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»Natürlich! Ein heißes Bad mit dem weltbekannten Kern-Farr-Parfüm drin sogar!«

»Das habe ich gerade ausverkauft.«

»Aber ich habe noch eine Flasche! Die, die du mir im Kino in Prag geschenkt hast. An unserem ersten Abend. Ich habe sie aufbewahrt.«

»Das ist der Gipfel!«sagte Kern.»Gesegnetes Zürich! Du überwältigst mich, Ruth! Es fängt gut mit uns an!«

12

Kern belagerte in Luzern zwei Tage lang die Villa des Kommerzienrates Arnold Oppenheim. Das weiße Haus lag wie eine Burg auf einer Anhöhe über dem Vierwaldstätter See. In den Adressen, die der Professional Binder Kern geschenkt hatte, stand als Anmerkung hinter Oppenheim: Deutscher, Jude. Gibt, aber nur auf Druck. National. Nicht von Zionismus reden.

Am dritten Tage wurde Kern vorgelassen. Oppenheim empfing ihn in einem großen Garten, der voll war von Astern, Sonnenblumen und Chrysanthemen. Er war ein gutgelaunter, kräftiger Mann mit dicken kurzen Fingern und einem kleinen, dichten Schnurrbart.»Kommen Sie jetzt aus Deutschland?«fragte er.

»Nein. Ich bin schon über zwei Jahre fort.«

»Und woher sind Sie?«

»Aus Dresden.«

»Ach, Dresden!«Oppenheim strich sich über den glänzenden, kahlen Schädel und seufzte schwärmerisch.»Dresden ist eine herrliche Stadt! Ein Juwel! Diese Brühlsche Terrasse! Etwas Einzigartiges, wie?«

»Ja«, sagte Kern. Ihm war heiß, und er hätte gern ein Glas von dem Traubensaft gehabt, der vor Oppenheim auf dem Steintisch stand. Aber Oppenheim kam nicht auf den Gedanken, ihm eins anzubieten. Versonnen schaute er in die klare Luft.»Und der Zwinger – das Schloß – die Galerien – das kennen Sie natürlich alles genau, wie?«

»Nicht so genau. Mehr von außen.«

»Aber, lieber junger Freund!«Oppenheim sah ihn vorwurfsvoll an.»So etwas nicht zu kennen! Edelstes deutsches Barock! Haben Sie nie etwas von Daniel Pöppelmann gehört?«

»Doch, selbstverständlich!«Kern hatte keine Ahnung von dem Baumeister des Barocks, aber er wollte Oppenheim gefällig sein.

»Na, sehen Sie!«Oppenheim lehnte sich in seinem Sessel zurück.»Ja, unser Deutschland! Das macht uns keiner nach, wie?«

»Sicher nicht. Das ist auch ganz gut.«

»Gut? Wieso? Wie meinen Sie das?«

»Ganz einfach. Es ist gut für die Juden. Wir wären sonst verloren.«

»Ach so! Sie meinen das politisch! Na, hören Sie… verloren… verloren, was sind das für große Worte! Glauben Sie mir, es wird heute auch sehr viel übertrieben. Ich weiß es aus bester Quelle: So schlimm ist es gar nicht.«

»So?«

»Bestimmt!«Oppenheim beugte sich vor und dämpfte vertraulich seine Stimme.»Unter uns gesagt, die Juden haben selbst viel Schuld an dem, was heute passiert. Eine Menge Schuld haben sie, das sage ich Ihnen, und ich weiß, was ich sage. Es war vieles nicht notwendig, was sie gemacht haben, und ich verstehe was davon!«

Wieviel mag er mir geben, dachte Kern. Ob es ausreichen wird, daß wir bis Bern kommen?

»Nehmen Sie zum Beispiel die Sache mit den Ostjuden, den galizischen und polnischen Einwanderern«, erklärte Oppenheim und nahm einen Schluck Traubensaft.»Mußten die alle hineingelassen werden? Was haben diese Leute wirklich in Deutschland zu suchen? Ich bin genauso dagegen wie die Regierung. Juden sind Juden, heißt es da immer – aber was besteht schon für eine Gemeinschaft zwischen so einem schmutzigen Hausierer mit speckigem Kaftan und Peieslöckchen und einer alten, seit Jahrhunderten eingesessenen bürgerlich-jüdischen Familie?«

»Die einen sind früher eingewandert, die andern später«, sagte Kern gedankenlos und erschrak nachträglich etwas. Er wollte Oppenheim auf keinen Fall reizen.

Doch der merkte nichts; er war zu sehr mit seinem Problem beschäftigt.»Die einen sind assimiliert, sind wertvolle, wichtige, national erstklassige Bürger – und die anderen sind fremde Einwanderer! Das ist es, mein Lieber! Was haben wir mit diesen Leuten zu tun? Gar nichts, überhaupt nichts! Man hätte die in Polen lassen sollen!«

»Da will man sie aber auch nicht haben.«

Oppenheim machte eine weit ausholende Bewegung und sah Kern ärgerlich an.»Das hat doch nichts mit Deutschland zu tun! Das ist doch ganz was anderes! Man muß objektiv sein! Ich hasse es, alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Man kann gegen Deutschland sagen, was man will, die Leute jetzt drüben tun was! Und sie erreichen was! Das müssen Sie wohl zugeben, wie?«

»Natürlich.«. Zwanzig Franken, dachte Kern, sind vier Tage Pension. Vielleicht gibt er auch mehr.

»Daß es dem einzelnen dabei mal schlecht geht, oder bestimmten Gruppen…«, Oppenheim schnaufte kurz,»nun, das sind harte politische Notwendigkeiten! Große Politik kennt keine Sentimentalität. Das müssen wir hinnehmen…«

»Gewiß…«

»Sehen Sie«, sagte Oppenheim,»das Volk wird beschäftigt. Die nationale Würde gehoben. Gewiß, es gibt da Übertreibungen, aber das kommt immer im Anfang vor. Das wird sich geben. Betrachten Sie nur, was aus unserer Wehrmacht geworden ist! So was ist doch einzigartig! Wir sind plötzlich wieder vollwertig. Ein Volk ohne große, schlagkräftige Armee ist nichts, gar nichts!«

»Davon verstehe ich nichts«, erwiderte Kern.

Oppenheim gab ihm einen schiefen Blick.»Das sollten Sie aber!«erklärte er und stand auf.»Gerade im Ausland!«Er haschte nach einer Mücke und zerdrückte sie sorgfältig.»Die andern haben schon wieder Angst vor uns! Und Angst ist alles, glauben Sie mir das! Nur wenn der andere Angst hat, erreicht man was!«

»Das verstehe ich«, sagte Kern.

Oppenheim trank seinen Traubensaft aus und machte einige Schritte durch seinen Garten. Unten leuchtete der See wie ein blauer, vom Himmel gefallener Schild.»Und was ist mit Ihnen los?«fragte er in verändertem Ton.»Wohin wollen Sie?«

»Nach Paris.«

»Warum gerade nach Paris?«

»Ich weiß nicht. Um ein Ziel zu haben. Es soll besser sein, dort unterzukommen.«

»Warum bleiben Sie nicht in der Schweiz?«

»Herr Kommerzienrat!«Kern war plötzlich atemlos.»Wenn ich das könnte! Wenn Sie mir dazu verhelfen könnten, daß ich hierbliebe! Eine Empfehlung vielleicht, oder daß Sie bereit wären, mir Arbeit zu geben… wenn Sie mit Ihrem Namen…«

»Ich kann gar nichts machen«, unterbrach Oppenheim ihn eilig.»Gar nichts! Überhaupt nichts. So meinte ich das auch gar nicht. Es war nur eine Frage. Ich muß politisch völlig neutral sein, in jeder Beziehung. Ich kann mich in nichts einmischen!«

»Es ist doch nicht politisch…«

»Heute ist alles politisch! Die Schweiz ist mein Gastland. Nein, nein, kommen Sie mir nicht mit so was!«Oppenheim wurde immer mißmutiger.»Was wollten Sie denn sonst noch?«

»Ich wollte fragen, ob Sie etwas von diesen Kleinigkeiten brauchen könnten.«Kern zog ein paar Sachen aus der Tasche.

»Was haben Sie denn? Parfüm? Toilettewasser? Kommt nicht in Frage.«Oppenheim schob die Flaschen beiseite.»Seife? Na, ja. Seife kann man ja wohl immer brauchen. Zeigen Sie mal her! Schön. Lassen Sie ein Stück hier. Warten Sie…«Er griff in die Tasche, zögerte einen Augenblick, schob ein paar Geldstücke zurück und legte zwei Franken auf den Tisch.»So, ist ja wohl sehr gut bezahlt, was?«

»Es ist sogar zuviel. Die Seife koste nur einen Franken.«

»Na, lassen Sie nur«, erklärte Oppenheim großzügig.»Aber erzählen Sie es nicht weiter. Man wird sowieso schon furchtbar überlaufen.«

»Herr Kommerzienrat«, sagte Kern ruhig,»eben deshalb möchte ich nur das haben, was die Seife kostet.«

Oppenheim sah ihn etwas überrascht an.»Na, wie Sie wollen. Ein gutes Prinzip übrigens. Nichts schenken lassen. Das war auch immer mein Wahlspruch.«

Kern verkaufte nachmittags noch zwei Stück Seife, einen Kamm und drei Pakete Sicherheitsnadeln. Er verdiente damit insgesamt drei Franken. Mehr aus Gleichgültigkeit ging er schließlich in ein kleines Wäschegeschäft, das einer Frau Sarah Grünberg gehörte.

Frau Grünberg, eine Frau mit wirrem Haar und einem Zwicker, hörte ihn geduldig an.

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