Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»Wozu haben Sie sich mit den Leichen soviel Arbeit gemacht?«fragt Georg.»Sie mußten sie doch alle umbetten. Warum haben Sie nicht einfach ein paar Kreuze mit fingierten Namen und Chargen aufgestellt, und damit fertig? Sie hätten dann sogar einen Generalleutnant haben können.«

Oskar ist schockiert.»Aber Herr Kroll!«sagt er milde vorwurfsvoll.»Das wäre doch eine Fälschung gewesen. Vielleicht sogar Leichenschändung -«

»Leichenschändung nur dann, wenn Sie einen toten Major für einen niedrigeren Rang ausgegeben hätten«, sage ich.»Nicht aber bei einem Musketier, den Sie für einen Tag zum General gemacht hätten.«

»Sie hätten die fingierten Kreuze auf leeren Gräbern aufstellen können«, fügt Georg hinzu.»Dann wäre es keine Leichenschändung gewesen.«

»Es wäre Fälschung geblieben. Und es hätte rauskommen können«, erwidert Oskar.»Schon durch die Totengräber. Und was dann? Außerdem – ein falscher General?«Er schüttelt sich innerlich.»Seine Majestät kannten doch bestimmt ihre Generäle.«

Wir lassen das auf sich beruhen. Oskar auch.»Wissen Sie, was das Komische bei der Sache war?«Wir schweigen. Die Frage kann nur rhetorisch gemeint sein und erfordert keine Antwort.

»Einen Tag vor der Besichtigung wurde alles abgesagt. Seine Majestät kamen überhaupt nicht. Ein Meer von Primeln und Narzissen hatten wir gepflanzt.«

»Haben Sie die Austauschtoten dann zurückgegeben?«fragt Georg.

»Das hätte zuviel Arbeit gemacht. Die Papiere waren auch schon geändert. Und die Angehörigen waren informiert worden, daß ihre Toten verlegt worden seien. Das kam ja öfter vor. Friedhöfe gerieten in die Kampfzone, und nachher mußte alles neu angelegt werden. Wütend war nur der Kommandant mit dem Wodka. Er versuchte sogar, bei mir mit seinem Fahrer einzubrechen, um die Kisten zurückzuholen; aber ich hatte sie längst glänzend versteckt. In einem leeren Grab.«Oskar gähnt.»Ja, das waren Zeiten, damals! Ein paar tausend Gräber hatte ich unter mir. Heute«- er zieht einen Zettel aus der Tasche -»zwei mittlere Hügelsteine mit Marmorplatten, Herr Kroll, das ist leider alles.«

Ich gehe durch den eindunkelnden Garten der Anstalt. Isabelle ist heute zum ersten Male seit langem wieder in der Andacht gewesen. Ich suche sie, kann sie aber nicht finden. Statt dessen begegne ich Bodendiek, der nach Weihrauch und Zigarren riecht.

»Was sind Sie augenblicklich?«fragt er.»Atheist, Buddhist, Zweifler oder schon auf dem Wege zu Gott zurück?«

»Jeder befindet sich immer auf dem Wege zu Gott«, antworte ich kampfmüde.»Es kommt nur darauf an, was er darunter versteht.«

»Bravo«, sagt Bodendiek.»Wernicke sucht Sie übrigens. Warum kämpfen Sie eigentlich so verbissen um so etwas Einfaches wie den Glauben?«

»Weil im Himmel mehr Freude ist über einen kämpfenden Zweifler als über neunundneunzig Vikare, die von Kindheit an Hosianna singen«, erwidere ich.

Bodendiek schmunzelt. Ich will nicht mit ihm streiten; ich erinnere mich an seine Leistung im Gebüsch der Marienkirche.»Wann sehe ich Sie im Beichtstuhl?«fragt er.

»So wie die zwei Sünder von der Marienkirche?«

Er stutzt.»So, Sie wissen das? Nein, nicht so. Sie kommen freiwillig! Warten Sie nicht zu lange!«

Ich erwidere nichts darauf, und wir verabschieden uns herzlich. Auf dem Wege zu Wernickes Zimmer flattern die Blätter der Bäume wie Fledermäuse durch die Luft. Es riecht überall nach Erde und Herbst. Wo ist der Sommer geblieben? denke ich. Er war doch kaum da!

Wernicke packt einen Haufen Papiere beiseite.»Haben Sie Fräulein Terhoven gesehen?«fragt er.

»In der Kirche. Sonst nicht.«

Er nickt.»Kümmern Sie sich vorläufig nicht um sie.«

»Schön«, sage ich.»Weitere Befehle?«

»Seien Sie nicht albern! Es sind keine Befehle. Ich tue, was ich für meine Kranken für richtig halte.«Er sieht mich genauer an.»Sie sind doch nicht etwa verliebt?«

»Verliebt? In wen?«

»In Fräulein Terhoven. In wen sonst? Eine hübsche Krabbe ist sie ja. Verdammt, daran habe ich bei der ganzen Sache überhaupt nicht gedacht.«

»Ich auch nicht. Bei was für einer Sache?«

»Dann ist es ja gut.«Er lacht.»Außerdem hätte es Ihnen gar nichts geschadet.«

»So?«erwidere ich.»Ich dachte bisher, nur Bodendiek wäre hier der Stellvertreter Gottes. Jetzt haben wir auch noch Sie. Sie wissen genau, was schadet und was nicht, wie?«

Wernicke schweigt einen Augenblick.»Also doch«, sagt er dann.»Na, wenn schon! Schade, daß ich nicht mal zuhören konnte! Gerade bei Ihnen! Müssen schöne Mondkalbdialoge gewesen sein! Nehmen Sie eine Zigarre. Haben Sie gemerkt, daß es Herbst ist?«

»Ja«, sage ich.»Darin kann ich Ihnen beistimmen.«

Wernicke hält mir die Kiste mit den Zigarren hin. Ich nehme eine, um nicht zu hören, daß, wenn ich sie zurückweise, das ein weiteres Zeichen von Verliebtheit sei. Mir ist plötzlich so elend, daß ich kotzen möchte. Trotzdem zünde ich die Zigarre an.

»Ich bin Ihnen wohl eine Erklärung schuldig«, sagt Wernikke.»Die Mutter! Ich habe sie wieder zwei Abende hier gehabt. Sie ist endlich niedergebrochen. Mann früh gestorben; Mutter hübsch, jung; Hausfreund, in den die Tochter offenbar auch stark verschossen war; Mutter und Hausfreund unvorsichtig, Tochter eifersüchtig, überrascht sie in einer sehr intimen Situation, hatte sie vielleicht schon länger beobachtet – verstehen Sie?«

»Nein«, sage ich. Mir ist das alles ebenso widerlich wie Wernickes stinkende Zigarre.

»Also soweit sind wir«, fährt Wernicke mit Gusto fort.»Haß der Tochter, Ekel, Komplex, Rettung in Spaltung der Persönlichkeit, speziell den Typ, der alle Realität flieht und ein Traumleben führt. Mutter hat den Hausfreund später noch geheiratet, das brachte es dann ganz zur Krise – verstehen Sie jetzt?«

»Nein.«

»Aber es ist doch so einfach«, sagt Wernicke ungeduldig.»Schwer war nur, an den Kern heranzukommen, aber jetzt -«er reibt sich die Hände.»Dazu haben wir nun noch das Glück, daß der zweite Mann, der vorherige Hausfreund, Ralph oder Rudolph oder so ähnlich hieß er, jetzt nicht mehr blockierend da ist. Geschieden vor drei Monaten, vor zwei Wochen Autounfall, tot – die Ursache ist also beseitigt, der Weg ist frei – jetzt müssen Sie doch endlich kapieren?«

»Ja«, sage ich und möchte dem fröhlichen Wissenschaftler einen Chloroformlappen in den Rachen stopfen.

»Na, sehen Sie! Jetzt kommt es auf die Auslösung an. Die Mutter, die plötzlich keine Rivalin mehr ist, die Begegnung, sorgfältig vorbereitet – ich arbeite schon seit einer Woche daran, und alles geht sehr gut, Sie haben ja gesehen, daß Fräulein Terhoven heute abend schon wieder zur Andacht gegangen ist -«

»Sie meinen, Sie haben sie bekehrt? Sie, der Atheist, und nicht Bodendiek?«

»Unsinn!«sagt Wernicke, etwas ärgerlich über meinen Stumpfsinn.»Darauf kommt es doch nicht an! Ich meine, daß sie aufgeschlossener wird, zugänglicher, freier – haben Sie das denn nicht auch gemerkt, als Sie das letztemal hier waren?«

»Ja.«

»Na sehen Sie!«Wernicke reibt sich wieder die Hände.

»Das war nach dem ersten starken Schock doch ein recht erfreuliches Ergebnis -«

»War der Schock nun auch ein Ergebnis Ihrer Behandlung?«

»Er gehört dazu.«

Ich denke an Isabelle in ihrem Zimmer.»Gratuliere«, sage ich.

Wernicke merkt die Ironie nicht, so sehr ist er bei der Sache.»Die erste flüchtige Begegnung und die Behandlung haben natürlich alles zurückgebracht; das war ja auch die Absicht – aber seitdem – ich habe große Hoffnungen! Sie verstehen, daß ich jetzt nichts brauchen kann, was ablenken könnte -«

»Das verstehe ich. Nicht mich.«

Wernicke nickt.»Ich wußte, daß Sie es verstehen würden! Sie haben ja auch etwas von der Neugier des Wissenschaftlers. Eine Zeitlang waren Sie sehr brauchbar, aber jetzt – was ist los mit Ihnen? Ist Ihnen zu heiß?«

»Es ist die Zigarre. Zu stark.«

»Im Gegenteil!«erklärt der unermüdliche Wissenschaftler.»Diese Brasils sehen stark aus – sind aber das Leichteste, was es gibt.«

80
{"b":"99812","o":1}