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Kern stand in einer Drogerie in der Nähe des Wenzelplatzes. Er hatte im Schaufenster ein paar Flaschen Toilettewasser entdeckt, die das Etikett aus dem Laboratorium seines Vaters trugen.

»Farr-Toilettewasser!«Kern drehte die Flasche, die der Drogist vom Regal geholt hatte, in der Hand.»Wo haben Sie denn das her?«

Der Drogist zuckte die Achseln.»Das weiß ich nicht mehr. Es kommt aus Deutschland. Wir haben es schon lange. Wollen Sie die Flasche kaufen?«

»Nicht nur die eine. Sechs…«

»Sechs?«

»Ja, sechs zunächst. Später noch mehr. Ich handle damit. Natürlich muß ich Prozente haben.«

Der Drogist sah Kern an.»Emigrant?«fragte er.

Kern stellte die Flasche auf den Ladentisch.»Wissen Sie«, sagte er ärgerlich,»diese Frage langweilt mich allmählich, wenn sie von Zivilisten gestellt wird. Besonders, wenn ich eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche habe. Sagen Sie mir lieber, wieviel Prozent Sie mir geben wollen?«

»Zehn.«

»Das ist lächerlich. Wie soll ich da etwas verdienen?«

»Sie können die Flaschen mit fünfundzwanzig Prozent haben«, sagte der Besitzer des Ladens, der herangekommen war.»Wenn Sie zehn nehmen, sogar mit dreißig. Wir sind froh, wenn wir den alten Kram loswerden.«

»Alten Kram?«Kern blickte den Mann beleidigt an.»Das ist ein ganz hervorragendes Toilettewasser, wissen Sie das?«

Der Besitzer des Ladens bohrte sich gleichgültig einen Finger ins Ohr.»Mag sein. Dann sind Sie sicher auch mit zwanzig Prozent zufrieden.«

»Dreißig ist das mindeste. Das hat doch nichts mit der Qualität zu tun. Sie können mir dreißig Prozent geben, und das Toilettewasser kann trotzdem gut sein, oder nicht?«

Der Drogist verzog die Lippen.»Alle Toilettewasser sind gleich. Gut sind nur die, für die Reklame gemacht wird. Das ist das ganze Geheimnis.«

Kern sah ihn an.»Reklame wird für dieses bestimmt nicht mehr gemacht. Danach ist es allerdings sehr schlecht. Dann wären fünfunddreißig Prozent die richtige Provision.«

»Dreißig«, erwiderte der Besitzer.»Ab und zu wird doch danach gefragt.«

»Herr Bureck«, sagte der Drogist,»ich glaube, wir können sie ihm mit fünfunddreißig geben, wenn er ein Dutzend nimmt. Der Mann, der ab und zu danach fragt, ist immer derselbe. Er kauft auch nicht; er will uns nur das Rezept verkaufen.«

»Das Rezept? Lieber Gott, das fehlt uns noch!«Bureck hob abwehrend die Hände.

»Das Rezept?«Kern horchte auf.»Wer ist denn das, der Ihnen das Rezept verkaufen will?«

Der Drogist lachte.»Irgend jemand, der behauptet, er hätte früher selbst das Laboratorium gehabt. Natürlich alles Schwindel! Was die Emigranten sich immer so ausdenken!«

Kern war einen Augenblick atemlos.»Wissen Sie, wo der Mann wohnt?«fragte er.

Der Drogist zuckte die Achseln.»Ich glaube, wir haben die Adresse irgendwo ’rumliegen. Er hat sie uns ein paarmal gegeben. Warum?«

»Ich glaube, es ist mein Vater.

Die beiden starrten Kern an.»lst das wahr?«fragte der Drogist.

»Ja, ich glaube, daß er es ist. Ich suche ihn schon lange.«

»Bertha!«rief der Besitzer aufgeregt zu einer Frau hinüber, die an einem Bürotisch im Hintergrund der Drogerie arbeitete.»Haben wir noch die Adresse des Herrn, der uns das Rezept für Toilettewasser verkaufen wollte?«

»Meinen Sie Herrn Stran oder den alten Quatschkopf, der hier ein paarmal ’rumgestanden hat?«rief die Frau zurück.

»Verdammt!«Der Besitzer des Ladens sah Kern geniert an.»Entschuldigen Sie!«Er ging rasch nach hinten.

»Das kommt davon, wenn man mit seinen Angestellten schläft«, erklärte der Drogist hämisch hinter ihm her.

Der Besitzer kam nach einer Weile schnaufend mit einem Zettel zurück.»Hier haben wir die Adresse. Es ist ein Herr Kern. Siegmund Kern.«

»Das ist mein Vater.«

»Tatsächlich?«Der Mann gab Kern den Zettel.

»Hier ist die Adresse. Er war vor etwa drei Wochen das letzte-mal hier. Entschuldigen Sie die Bemerkung vorhin. Sie wissen ja…«

»Es macht gar nichts. Ich möchte nur gern gleich gehen. Ich komme dann nachher zurück wegen der Flaschen.«

»Natürlich! Das hat ja Zeit!«

Das Haus, in dem Kerns Vater wohnen sollte, lag in der Tuzarova ulice, in der Nähe der Markthallen. Es war dunkel und muffig und roch nach feuchten Wänden und Kohldunst.

Kern stieg langsam die Treppen hinauf. Es war sonderbar, aber er hatte etwas Furcht, seinen Vater nach so langer Zeit wiederzusehen – er war zu sehr gewohnt, daß nie etwas besser wurde.

In der dritten Etage klingelte er. Nach einer Weile schlurfte es hinter der Tür, und das Pappschild hinter dem runden Loch des Spions verschob sich. Kern sah ein schwarzes Auge auf sich gerichtet.

»Wer ist da?«fragte eine mürrische Frauenstimme.

»Ich möchte jemand sprechen, der hier wohnt«, sagte Kern.

»Hier wohnt niemand.«

»Doch! Sie wohnen ja schon hier!«Kern sah auf das Schild an der Tür.»Frau Melanie Ekowski, nicht wahr? Aber Sie möchte ich nicht sprechen.«

»Na, also.«

»Ich möchte einen Mann sprechen, der hier wohnt.«

»Hier wohnt kein Mann.«

Kern blickte das runde, schwarze Auge an. Vielleicht stimmte es, und sein Vater war längst ausgezogen. Er fühlte sich plötzlich leer und enttäuscht.

»Wie soll er denn heißen?«fragte die Frau hinter der Tür.

Kern hob voll neuer Hoffnung den Kopf.»Das möchte ich nicht durchs ganze Haus schreien. Wenn Sie die Tür öffnen, werde ich es Ihnen sagen.«

Das Auge verschwand vom Guckloch. Eine Kette rasselte. Das ist ja eine Festung, dachte Kern. Er war ziemlich sicher, daß sein Vater doch noch hier wohnte; die Frau hätte sonst nicht weiter gefragt. Die Tür öffnete sich. Eine kräftige Tschechin mit roten Backen und breitem Gesicht betrachtete Kern von oben bis unten.

»Ich möchte Herrn Kern sprechen.«

»Kern? Kenne ich nicht. Wohnt nicht hier.«

»Herrn Siegmund Kern. Ich heiße Ludwig Kern.«

»So?«Die Frau musterte ihn mißtrauisch.»Das kann jeder sagen.«

Kern zog seine Aufenthaltserlaubnis aus der Tasche.»Hier – sehen Sie sich dieses Papier bitte an. Der Vorname ist aus Versehen falsch geschrieben; aber Sie sehen das andere.«

Die Frau las den gesamten Zettel durch. Es dauerte lange. Dann gab sie ihn zurück.»Verwandter?«

»Ja.«Etwas hielt Kern ab, mehr zu sagen. Er war jetzt fest überzeugt, daß sein Vater hier war.

Die Frau hatte sich entschieden.»Wohnt nicht hier«, erklärte sie kurz.

»Gut«, erwiderte Kern.»Dann will ich Ihnen sagen, wo ich wohne. Im Hotel Bristol. Ich bleibe nur ein paar Tage hier. Ich hätte vor meiner Abreise gern mit Herrn Siegmund Kern gesprochen. Ich habe ihm etwas zu übergeben«, fügte er mit einem Blick auf die Frau hinzu.

»So?«

»Ja. Hotel Bristol. Ludwig Kern. Guten Abend.«

Er stieg die Treppen hinunter. Du lieber Himmel, dachte er, das ist ja ein Zerberus, der ihn da bewacht! Immerhin – bewachen ist besser als verraten.

Er ging zu der Drogerie zurück. Der Besitzer stürzte auf ihn zu.»Haben Sie Ihren Vater gefunden?«Er hatte die ganze Neugier eines Menschen im Gesicht, dem jede Sensation in seinem Leben fehlt.

»Noch nicht«, sagte Kern, plötzlich widerwillig.»Aber er wohnt dort. Er war nicht zu Hause.«

»So was! Das ist doch wirklich ein Zufall, nicht wahr?«

Der Mann legte die Arme auf den Tisch und schickte sich an, breit über sonderbare Zufälle im Leben zu reden.

»Für uns nicht«, sagte Kern.»Für uns ist es eher ein Zufall, wenn etwas mal normal geht. Was ist mit dem Toilettewasser? Ich kann nur sechs Flaschen nehmen, zunächst. Ich habe nicht mehr Geld. Wieviel Prozent geben Sie mir?«

Der Besitzer überlegte einen Augenblick.»Fünfunddreißig«, erklärte er dann großzügig.»So was kommt ja nicht alle Tage vor.«

»Gut.«

Kern zahlte. Der Drogist packte die Flaschen ein. Die Frau, die Bertha hieß, war inzwischen aus dem Hintergrund herangekommen, um den jungen Mann anzusehen, der seinen Vater wiedergefunden hatte. Sie kaute aufgeregt an etwas Unsichtbarem.

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