Im Bett rechts daneben unterhielten sich gerade der kelgianische Patient Henredth und eine Krankenschwester, die einer Spezies angehörte, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Die beiden sprachen so leise, daß sein Translator das meiste von dem, was sie sagten, nicht übersetzen konnte.
Links von Kletilts Bett erkannte Hewlitt eine riesige, elefantenartige Kreatur, und er erinnerte sich daran, daß es sich dabei um einen Tralthaner handeln mußte. Anstatt in einem Bett zu liegen, stand dieses Wesen auf sechs stämmigen Beinen, umgeben von einem komplizierten Gestell, an dem das Geschirr befestigt war, durch das es aufrecht gehalten wurde. Dazu fiel Hewlitt ein, einmal irgendwo gelesen zu haben, daß Tralthaner sogar im Stehen schliefen und selbst im gesunden Zustand Probleme hatten, wiederauf die Beine zu kommen, wenn sie erst einmal hingefallen waren.
Noch während Hewlitt darüber nachdachte, warum diese Kreatur im Krankenhaus war, sah er Chefarzt Medalont, gefolgt von Oberschwester Leethveeschi, aus dem Personalraum kommen. Sie rutschten beziehungsweise stampften durch den Mittelgang, sprachen dabei mit niemandem und schauten direkt in Hewlitts Richtung, der schon im voraus ahnte, wie die erste Frage des Arztes lauten würde.
»Na, wie geht's uns denn, Patient Hewlitt?«
»Gut«, antwortete er, wie es der Arzt nicht anders vermutet hatte.
»Die seit der Ankunft aufgezeichneten Sensordaten des Patienten Hewlitt stützen dessen Selbsteinschätzung bezüglich seines derzeitigen Zustands«, informierte Leethveeschi den Chefarzt. »Der Patient scheint bei optimaler Gesundheit zu sein.«
»Sehr erfreulich«, meinte Medalont und ließ eine seiner Zangen zusammenklicken; obwohl man diese Geste als Zustimmung hätte werten können, wirkte sie doch ziemlich bedrohlich. »Ich würde heute gern ein weiteres ausführliches Gespräch mit Ihnen führen, Patient Hewlitt, und zwar über Ihre erste Einlieferung in ein terrestrisches Krankenhaus, als Sie … «
»Aber diese Informationen haben Sie doch längst!« unterbrach ihn Hewlitt. »In meiner Krankenakte steht alles darüber drin, und das sehr viel ausführlicher, als ich mich heute noch daran erinnern könnte. Mir fehlt nichts, zumindest im Augenblick nicht. Sie vergeuden nur Ihre kostbare Zeit, wenn Sie sich mit mir unterhalten. Mit Sicherheit gibt es hier andere Patienten, die Ihrer Aufmerksamkeit im Moment mehr bedürfen als ich.«
»Während Sie geschlafen haben, haben wir uns bereits um die anderen Patienten gekümmert«, mischte sich Leethveeschi in das Gespräch ein. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Aber was mich betrifft, so hat Patient Hewlitt nicht ganz unrecht. Ich habe nämlich wirklich weit wichtigere Dinge zu tun, als einer Unterhaltung zweier gesunder Wesen zuzuhören. Brauchen Sie mich hier noch, Doktor?«
»Nein danke, Schwester«, antwortete Medalont und wandte sich dannwieder Hewlitt zu. »Ich vergeude übrigens nicht meine Zeit, wenn ich mich mit Ihnen unterhalte, denn ich hoffe, daß Sie mir heute oder zumindest in den nächsten Tagen etwas sagen werden, das nicht in Ihrer Krankenakte steht, etwas, das mir ermöglicht, dieses medizinische Rätsel zu lösen.«
Die Befragung wurde an der Stelle wiederaufgenommen, wo sie am Vortag geendet hatte, und schien ewig zu dauern. Hewlitt gewann dabei das Gefühl, daß, wenn er die Gesten des knochigen Ektoskeletts richtig hätte deuten könnte, sie höchstwahrscheinlich Enttäuschung ausdrückten. Als die Stimme der Oberschwester aus dem Lautsprecher des Bildschirms neben dem Bett ertönte, waren sie gezwungen, die Unterhaltung zu unterbrechen. Bis dahin hatte er keine Ahnung gehabt, daß das Gerät auch als Kommunikator dienen konnte.
»Doktor, in dreißig Minuten gibt es Mittagessen. Werden Sie bis dahin mit ihrem Patienten fertig sein?« wollte Leethveeschi wissen.
»Ja, zumindest für heute«, bestätigte Medalont und fuhr, an Hewlitt gewandt, fort: »Übrigens versuche ich, etwas mehr für unsere Patienten zu tun, als sie nur mit Fragen zu Tode zu langweilen. Wir werden eine ganze Reihe Tests durchführen müssen, und das heißt, daß ich Ihnen eine für Laboruntersuchungen notwendige Blutprobe abnehmen muß. Sie brauchen keine Angst zu haben, dieser Vorgang ist völlig schmerzfrei. Bitte machen Sie Ihren Oberarm frei.«
»Sie… Sie haben kein Recht, mir irgend etwas zu geben, das eventuell…«, stammelte Hewlitt.
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn der Arzt, und die klickenden Geräusche seiner Stimme klangen dabei im Hintergrund ungeduldiger als sonst. »Falls Sie sich erinnern, habe ich Ihnen schon gestern versichert, daß Sie keinerlei Medikamente erhalten werden, bevor wir nicht herausgefunden haben, wie ihr Gesundheitszustand ist. Dazu benötige ich allerdings eine ziemlich große Blutprobe. Also, ich nehme Ihnen jetzt lediglich Blut ab, injiziere aber keine Medizin, Patient Hewlitt. Sie werden nichts merken, falls Sie jedoch den Anblick nicht ertragen können, dann schließen Sie einfach die Augen.«Den Anblick seines eigenen Blutes zu ertragen war ihm nie schwergefallen, erst recht nicht, wenn es sich um solch kleine Mengen handelte, die der Arzt bereits als große Probe zu bezeichnen schien. Als die Blutabnahme vorbei war, bedankte sich Medalont bei Hewlitt und sagte ihm, daß er sich beeilen müsse, um noch rechtzeitig an einer Besprechung beim Mittagessen teilnehmen zu können.
Wie es vom Arzt vorhergesagt worden war, hatte Hewlitt tatsächlich nichts gespürt. Es blieb nur eine kleine Einstichstelle in der Armbeuge zurück, wo die Blutprobe entnommen worden war. Er legte sich entspannt im Bett zurück, beschloß aber, bis zum Mittagessen wach zubleiben, indem er die anderen Patienten beobachtete und ihnen zuhörte, sofern sie sich innerhalb des Empfangsbereich seines Translators befanden. Verglichen mit der blinden, fast panischen Angst, die er tags zuvor noch empfunden hatte, war er von der wachsenden Neugier überrascht, die er plötzlich gegenüber seinen Mitpatienten verspürte.
Hewlitt hatte keine Ahnung, wieviel Zeit verstrich, weil er es als zu anstrengend empfand, den Unterarm zu heben, um einen Blick auf die Armbanduhr zu werfen. Eigentlich fühlte er sich ziemlich wohl und genoß den Umstand, keine Schmerzen zu haben. Doch plötzlich legte sich ein dichter Nebelschleier über die Station und versperrte ihm die Sicht auf die anderen Betten. Je undurchdringlicher dieser Nebel wurde, desto leiser wurden auch die Geräusche auf der Station, und dann nahm er nur noch das blinkende rote Licht und den schrillen Piepton wahr, die vom Meßgerät auf seiner Brust ausgingen. Kurz darauf sah er, wie sich Oberschwester Leethveeschi über ihn beugte und in den Kommunikator schrie: »Bett Nummer zwanzig, Klassifikation DBDG-Terrestrier! Seit etwa zwei Minuten Herz- und Atemstillstand. Reanimationsteam, Beeilung!«
Etwas wie eine Säule aus öligem Seegras stieß aus Leethveeschis Körper hervor, drückte dabei in die Schutzhülle der Kreatur einen beulenartigen Auswuchs und plumpste auf Hewlitts Brustkasten. Er fühlte den festen, regelmäßigen Druck einer Herzmassage, und als letztes sah er, wie sich die Oberschwester noch dichter über ihn beugte.Nein, um Himmels willen! Bloß keine Mund-zu-Mund-Beatmung! dachte er verzweifelt. Du bist doch eine Chloratmerin, du blöde…!