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»Doch, es stört mich.«

Sie wandte sich halb um.»Du machst Witze… bist halt ein lustiger Patron!«- Steiner sah sie an.

»Was siehst du mich denn so an?«sagte das Mädchen.»Man könnte sich ja vor dir furchten. Jesus, wie ein Messerstecher! Hast lange keine Frau gehabt, was?«

»Wie heißt du?«fragte Steiner.

»Du wirst lachen… Elvira. War so eine Idee von meiner Mutter. Die hat immer hoch hinaus wollen. Komm ins Bett.«

»Nein«, sagte Steiner,»laß uns noch was trinken.«

»Hast du Geld?«fragte sie rasch.

Steiner nickte. Elvira ging nackt und unbekümmert zur Tür.»Frau Poschnigg!«schrie sie.»Was zu trinken.«

Die Wirtin erschien so schnell, als hätte sie hinter der Tür gelauscht. Sie war rund, in schwarzen Samt gepreßt und hatte rote Backen und glänzende Kugelaugen.»Wir hätten einen Champagner«, sagte sie dienstfertig,»wie Zucker!«

»Schnaps«, erwiderte Steiner, ohne sie anzusehen.»Zwetschgenwasser, Kirsch, Enzian, ganz egal.«

Die beiden Frauen wechselten einen Blick.»Kirsch«, sagte Elvira.»Von dem guten auf dem obersten Brett. Kostet zehn Schilling, Schatz.«

Steiner gab ihr das Geld.»Wo hast du die Haut her?«fragte er.

»Kein Wimmerl, was?«Elvira drehte sich vor ihm hin und her.»Das findest du nur bei Rothaarigen.«

»Ja«, sagte Steiner,»das habe ich vorhin nicht gesehen, daß du rote Haare hast.«

»Das kommt vom Hut, Liebling.«Elvira nahm der Wirtin die Flasche ab.»Trinken Sie einen mit, Frau Poschnigg?«

»Wenn ich darf?«Die Wirtin setzte sich.»Gut haben Sie’s, Fräulein Elvira!«Sie seufzte.»Unsereins, eine arme Witwe… immer einsam…«

Die arme Witwe kippte das Glas hinunter und goß sich sofort neu ein.»Gesundheit, fescher Herr!«

Sie erhob sich und blitzte Steiner kokett an.»Alsdann besten Dank! Und viel Vergnügen.«

»Bei der hast du Chancen, Schatz«, erklärte Elvira.

»Gib mir mal das Wasserglas da her«, sagte Steiner. Er goß es voll und trank es aus.

»Jesus!«Elvira blickte ihn besorgt an.»Du wirst doch nichts kaputtschlagen, Liebling? Die Wohnung ist kostbar, verstehst du? So was ist teuer, Schatzi!«

»Setz dich hierher«, sagte Steiner.»Neben mich.«

»Wir hätten lieber ’rausfahren sollen. In den Prater oder in den Wald.«

Steiner hob den Kopf. Er spürte den Kirsch mit weichem Hämmern hinter seiner Stirn gegen die Augäpfel schlagen.»In den Wald?«fragte er.

»Ja, in den Wald. Oder in ein Kornfeld, jetzt im Sommer.«

»Ein Kornfeld – im Sommer? Wie kommst du auf ein Kornfeld?«

»Wie man eben so drauf kommt«, plapperte Elvira eifrig und besorgt.»Weil halt Sommer ist, Schatz! Da geht man gern in ein Kornfeld, weißt du?«

»Versteck die Flasche nicht, ich hau’ dir deine Bude nicht kaputt. Ein Kornfeld sagst du… im Sommer?«

»Natürlich im Sommer, Schatz, im Winter ist’s ja kalt.«

Steiner goß sein Glas voll.»Verdammt, wie du riechst…«

»Rothaarige riechen alle ähnlich, Schatzi.«

Die Hämmer hämmerten schneller. Das Zimmer schwankte.»Ein Kornfeld…«sagte Steiner langsam und schwer,»und der Wind nachts…«

»Komm jetzt ins Bett, Liebling, zieh dich aus…«

»Mach das Fenster auf…«

»Das Fenster ist ja offen, Schatzi. Komm, ich mach’ dich glücklich!«

Steiner trank.»Warst du mal glücklich?«fragte er und starrte auf den Tisch.

»Natürlich, oft.«

»Ach, halt den Schnabel. Mach das Licht aus.«

»Zieh dich doch erst aus.«

»Mach das Licht aus.«

Elvira gehorchte. Das Zimmer wurde dunkel.»Komm ins Bett, Schatz.«

»Nein. Bett, nein. Bett ist was anderes. Verdammt! Bett, nein!«

Steiner goß mit schwankender Hand Kirschwasser in sein Glas. Sein Kopf toste. Das Mädchen ging durchs Zimmer. Es kam am Fenster vorbei und blieb einen Augenblick stehen und blickte hinaus. Das schwache Licht der Laternen von draußen fiel über ihre dunklen Schultern. Hinter ihrem Kopf stand die Nacht. Sie hob eine Hand in ihr Haar…»Komm her«, sagte Steiner heiser.

Sie drehte sich um und kam weich und lautlos auf ihn zu. Sie kam, reif wie ein Kornfeld, dunkel und unerkennbar, mit dem Geruch und der Haut von tausend Frauen und einer…

»Marie«, murmelte Steiner.

Das Mädchen lachte tief und zärtlich.»Da sieht man, wie besoffen du bist, Schatz… ich heiß’ doch Elvira…«

8

Es gelang Kern, seine Aufenthaltserlaubnis noch um fünf Tage zu verlängern; dann wurde er ausgewiesen. Man gab ihm einen Freifahrtschein bis zur Grenze, und er fuhr zur Zollstation.

»Ohne Papiere?«fragte der tschechische Beamte.

»Ja.«

»Gehen Sie ’rein. Es sind schon ein paar da. In ungefähr zwei Stunden ist die beste Zeit.«

Kern betrat die Zollbude. Es waren noch drei Leute da – ein sehr blasser Mann mit einer Frau und ein alter Jude.

»Guten Abend«, sagte Kern.

Die anderen murmelten etwas.

Kern stellte seinen Koffer ab und setzte sich. Er war müde und schloß die Augen. Er wußte, daß der Weg nachher noch lang sein würde, und versuchte zu schlafen.

»Wir kommen ’rüber«, hörte er den blassen Mann sagen,»du wirst sehen, Anna, dann wird alles besser.«

Die Frau gab keine Antwort.

»Bestimmt kommen wir ’rüber«, begann der Mann wieder,»ganz bestimmt! Weshalb sollten sie uns nicht ’rüberlassen?«

»Weil sie uns nicht haben wollen«, erwiderte die Frau.

»Aber wir sind doch Menschen…«

Du armer Narr, dachte Kern. Er hörte den Mann undeutlich weitermurmeln; dann schlief er ein.

Er erwachte, als der Zollbeamte kam, um sie abzuholen. Sie gingen über die Felder und kamen zu einem Laubwald, der massig wie ein schwarzer Block vor ihnen im Dunkel lag.

Der Beamte blieb stehen.»Folgen Sie diesem Fußweg und halten Sie sich nach rechts. Wenn Sie die Straße erreicht haben, wieder nach links. Alles Gute.«

Er verschwand in der Nacht.

Die vier standen unentschlossen.»Was sollen wir nun machen?«fragte die Frau.»Weiß einer den Weg?«

»Ich werde vorangehen«, sagte Kern.»Ich war vor einem Jahr schon einmal hier.«

Sie tasteten sich durch das Dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Das Gras war naß und streifte unsichtbar und fremd über ihre Schuhe. Dann kam der Wald mit seinem großen Atem und nahm sie auf.

Sie gingen lange Zeit. Kern hörte die andern hinter sich. Plötzlich blitzten elektrische Lampen vor ihnen auf, und eine grobe Stimme rief:»Halt! Stehenbleiben!«

Kern brach mit einem Sprung seitlich aus. Er rannte ins Dunkel, stieß gegen Bäume, tastete sich weiter, durch ein Brombeergestrüpp, und warf seinen Koffer hinein. Hinter sich hörte er laufen. Er drehte sich um. Es war die Frau.»Verstecken Sie sich!«flüsterte er.»Ich klettere hier ’rauf!«

»Mein Mann… oh, dieser…«

Kern kletterte rasch einen Baum hinauf. Er fühlte das weiche, rauschende Laub unter sich und hockte sich in eine Astgabel. Unten stand regungslos die Frau; er konnte sie nicht sehen, er fühlte nur, daß sie da stand.

Aus der Ferne hörte er den alten Juden etwas sagen.

»Das ist mir wurscht«, erwiderte die grobe Stimme dagegen.»Ohne Paß kommen Sie nicht durch, basta!«

Kern lauschte. Nach einer Weile hörte er auch die leise Stimme des anderen Mannes, der dem Gendarmen antwortete. Sie hatten also beide erwischt. Im selben Augenblick raschelte es unter ihm. Die Frau murmelte etwas und ging zurück.

Eine Weile blieb es ruhig. Dann huschte der Lichtschein der Taschenlampe zwischen den Bäumen umher. Schritte kamen näher. Kern drückte sich an den Stamm. Er war gut gedeckt durch das volle Laub unter ihm. Plötzlich hörte er die harte, unbeherrschte Stimme der Frau.»Hier muß er sein! Er ist auf einen Baum geklettert, hier…«

Der Lichtschein glitt nach oben,»’runterkommen!«schrie die grobe Stimme.»Sonst wird geschossen!«

Kern überlegte einen Moment. Es hatte keinen Zweck. Er kletterte herunter. Die Taschenlampen leuchteten ihm grell ins Gesicht.»Paß?«

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