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»Für euch war sie ja fast wie eine Stiefmutter, was?«fragt mich die Madame.

»Sagen wir ruhig eine Art Mutter. Ohne das Eiserne Pferd wäre ich wahrscheinlich Biologe geworden. Sie liebte aber Gedichte so sehr – ich mußte immer neue mitbringen -, daß ich die Biologie links liegenließ.«

»Richtig«, sagt die Madame.»Sie waren ja der mit den Molchen und Fischen!«

Wir gehen hinaus. Im Vorbeigehen sehe ich auf dem Schrank die Kosakenmütze liegen.»Wo sind denn ihre hohen Stiefel?«frage ich.

»Die hat Fritzi jetzt. Fritzi hat keine Lust zu was anderm mehr. Prügeln strengt weniger an. Und es bringt mehr ein. Außerdem müssen wir ja eine Nachfolgerin haben. Wir haben einen kleinen Kundenkreis für eine strenge Masseuse.«

»Wie ist das mit dem Pferd eigentlich passiert?«

»Im Dienst. Sie hatte immer noch zu viel Interesse an der Sache, das war der eigentliche Grund. Wir haben einen einäugigen holländischen Kaufmann, einen sehr feinen Herrn, er sieht gar nicht so aus, aber der Mann will nichts als Prügel und kommt jeden Sonnabend. Kräht, wenn er genug hat, wie der beste Hahn, sehr drollig. Verheiratet, drei süße Kinder, kann natürlich von der eigenen Frau nicht verlangen, daß sie ihn durchhaut – ein Dauerkunde also, dazu die Devisen, er zahlte in Gulden – wir haben den Mann fast angebetet, mit der hohen Valuta. Na, da ist es denn gestern passiert. Malwine hat sich zu sehr aufgeregt – und plötzlich fällt sie um, die Peitsche in der Hand.«

»Malwine?«

»Das ist ihr Vorname. Wußten Sie nicht, wie? Der Herr natürlich, so was an Schrecken! Der kommt nicht wieder«, sagt die Puffmutter wehmütig.»So ein Kunde! Reiner Zucker! Von den Devisen haben wir immer das Fleisch und den Kuchen für ’n ganzen Monat kaufen können. Übrigens, wie ist das denn jetzt?«Sie wendet sich mir zu.»Das ist dann ja nun gar nicht mehr so viel wert, was?«

»Ein Gulden ungefähr soviel wie zwei Mark.«

»Ist das möglich! Und früher waren es Billionen! Na, dann ist es mit dem Kunden nicht so schlimm, wenn er wegbleibt. Wollen Sie nicht noch irgendeine Kleinigkeit mitnehmen als Andenken an das Pferd?«

Ich denke einen Augenblick an das Glas mit dem Schneegestöber. Aber man soll keine Andenken mitnehmen. Ich schüttle den Kopf.

»Dann wollen wir unten eine Tasse guten Kaffee trinken und das Denkmal aussuchen.«

Ich habe auf einen kleinen Hügelstein gerechnet; aber es stellt sich heraus, daß das Eiserne Pferd durch den holländischen Kaufmann Devisen hat sparen können. Es hat die Guldenscheine in eine Kassette getan und nicht eingewechselt. Jetzt sind sie da, und es ist eine stattliche Summe. Der Kaufmann war seit Jahren ein treuer Kunde.

»Malwine hat keine Verwandten«, sagt die Madame.

»Dann natürlich«, erwidere ich,»können wir in die große Klasse der Grabdenkmäler einsteigen. In den Marmor und den Granit.«

»Marmor ist nichts für das Roß«, sagt Fritzi.»Das ist doch mehr für Kinder, was?«

»Längst nicht immer! Wir haben schon Generäle unter Marmorsäulen zur Ruhe gebracht.«

»Granit!«sagt die Puffmutter.»Granit ist besser. Paßt besser zu ihrer eisernen Natur.«

Wir sitzen im großen Zimmer. Der Kaffee dampft, es gibt selbstgebackenen Kuchen mit Schlagsahne und eine Flasche Curacao. Ich fühle mich fast in die alten Zeiten versetzt. Die Damen schauen mir über die Schultern in den Katalog, wie einst in die Schulbücher.

»Hier ist das beste, was wir haben«, sage ich.»Schwarzer schwedischer Granit, ein Kreuzdenkmal mit zwei Sockeln. Es gibt davon nicht mehr als vielleicht zwei oder drei in der ganzen Stadt.«

Die Damen betrachten die Zeichnung. Es ist eine meiner letzten. Ich habe den Major Wolkenstein für die Inschrift verwendet – als 1915 an der Spitze seiner Truppe gefallen -, was mindestens für den ermordeten Tischler in Wüstringen besser gewesen wäre.»War das Pferd katholisch?«fragt Fritzi.

»Ein Kreuz ist nicht nur für Katholiken«, erwidere ich.

Die Puffmutter kratzt sich den Kopf.»Ich weiß nicht, ob ihr so was Religiöses recht gewesen wäre. Gibt’s nicht was anderes? So eine Art Naturfelsen?«

Mir setzt einen Augenblick der Atem aus.»Wenn Sie so etwas wollen«, sage ich dann,»dann habe ich etwas ganz Besonderes. Etwas Klassisches! Einen Obelisken!«

Es ist ein Schuß in die Nacht, das weiß ich; aber mit plötzlich vor Jagdfieber eifrigen Fingern suche ich die Zeichnung des Veteranen hervor und lege sie auf den Tisch.

Die Damen schweigen und studieren. Ich halte mich zurück. Es gibt manchmal ein Finderglück – im Anfang oder am Schluß, wo einem mit der Kinderhand Dinge gelingen, an denen Spezialisten verzweifelt sind. Fritzi lacht plötzlich.»Eigentlich nicht schlecht für das Pferd«, sagt sie.

Die Puffmutter grinst ebenfalls.»Was kostet das Ding?«

Der Obelisk hat, solange ich im Geschäft bin, nie einen Preis gehabt, da jeder wußte, daß er unverkäuflich war. Ich kalkuliere rasch.»Tausend Mark offiziell«, sage ich.»Für euch, als Freunde, sechshundert. Ich kann mir erlauben, diesen Schandpreis zu machen, da heute ohnehin mein letzter Tag im Büro ist – sonst würde ich entlassen. Barzahlung natürlich! Und die Inschrift extra.«

»Warum eigentlich nicht?«sagt Fritzi.

»Von mir aus!«Die Puffmutter nickt.

Ich traue meinen Ohren nicht.»Also abgemacht?«frage ich.

»Abgemacht«, erwidert die Puffmutter.»Wieviel sind sechshundert Mark in Gulden?«

Sie beginnt, die Scheine abzuzählen. Aus der Kuckucksuhr an der Wand schießt der Vogel und ruft die Stunde aus. Es ist sechs Uhr. Ich stecke das Geld ein.»Ein Gedächtnisschnaps«, sagt die Puffmutter.»Für Malwine. Morgen früh wird sie beerdigt. Wir brauchen das Lokal wieder für morgen abend.«

»Schade, daß ich nicht zur Beerdigung bleiben kann«, sage ich.

Wir trinken alle einen Kognak mit einem Schuß Pfefferminzschnaps. Die Puffmutter wischt sich die Augen.»Es geht mir nahe«, erklärt sie.

Es geht uns allen nahe. Ich stehe auf und verabschiede mich.

»Georg Kroll wird das Denkmal setzen lassen«, sage ich.

Die Damen nicken. Ich habe nie soviel Treu und Glauben gesehen wie hier. Sie winken aus den Fenstern. Die Doggen bellen. Ich gehe rasch den Bach entlang der Stadt zu.

»Was?«sagt Georg.»Unmöglich!«

Ich ziehe schweigend die Gulden hervor und breite sie auf dem Schreibtisch aus.»Was hast du dafür verkauft?«fragt er.

»Warte einen Augenblick.«

Ich habe eine Fahrradklingel gehört. Gleich darauf ertönt ein gebieterisches Räuspern vor der Tür. Ich raffe die Scheine zusammen und stecke sie wieder in die Tasche. Heinrich Kroll erscheint in der Tür, die Hosensäume leicht mit Straßenschmutz bekleckert.»Nun«, frage ich.»Was verkauft?«

Er starrt mich giftig an.»Gehen Sie mal ‚raus und verkaufen Sie! Bei der Pleite. Kein Mensch hat Geld! Und wer ein paar Mark hat, hält sie fest!«

»Ich war draußen«, erwidere ich.»Und ich habe verkauft.«

»So? Was?«

Ich drehe mich so, daß ich beide Brüder im Auge habe, und sage:»Den Obelisken.«

»Quatsch!«sagt Heinrich kurz.»Machen Sie Ihre Witze doch in Berlin!«

»Ich habe mit dem Geschäft hier zwar nichts mehr zu tun«, erkläre ich,»da ich heute mittag um zwölf Uhr meinen Dienst beendet habe. Trotzdem lag mir daran, Ihnen mal zu zeigen, wie einfach es ist, Denkmäler zu verkaufen. Direkt eine Ferienbeschäftigung.«

Heinrich schwillt an, hält sich aber mit Mühe.»Gottlob, wir brauchen diesen Unsinn nicht mehr lange anzuhören! Gute Reise! In Berlin wird man Ihnen schon die Flötentöne beibringen.«

»Er hat den Obelisken tatsächlich verkauft, Heinrich«, sagt Georg.

Heinrich starrt ihn ungläubig an.»Beweise!«faucht er dann.

»Hier!«sage ich und lasse die Gulden flattern.»Sogar Devisen!«

Heinrich glotzt. Dann hascht er nach einem der Scheine, dreht ihn um und prüft, ob er echt sei.»Glück«, knirscht er schließlich hervor.»Blödes Glück!«

»Wir können das Glück brauchen, Heinrich«, sagt Georg.»Ohne diesen Betrag könnten wir den Wechsel nicht bezahlen, der morgen fällig ist. Du solltest lieber herzlichen Dank sagen. Es ist das erste wirkliche Geld, das wir hereinkriegen. Wir brauchen es verdammt nötig.«

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