»Sind Sie sich wirklich sicher, Patient Hewlitt?« erkundigte sich die Schwester erstaunt. »Sie verfügen nur über geringe Erfahrungen im Umgang mit fremden Spezies, und wenn Sie die anderen zum ersten Mal am Tisch essen sehen, könnte das bei Ihnen ein gewisses Unbehagen auslösen. Oder haben Sie zuvor schon einmal mit Fremdweltlern zusammen gegessen?«
»Nein, noch nie, aber ich möchte unsere Unterhaltung nicht unterbrechen«, antwortete Hewlitt. »Außerdem bin ich mir sicher, daß es mir nichts ausmachen wird, Schwester.«
»Der Trick dabei ist, nicht auf die Teller der anderen zu gucken, sondern nur auf den eigenen«, riet ihm Horrantor.
Als die Tabletts kamen, konnte es sich Hewlitt nicht verkneifen, auf die Teller der anderen zu schielen und fand, daß deren Essen zwar unappetitlich aussah, aber keineswegs eklig. Am meisten irritierte ihn der Anblick von Horrantor, die riesige Mengen gekochter Pflanzen - sie hatte mindestens die sechsfache Körpermasse eines Terrestriers und verschlang logischerweise riesige Portionen davon – in eine Öffnung hineinschob, die er niemals als einen Mund identifiziert hätte. Morredeth war ebenfalls einePflanzenfresserin, und sie gab enorm laute Geräusche von sich, während sie eine Auswahl knackiger und undefinierbarer Rohkost zerschnipselte. Was Bowab aß, konnte er nicht sagen, wenngleich von seinem Teller ein merkwürdig würziger Geruch ausging.
Darüber hinaus entging Hewlitt natürlich nicht, daß die drei Aliens nie auf seinen Teller schauten, und er fragte sich, ob es sich dabei nur um gute Manieren handelte oder ob der Anblick seines synthetischen Steaks und der Pilze womöglich eine noch schlimmere Wirkung auf sie hatte.
Als sie zu Ende gegessen hatten, stellten die anderen drei die Tabletts auf den Essenswagen zurück, und deshalb tat Hewlitt es ihnen gleich. Zwar wußte er nicht, ob sie es deshalb taten, um dem Pflegepersonal Zeit und Arbeit zu ersparen oder um schnell den Tisch für das nächste Spiel abzuräumen, doch hielt er es so oder so für eine gute Idee.
Während Bowab, der Gesamtsieger des vorherigen Spiels, die Karten austeilte, sagte Hewlitt: »Sie sind als Spieler wirklich alle ganz schön hinterhältig, wenn nicht sogar bösartig. Ich würde nicht gerade behaupten, daß die letzten drei Spiele für mich zufriedenstellend verlaufen sind. Ich habe schon die Hälfte meiner Zahnstocher verloren. Das ist gemein!«
»Sehen Sie das Ganze einfach als eine Art unfreiwillig gezahltes Lehrgeld an«, schlug Bowab vor. »Deshalb sollten Sie lieber gute Miene zum wirklich bösen Spiel machen.«
Ein pelziger Zentaur, der auch noch witzig zu sein versucht, dachte Hewlitt. Dann lachte er höflich und fuhr fort: »Meiner Meinung nach ist Scremman ein höchst unfaires Spiel, da das Gewinnen nicht nur davon abhängt, ob ein Spieler gut tricksen und bluffen kann, sondern auch davon, wie genau er die Gesichtsausdrücke oder Regungen seiner Gegner deuten kann. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob es unter dem ganzen kelgianischen und duthanischen Fell überhaupt irgendwelche Gesichtsausdrücke gibt, die man deuten könnte, und Horrantors Kopfhaut ist so ausdrucksfähig wie ein hudlarischer Panzer. Bevor ich hierherkam, habe ich mich mit Aliens immer nur per Kommunikator unterhalten. Für mich sind Sie alle so absolut fremd, daß ich weder die Mimik noch aufschlußreiche Gesten erkennen könnte,
selbst wenn ich welche sehen würde.«
»Wie uns nicht entgangen ist, haben Sie seit Ihrer Einlieferung das physiologische Klassifikationssystem der Bibliothek studiert, das zur Identifizierung und Beschreibung der Bürger der Föderation dient, wozu auch einige grundlegende Informationen über das gesellschaftliche Verhalten gehören. Während des letzten Spiels sind Sie sehr schnell dahintergekommen, welchen Kartenhaufen ich zum Ablegen benutzt habe. Entweder sind Sie zu bescheiden, Hewlitt, oder Sie sind gar nicht so dumm, wie Sie tun, und führen uns alle gehörig an der Nase herum.«
»Demnach haben Sie bereits gelernt, daß bei Scremman während der Spielpausen auch eine psychologische Komponente eine gewisse Rolle spielt«, mischte sich Horrantor ein. »Sie machen wirklich gute Fortschritte.«
»Und sollte ich auch lernen, mich von Komplimenten dieser Art nicht entwaffnen zu lassen?« erkundigte sich Hewlitt in scherzhaftem Ton.
»Selbstverständlich sollten Sie das«, pflichtete ihmBowab bei.
Hewlitt lachte erneut und sagte: »Würde ich also meine Unkenntnis auf diesem Gebiet zugeben, wäre dadurch meine Position nicht einmal geschwächt, weil das Eingeständnis als ein möglicher Bluff angesehen werden könnte, durch den ich meine vermeintlich vorhandenen Fähigkeiten nur verbergen will, richtig? Aber was machen Sie mit jemandem wie Morredeth? Sie ist doch mit Sicherheit benachteiligt, weil sie nicht lügen kann, oder?«
»Kelgianisches Bluffen oder Tricksen bedeutet, daß die wahren Absichten durch Schweigen geheimgehalten werden. Wir müssen versuchen herauszufinden, was sie denkt, indem wir ihr Fell beobachten. Für einen Nichtkelgianer sind solche Gefühlsregungen allerdings sehr schwer zu deuten.«
Bowab sah erst Horrantor und dann wieder Hewlitt an und gab einen knurrenden Laut von sich, der nicht übersetzt wurde. Hewlitt war sich zwar nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, als ob der Duthaner ihn vor etwas zu warnen versuchte.»Als ich ein Kind war, kannte ich eine pelzige Kreatur so gut, daß ich erahnen konnte, was sie dachte oder zumindest was sie fühlte«, erzählte Hewlitt. »Manchmal konnte ich sie sogar zum Spielen bringen, obwohl sie eigentlich schlafen wollte, und hin und wieder stimmte sie mich ihrerseits um, damit ich das tat, was sie wollte.
Dieses Wesen war eine Katze. Das ist ein terrestrisches Haustier, das sich auch auf der Erde entwickelt hat. Im Prinzip gehörte diese Katze meinen Eltern, obwohl man bei ihrem Benehmen eigentlich das Gegenteil hätte vermuten müssen. Es war ein sehr hübsches Tier mit schwarzem Fell, ähnlich wie Bowabs, nur die Pfoten, die Brust und ein kleiner Fleck unter dem Kinn waren weiß. Wenn sie wütend oder ängstlich war, richtete sich ihr Fell auf, wodurch sie größer und furchteinflößender aussah. Dabei handelte es sich um eine instinktive Reaktion aus einer Zeit, als Katzen noch wild lebten. Schon bald lernte sie aber auch subtilere Methoden, sich bemerkbar zu machen.
Wenn sie etwas zu fressen haben wollte, rieb sie ihren Kopf an meinen Waden, und wenn sie sich vernachlässigt fühlte, streckte sie die Krallen aus und versuchte, an meinen Beinen hochzuklettern. Sobald sie sich auf dem Rücken von einer Seite auf die andere rollte und mit den Pfoten in die Luft boxte, bedeutete das, daß sie spielen wollte, und wenn sie sich mit geschlossenen Augen auf meinem Schoß zusammenrollte, die Beine unter dem Körper anzog und das Kinn auf den Schwanz legte, wollte sie schlafen. Manchmal schien sie sich nicht ganz sicher zu sein, ob sie auf meinem Schoß schlafen oder lieber spielen wollte.
Alles in allem war sie ein sehr aktives und liebevolles Wesen«, fuhr Hewlitt fort, und für einen Moment konnte er fast sehen, wie die Katze steifbeinig und mit hocherhobenem Schwanz mitten über den Tisch lief und die Karten mit einer Vorderpfote hin und her schob. »Deshalb wehrte sie sich auch nicht, wenn ich sie sehr sanft am Bauch, unter dem Kinn und um die Ohren herum kraulte oder streichelte. Sie mochte das sogar sehr gern, tat aber so, als ob es ihr nicht gefiele, indem sie vorsichtig mit den Pfoten und mit eingezogenen Krallen nach mir schlug. Am liebsten hatte sie es,wenn ich ihren Rücken streichelte, besonders dann, wenn ich an der Stelle zwischen den Augen anfing und mit den Fingerspitzen unter sanftem Druck langsam über die Wirbelsäule bis hin zum Schwanz strich, der sich dann gerade aufrichtete. Sobald ich das tat, schnurrte sie – das ist ein Geräusch, das Katzen machen, wenn sie sich sehr wohl fühlen und… «