Lieutenant Braithwaite blickte abwechselnd die erboste Chloratmerin und die klotzige, extrem kräftige Gestalt der Hudlarerin an und entgegnete dann lächelnd: »Ich kann Ihnen beiden versichern, daß ich das niemals wagen würde.«
Als sie allein waren, setzte er sich auf die Bettkante. »Mein Name ist Braithwaite, und ich bin von der Abteilung für ET-Psychologie«, stellte er sich Hewlitt vor. »Für mich ist es eine nette Abwechslung, mal mit jemandem reden zu dürfen, der die normale Anzahl an Gliedmaßen und sonstigen Organen hat.«
Hewlitt hatte immer noch das Gefühl, als würde er am liebsten jemanden erwürgen oder wenigstens verbal angreifen, aber dieser Typ hatte nichts gesagt oder getan, was ihn zu einem geeigneten Kandidaten seiner Rachegelüste gemacht hätte. Noch nicht. Deshalb ignorierte er den Psychologen einfach und ließ seinen Blick über die Station in Richtung des Personalraums schweifen, bis er auf Leethveeschis Gestalt haftenblieb.
»Woran denken Sie gerade?« erkundigte sich Braithwaite, als die Stille unangenehm zu werden begann, und fügte gleich darauf lächelnd hinzu: »Istdas die Art Frage, die Sie von mir erwartet haben?«
»Im Gegensatz zu den anderen haben Sie mich nicht mit Patient Hewlitt angesprochen«, antwortete Hewlitt und blickte den Psychologen mißtrauisch an. »Haben Sie das bewußt gemacht, oder weil Sie nicht glauben, daß mir etwas fehlt und ich deshalb kein richtiger Patient bin? Oder haben Sie meinen Namen vergessen?«
»Sie müssen mich auch nicht Lieutenant oder Braithwaite nennen«, antwortete der Psychologe, und erneut trat Schweigen ein.
»Also gut, ich werde Ihre Frage beantworten«, gab sich Hewlitt schließlich geschlagen. »Ich denke an diese grauenhafte Oberschwester und überlege, wie ich mich bei ihr dafür entschuldigen kann, daß ich sie falsch eingeschätzt habe, und wie ich mich bedanken kann, daß sie mir das Leben gerettet hat.«
Braithwaite nickte. »Ich würde sagen, daß Sie bereits die richtigen Worte gefunden haben, und alles, was sie tun sollten, ist, es Leethveeschi genauso zu erzählen, wie Sie es eben mir erzählt haben.«
Aus irgendeinem Grund fiel es Hewlitt schwer, seine Wut diesem Mann gegenüber aufrechtzuerhalten. »Sie sind hier, um mir klarzumachen oder mich davon zu überzeugen, daß meine ganzen Probleme rein psychischer Natur sind. Das ist mir schon oft passiert. Von frühester Jugend an hat man versucht, mir diesen Unsinn einzureden. Also lassen Sie uns keine Zeit mehr damit vergeuden, uns gegenseitig Nettigkeiten an den Kopf zu werfen.«
»Das habe ich auch überhaupt nicht vor«, widersprach Braithwaite, wobei er auf der Bettkante das Gewicht verlagerte und so eng heranrückte, daß er sich mit einem Arm über Hewlitts Oberschenkel hinweg abstützen mußte. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier sitze? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich mich wieder zurücksetze oder aufstehe?«
»Ich fürchte mich nur vor Extraterrestriern, wenn sie mir zu nahe kommen«, antwortete Hewlitt. »Passen Sie nur auf, daß Sie sich nicht auf meine Beine setzen.«
Braithwaite nickte. Hewlitts Anwort auf die höfliche und scheinbarunschuldige Frage machte deutlich, daß ihn die Nähe eines Terrestriers nicht ängstigte. Diese Tatsache war für die psychologische Arbeit sehr nützlich, weil dadurch ein möglicher Problembereich bereits ausgeschlossen wurde. Durch jahrelange Erfahrung wußte Hewlitt, was der Lieutenant vorhatte, und der wiederum war wahrscheinlich intelligent genug, um zu wissen, daß er von seinem Patienten durchschaut wurde.
»Wir beide wissen, daß Ihr Fall kompliziert ist«, fuhr Braithwaite fort und schielte dabei auf Hewlitts Sensorenmeßgerät. »Sie machen den Eindruck, völlig gesund zu sein, obwohl Sie unter einer periodisch auftretenden und unerklärlichen Krankheit leiden, die sogar, sollte der Herzstillstand ein Symptom sein, lebensgefährlich ist. Wir wissen auch, daß sich eine ernste körperliche Erkrankung entsprechend auf die Psyche auswirken kann und umgekehrt, selbst wenn zunächst einmal keine offensichtliche Verbindung erkennbar ist. Ich möchte gern diese Verbindung finden und identifizieren, falls es überhaupt eine gibt.«
Braithwaite wartete, bis Hewlitt schließlich argwöhnisch nickte, bevor er weitererzählte: »Normalerweise wird jemand in dieses Krankenhaus eingeliefert, weil er, sie oder es krank oder verletzt ist. Das Problem und die klinische Behandlung stehen zumeist von Anfang an fest, und die hier beschäftigten Ärzte können die Einrichtungen des führenden Krankenhauses der Föderation nutzen, um die Patienten zu behandeln und sie in den meisten Fällen wieder gesund nach Hause zu schicken. Wenn dem Problem allerdings eine psychologische Komponente zugrunde liegt, dann muß man eben… «
»… darüber reden«, beendete Hewlitt den Satz.
»Richtig, wobei es mir als Psychologen allerdings besser zu Gesicht steht, wenn ich zuhöre«, schränkte Braithwaite ein. »Deshalb hoffe ich auch, daß Sie gleich das Reden übernehmen. Sie sollten damit beginnen, alle ungewöhnlichen Begebenheiten oder Umstände zu beschreiben, an die Sie sich erinnern können, bevor die ersten Beschwerden auftraten. Erzählen Sie mir, wie Sie als Kind damals über Ihre Situation gedacht haben, und nicht, wie sich Ihre Ärzte und Angehörigen später darüber geäußert haben. Also,nur zu, Sie erzählen, und ich höre zu.«
»Sie wollen, daß ich Ihnen alles über den Zeitraum berichte, in dem ich nicht krank war?« hakte Hewlitt nach. Dann deutete er mit einem Nicken in Richtung der Küche, aus der die mit Essenstabletts beladenen Servierwagen auftauchten, und fügte hinzu: »Dafür haben wir leider keine Zeit mehr… es gibt jetzt nämlich Mittagessen.«
Braithwaite seufzte. »Ich möchte dieses Gespräch so schnell wie möglich mit Ihnen zu Ende führen, falls Medalont, der für Sie verantwortlich ist, nichts dagegen hat. Würden Sie mir einen Gefallen tun und für mich ein Essen mit bestellen? Nichts Spezielles, mir reicht es völlig, wenn ich das kriege, was man Ihnen bringt.«
»Aber Sie sind doch kein Patient«, entgegnete Hewlitt verdutzt. »Gestern habe ich zum Beispiel gehört, wie Leethveeschi zu einem Assistenzarzt gesagt hat, er solle gefälligst kein fauler Scrassug sein, was auch immer das sein mag, und zur Personalkantine gehen, anstatt sich das Essen aus der Stationsküche zu stibitzen. Deshalb glaube ich auch nicht, daß die Oberschwester so etwas erlauben wird.«
»Keine Sorge, die Oberschwester wird's bestimmt erlauben, wenn Sie sie erst einmal darum bitten, mit Ihr über eine persönliche Angelegenheit zu sprechen, die Ihrer Meinung nach wichtig ist«, versicherte ihm der Lieutenant. »Nach dem medizinischen Drama vor fünf Stunden wird sie es nicht riskieren wollen, Ihnen diesen Wunsch abzuschlagen. Wenn sie dann kommt, sagen Sie ihr das, was Sie ihr schon die ganze Zeit sagen wollten; daß es Ihnen nämlich leid tut, sie falsch eingeschätzt zu haben, und Sie ihr dankbar sind, daß sie Ihnen das Leben gerettet hat. Danach erzählen Sie ihr, Sie hätten das Gefühl, unser Gespräch könne wichtig für Ihren Gesundheitszustand sein, und ob es möglich wäre, noch eine zweite DBDG-Mahlzeit für mich zu bestellen, um die Unterhaltung ohne Unterbrechung fortführen zu können.
Illensaner erhalten eine Menge Komplimente vom Klinikpersonal, weil sie sehr gute Arbeit leisten«, fuhr Braithwaite fort. »Allerdings weniger von den Patienten, weil diese sich nur selten lange genug hier aufhalten, um dieguten Seiten an diesen Wesen schätzen zu lernen. Das liegt sicherlich daran, daß Illensaner der einzigen chloratmenden Spezies angehören, die darüber hinaus allgemein als die häßlichste der Föderation angesehen wird. Wenn Sie das machen, was ich Ihnen gesagt habe, wird Leethveeschi viel zu überrascht und zu geschmeichelt sein, um Ihnen noch irgendeinen Wunsch abschlagen zu können.«