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»Leberpastete«, erklärt Freidank hochmütig.

»Auf dem Menü steht aber doch Kartoffelsuppe!«

»Dies ist das Menü, das Herr Knobloch selbst bestimmt haben«, sagt Freidank, der ehemalige Fouriergefreite, und teilt zwei Stücke ab – ein dickes für Gerda, ein dünnes für mich.»Oder wollen Sie lieber die verfassungsgemäße Kartoffelsuppe?«erkundigt er sich kordial.»Kann gemacht werden.«

Gerda lacht. Ich will gerade, erbost über den billigen Versuch Eduards, sie mit Fressen zu kapern, die Kartoffelsuppe verlangen, als Gerda mich unter dem Tisch anstößt. Über dem Tisch wechselt sie graziös die Teller und gibt mir das größte Stück.»So gehört sich das«, sagt sie zu Freidank.»Ein Mann muß immer das größte Stück haben. Oder nicht?«

»Das schon«, stottert Freidank, plötzlich verwirrt.»Zu Hause – aber hier -«Der ehemalige Gefreite weiß nicht, was er machen soll. Er hat den Befehl von Eduard erhalten, Gerda ein generöses Stück, mir aber ein Scheibchen zu geben, und er hat ihn ausgeführt. Jetzt sieht er, daß das Gegenteil daraus geworden ist, und er bricht nahezu zusammen, da er auf einmal selbst die Verantwortung dafür übernehmen muß, was er jetzt tun soll. Das ist in unserm geliebten Vaterlande nicht beliebt. Auf Befehl reagieren wir prompt, das haben wir nun seit Jahrhunderten in unserem stolzen Blut – aber selbst zu entscheiden, das ist eine andere Sache. Freidank tut das einzige, was er kennt: er blickt um Hilfe nach seinem Meister aus und hofft auf einen neuen Befehl.

Eduard erscheint.»Servieren Sie, was stehen Sie herum?«

Ich greife nach meiner Gabel und hacke rasch ein Stück aus der Pastete, die vor mir steht, gerade als Freidank, getreu seinem ersten Befehl, die Teller wieder umtauschen will.

Freidank erstarrt. Gerda prustet los. Eduard, beherrscht wie ein Feldherr, übersieht die Situation, schieb Freidank beiseite, schneidet ein zweites gutes Stück von der Pastete ab, legt es mit Schwung Gerda vor und fragt mich sauersüß:»Schmeckt’s?«

»Es geht«, erwidere ich.»Schade, daß es keine Gänseleber ist.«

»Es ist Gänseleber.«

»Sie schmeckt wie Kalbsleber.«

»Hast du je in deinem Leben Gänseleber gegessen?«

»Eduard«, erwidere ich.»Ich hab‘ sogar Gänseleber gekotzt, soviel habe ich gegessen.«

Eduard lacht durch die Nase.»Wo?«fragt er verächtlich.

»In Frankreich, beim Vormarsch, während meiner Erziehung zum Mann. Wir haben damals einen ganzen Laden voll Gänseleber erobert. In Terrinen, von Straßburg, mit schwarzen Trüffeln aus Perigord, die in deiner hier fehlen. Du schältest damals in der Küche Kartoffeln.«

Ich erzähle nicht, daß mir schlecht geworden ist, weil wir auch noch die Besitzerin des Ladens gefunden hatten – ein altes Frauchen, das in Fetzen an den Resten der Wände klebte, der graue Kopf abgerissen und am Haken eines Ladenregals aufgespießt, wie von einem barbarischen Stamm an einer Lanze.

»Und wie schmeckt es Ihnen?«fragt Eduard Gerda im schmelzenden Ton eines Frosches, der flott an den dunklen Teichen der Weltschwermut hockt.

»Gut«, erwidert Gerda und haut ein.

Eduard macht eine weltmännische Verbeugung und weht davon wie ein tanzender Elefant.»Siehst du«, sagt Gerda und strahlt mich an.»So geizig ist er gar nicht.«

Ich lege meine Gabel nieder.»Höre, du von Sägespänen umwehtes Zirkuswunder«, erwidere ich.»Du siehst einen Menschen vor dir, dessen Stolz noch schwer verletzt ist, um in Eduards Jargon zu reden, weil ihm eine Dame mit einem reichen Schieber durchgegangen ist. Willst du nun, um wieder Eduards Barockprosa zu kopieren, siedendes Oel in die noch nicht verheilten Wunden gießen und mir dasselbe noch einmal vormachen?«

Gerda lacht und ißt.»Rede keinen Unsinn, Schatz«, erklärt sie mit vollen Backen.»Und sei keine beleidigte Leberwurst. Werde noch reicher als die andern, wenn es dich ärgert.«

»Ein schöner Rat! Wie soll ich das machen? Zaubern?«

»So wie die andern. Die haben es doch auch geschafft.«

»Eduard hat dieses Hotel geerbt«, sage ich bitter.

»Und Willy?«

»Willy ist ein Schieber.«

»Was ist ein Schieber?«

»Ein Mann, der die Konjunktur ausnutzt. Der mit allem handelt, von Heringen bis zu Stahlaktien. Der Geschäfte macht, wo er kann, mit was er kann, wie er kann, wenn er nur gerade noch am Gefängnis vorbeikommt.«

»Na, siehst du!«sagt Gerda und greift nach dem Rest der Pastete.

»Findest du, ich sollte auch einer werden?«

Gerda zerkracht ein Brötchen zwischen ihren gesunden Zähnen.»Werde einer oder werde keiner. Aber ärgere dich nicht, wenn du keiner werden willst und die andern es sind. Schimpfen kann jeder, Schatz!«

»Stimmt«, sage ich perplex und plötzlich stark ernüchtert. Eine Menge Seifenblasen scheinen auf einmal in meinem Gehirn zu platzen. Ich sehe Gerda an. Sie hat eine verflucht realistische Art, die Dinge zu betrachten.

»Du hast eigentlich wirklich recht«, sage ich.

»Natürlich habe ich recht. Aber sieh mal, was da erscheint: Glaubst du, das ist auch für uns?«

Es ist für uns. Ein gebratenes Huhn und Spargel dazu. Ein Essen für Munitionsfabrikanten. Eduard überwacht die Sache selbst. Er läßt Freidank tranchieren.»Die Brust für Madame«, kommandiert er.

»Ich nehme lieber ein Bein«, sagt Gerda.

»Ein Bein und ein Stück Brust für Madame«, erklärt Eduard galant.

»Immer zu«, erwidert Gerda.»Sie sind ein Kavalier, Herr Knobloch! Ich wußte es doch!«

Eduard schmunzelt selbstgefällig. Ich verstehe nicht, wozu er das ganze Theater aufführt. Daß Gerda ihm so gefällt, daß er derartige Opfer bringt, kann ich nicht glauben; eher, daß er aus Wut über unsere Eßmarken versucht, sie mir wegzuschnappen. Ein Racheakt ausgleichender Gerechtigkeit also.

»Freidank«, sage ich.»Nehmen Sie das Gerippe von meinem Teller. Ich esse keine Knochen. Geben Sie mir dafür das zweite Bein. Oder handelt es sich bei eurem Huhn um ein amputiertes Kriegsopfer?«

Freidank schaut wie ein Schäferhund auf seinen Herrn.

»Das ist doch das Leckerste«, erklärt Eduard.»Die Brustknochen sind delikat zum Abknabbern.«

»Ich bin kein Knabberer. Ich bin ein Esser.«

Eduard zuckt seine dicken Schultern und gibt mir zögernd das zweite Bein.

»Möchtest du nicht lieber etwas Salat?«fragt er.»Spargel sind sehr schädlich für Trunkenbolde.«

»Gib mir die Spargel. Ich bin ein moderner Mensch und habe einen starken Hang zur Selbstzerstörung.«

Eduard entschwebt wie ein Gummirhinozeros. Mir kommt plötzlich ein Einfall.»Knobloch!«schnauze ich im Generalston Renée de la Tours hinter ihm her.

Er schießt herum, wie von einer Lanze in den Rücken getroffen.»Was soll das?«fragt er mich wütend.

»Was?«

»So zu brüllen.«

»Brüllen? Wer brüllt hier außer dir? Oder ist es zuviel, wenn Miß Schneider etwas Salat haben möchte? Dann biete ihn nicht vorher an!«

Eduards Augen werden enorm. Man sieht einen ungeheuren Verdacht in ihnen aufsteigen und zur Gewißheit werden.

»Sie -«fragt er Gerda.»Sie haben mich gerufen?«

»Wenn Salat da ist, nehme ich gerne welchen«, erklärt Gerda, die nicht errät, was vorgeht. Eduard steht immer noch am Tisch. Er glaubt jetzt fest, daß Gerda die Schwester Renée de la Tours ist. Ich kann sehen, wie er die Leberpastete, das Huhn und die Spargel bereut. Er hat den Eindruck, grauenhaft hereingelegt zu sein.»Es war Herr Bodmer«, sagt Freidank, der herangeschlichen ist.»Ich habe es gesehen.«

Aber Freidanks Worte verhallen ungehört bei Eduard.

»Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, Kellner«, sage ich nachlässig zu ihm.»Das sollten Sie bei den Preußen gelernt haben! Und nun gehen Sie und schütten Sie weiter ahnungslosen Leuten Gulaschsaft in den Nacken. Du aber, Eduard, erkläre mir, ob dieses herrliche Essen eine Einladung war, oder ob du dafür unsere Marken kassieren willst?«

Eduard sieht aus, als ob er einen Schlaganfall kriegen wird.»Gib die Marken her, Schuft«, sagt er dumpf.

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