körper praktisch völlig runderneuert, das heißt, von der Verunstaltung des Fells war überhaupt nichts mehr zu sehen. Ähnlich ist es zwar auch mit Ihrer Katze gewesen, doch im Gegensatz zu damals ist die Virenkreatur nach der Heilung der Patientin nicht in Ihren Körper zurückgekehrt. Und warum nicht?«

Da es sich um eine rhetorische Frage handelte, sagte niemand einen Ton.

»Für jeden Organismus ist es ganz natürlich, daß er sich weiterentwickelt«, fuhr Prilicla schließlich fort. »Und für einen intelligenten Organismus ist es darüber hinaus ganz natürlich, zu lernen und neue Herausforderungen zu suchen. Ich bin mir sicher, daß sich auch Lonvellins ehemaliger Leibarzt im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts weiterentwickelt hat. Vielleicht trat diese Veränderung als Folge der Nuklearexplosion ein, obwohl normalerweise nur ein organisches Wachstum damit einhergeht. Genauso gut könnte es sich um einen normalen Evolutionsprozeß handeln, wie auch immer ein solcher Vorgang bei einer Ansammlung von Viren aussehen mag. So oder so deutet alles daraufhin, daß das Wesen sowohl seine Sinne in empathischer Richtung als auch hinsichtlich seiner Reaktionen auf äußere Einflüsse geschärft hat. Ganze drei Milchzähne weigerten sich herauszufallen. Die nachfolgenden Zähne verhielten sich völlig normal, und viele der späteren Krankheiten waren nur vorübergehend und tauchten nie wieder auf. Dies führte, wie wir heute wissen, fälschlicherweise zu der Annahme, daß Ihre Krankheitssymptome einer übersteigerten Phantasie zugeschrieben wurden. Völlig zu Recht wollte keiner der Ärzte auf der Erde das Risiko auf sich nehmen – und später auch nicht hier auf Station sieben -, Ihnen ein Medikament ein zweites Mal zu verabreichen, das zuvor eine allergische Reaktion bei Ihnen hervorgerufen hatte. Wenn Ihr Symbiont aber mittlerweile genügend über Ihren Metabolismus erfahren hat, um solche Fremdstoffe als harmlos einzustufen, dann müßte Ihre Reaktion auf eine zweite Dosis normal ausfallen.

Das Verhalten der Virenkreatur während Ihres Aufenthalts im Orbit Hospital weist darüber hinaus auf eine deutliche Veränderung hin. ImGegensatz zu dem Wesen, an das ich mich erinnern kann und dessen emotionale Ausstrahlung in erster Linie von der Angst geprägt war, nicht umgehend in Lonvellins Körper zurückkehren zu können, scheint es jetzt viel eher bereit zu sein, andere Körper aufzusuchen. Vielleicht war es mit Ihnen als Wirt nicht länger zufrieden.«

»Unter diesen Umständen wäre ich allerdings eher froh als beleidigt, wenn sich mein Leibarzt ein neues Betätigungsfeld gesucht hat«, bemerkte Hewlitt trocken.

Prilicla ignorierte die Bemerkung und fuhr fort: »Deshalb kann es durchaus sein, daß sich die Virenkreatur nach einem Vierteljahrhundert der Inbesitznahme eines terrestrischen DBDGs zusehends langweilte und sich nach einer interessanteren Lebensform umschauen wollte, wofür das Orbit Hospital bekanntermaßen der idealste Ort im ganzen Universum ist. Meiner Meinung nach sucht sich das Wesen allerdings instinktiv, oder auch ganz bewußt, einen Wirt mit einer extrem langen Lebenserwartung wie Lonvellin, um die eigene Existenz möglichst lange sicherzustellen. Deshalb hat es auch eine so kurzlebige und nicht intelligente Lebensform wie Ihre Katze damals verlassen und ist gleich nach Verrichtung seiner Arbeit sofort in Ihren Körper zurückgekehrt. Nicht zurückgekehrt ist es aber in Ihren Körper, nachdem es in Morredeth eingedrungen war und das Fell der Kelgianerin wieder zum Wachsen gebracht hatte. Vielleicht hatte es wegen des darauffolgenden Durcheinanders einfach keine Chance dazu. In Morredeths Körper ist es aber auch nicht geblieben. Das weiß ich, weil ich die Kelgianerin vor unserem Abflug genau untersucht habe. Die letzten vier Testtage und meine ständige Überwachung Ihrer emotionalen Ausstrahlung seit Sie an Bord der Rhabwar sind, haben bewiesen, daß es auch nicht mehr in Ihnen oder gar in Ihrem in die Jahre gekommenen ehemaligen Haustier steckt.

Die ernsthafteste und dringendste Frage, die sich uns jetzt stellt, lautet also, wen das Wesen gerade in Besitz genommen hat und was es als nächstes vorhat«, beendete Prilicla seine Ausführungen.

Zwar fühlte sich Hewlitt noch immer über alle Maßen erleichtert, daß erdiese Kreatur endlich losgeworden war, doch machten sich in ihm ebenso nagende Zweifel über sein zukünftiges Schicksal breit. Alle blickten ihn an. Danalta hatte eine völlig ausdruckslose Form angenommen, Murchisons Lächeln begrenzte sich auf die Augenpartien, Naydrads Fell legte sich in krause Wellen, und Prilicla hatte seit Beginn seiner Rede am ganzen Körper gezittert.

Nach seinem Dafürhalten war ihm der Empath zumindest eine Antwort schuldig geblieben, und deshalb fragte er: »Wäre es denn möglich, daß diese Virenkreatur gelernt hat, wie sie ihre Gefühle vor Ihnen verbergen kann?«

»Nein, Freund Hewlitt«, antwortete der Empath, ohne zu zögern. »Ob nun ein organisches Wesen intelligent ist oder nicht: Es hat immer Gefühle. Häufig strahlen die kleinsten und weniger intelligenten Wesen die stärksten und aufwühlendsten Empfindungen aus. Wie ich mich erinnern kann, ließ die emotionale Ausstrahlung von Lonvellins Leibarzt jedoch auf ein sehr intelligentes Wesen schließen. Kein denkendes Wesen kann seine Gefühle vor mir verbergen. So etwas würde allenfalls einem anorganischen Computer gelingen, weil er schlichtweg keine besitzt.

Ansonsten brauchen Sie sich übrigens keine Sorgen zu machen, Freund Hewlitt. Auch wenn unser Leibarzt in der Vergangenheit versehentliche Fehler begangen hat, so hat er Sie, Ihre Katze und auch Lonvellin bis zu dessen gewaltsamen Tod mit einer perfekten Gesundheit ausgestattet. Die Katze, die für ihre ansonsten doch relativ kurzlebige Spezies ein extrem hohes Alter erreicht hat, ist nur ein Beweis dafür. Deshalb würde ich sagen, daß Sie ebenfalls ein überdurchschnittlich langes und gesundes Leben führen werden, es sei denn, Sie erleiden einen Unfall.«

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