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»Was ist ihnen denn anderes übrig geblieben?«, rief ich. »Ihr habt Millionen Menschen zu Zombies gemacht! Die waren auch völlig unschuldig!«

»Die Menschen machen sich seit Hunderten von Jahren selbst zu Zombies. Sie betrügen, übertreiben, lügen, denken sich etwas aus, schwindeln. Jeder Politiker ist regelrecht verpflichtet, seine Wähler zu belügen.«

»Aber nicht so! Nicht auf ewig!«

»Wer hat dir gesagt, Tikkirej, dass diese Menschen für immer Zombies bleiben?« Oma Ada lächelte wieder. »Wenn du möchtest, verrate ich dir ein Geheimnis. Unter Verwandten. Die Programmierung der Persönlichkeit hält ungefähr drei Monate an. Dann verblasst die Wirkung.«

»Sie lügen! Auf Inej sind die Menschen seit langem hirnamputiert, sie sind es bis heute!«

»Das ist alles ganz einfach, Tikkirej. Man muss einem Menschen nicht für ewig das Gehirn zurechtrücken. Es reicht aus, wenn er begonnen hat, ein anderes Leben zu führen, andere Ideale zu schätzen, auf eine andere Flagge schwört, einem anderen Glauben anhängt. Wenigstens ein bisschen — und er gewöhnt sich daran. Weißt du, weshalb? In Wirklichkeit interessiert es niemanden, wer regiert. Für niemanden ist es von Bedeutung, ob die neue Macht die alte auf ehrliche oder unehrliche Weise besiegt hat. Die Hauptsache ist, dass im Teller Suppe und in der Suppe ein Stück Fleisch ist, man ein Dach über dem Kopf hat, im Fernsehen die geliebte Serie läuft und sich auf den Straßen nicht allzu viele Diebe und Rowdys herumtreiben. Das, Tikkirej, ist die Hauptsache. Tierische Instinkte, einfachste Bedürfnisse. Alles andere sind Trägheit und Faulheit. Alle Revolutionen erfolgten, nachdem man den Menschen die Erfüllung der einfachsten Bedürfnisse verweigert hatte. Diese Revolution ist viel humaner. Wir haben das Imperium nicht zerstört, es zu Hunger und Unruhen kommen lassen, obwohl das einfach ist, Tikkirej, ganz einfach! An Stelle dessen lenkten wir die menschliche Trägheit in andere Bahnen. Die Menschen haben sich nicht verändert. Sie sind nicht schlechter geworden.«

»Das stimmt nicht«, erwiderte ich. »Ich habe einen kleinen Jungen gesehen. Er hat Krieg gespielt und seine Spielsachen zertrampelt. Ich habe die Menschenmenge erlebt, als Inna Snow Tien verächtlich gemacht hat…«

»Kleine Jungs spielen schon immer Krieg und zertrampeln ihre Spielsachen. Die Menge verachtet schon immer denjenigen, der sie durchschreitet. In einigen Monaten werden alle Bewohner Neu-Kuweits wieder normal sein. Aber die kleinen Jungs werden weiterhin ihre Spielzeuge zertrampeln. Die Menge wird trotzdem ›Töte!‹ schreien. Genauso verhält sich die Menge auf den Planeten des Imperiums. Genauso spielen die Kinder des Imperiums Krieg gegen Inej.«

Oma Ada erhob sich. Sie kam auf mich zu und dieses Mal versuchte ich erst gar nicht auszuweichen. Vielleicht, weil ich nirgendwohin konnte. Vielleicht war ich einfach nur müde.

»Mein armes, kleines Brüderchen«, sagte Oma Ada zärtlich. »Mein irregeleiteter, verwirrter Kleiner. Du bist auf einem ungeheuer grausamen Planeten aufgewachsen und schuld daran ist dein geliebter Imperator. Du hast dort nur Härte und Grausamkeit kennen gelernt, deshalb hast du dich wegen ein paar Koseworten in einen Mörder und Terroristen verliebt. Aber jetzt wird alles anders…«

Sie streichelte meine Wange. Dabei kamen mir träge und unpassende Gedanken in den Sinn, dass mich meine echten Großmütter nicht einmal gesehen hatten. Höchstens, dass sie mit Mama und Papa in der »Kinderwelt« waren und die Computermodellierung angeschaut hatten. Tikkirej Frost, Junge. Modifiziert für Planeten mit erhöhter Radioaktivität. Voraussichtliches Aussehen bei der Geburt, im Alter von drei, fünf, zehn, fünfzehn Jahren… Intelligent, wissbegierig, leicht störrisch, in Maßen auch selbstbewusst.

Und sehr naiv.

Obwohl nein, Unzulänglichkeiten werden nach Möglichkeit ausgespart. Beziehungsweise wird so formuliert, als ob sie eine Errungenschaft wären. An Stelle von »naiv« hätte man »vertrauensvoll« geschrieben.

Und an Stelle von »willensschwach, wechselt leicht seine Freunde« hieße es »ist leicht zu überzeugen und äußerst kommunikativ« …

»Sterben Sie, Ada Schnee!«, rief ich.

Und die Schlange an meinem Arm spuckte einen beeindruckenden Plasmaklumpen aus.

Die Alte schrie auf, als sie mit ausgerenkter Schulter und einem hilflos herabhängenden rechten Arm von mir weggestoßen wurde. Das Blut floss in mehreren dünnen Rinnsalen. Die Ladung war zu schwach, um die Schulter zu verbrennen, sodass sie wie durch einen starken Beilhieb ausgerenkt wurde.

Im nächsten Augenblick kehrte sich im Zimmer das Innere nach außen.

Die Tür flog auf und einige Gestalten, die an verschwommene graue Schatten erinnerten, glitten ins Zimmer. Hinter den Wänden ertönte Lärm und an einigen Stellen sah ich eine Flammenlinie — mit Hilfe von Brennern wurde sich Zutritt verschafft.

Die Schlange drehte regelrecht durch. Ich schaffte es nicht einmal, einen Gedanken zu fassen, als mein Körper gedreht und in die Ecke, hinter den zweifelhaften Schutz eines Tisches, geworfen wurde. Wie kam das denn zustande? Konnte das Schlangenschwert über meine Muskeln bestimmen?

Die grauen Schatten schossen ihre Flammen ins Leere, dorthin, wo ich eben noch saß, die Steinwand schlug unter den Strahlen der schweren Blaster Blasen wie Asphalt in praller Sonne. Die Schlange schoss erneut auf die Angreifer — mit kurzen, sparsamen Garben, winzigen, weiß glühenden Kügelchen, wie mit feurigem Schrot. Die Masken und Tarnanzüge schalteten sich augenblicklich ab und die Leibwächter von Ada Schnee wurden tödlich getroffen oder verwundet. Ich sprang auf, hechtete über sich krümmende Körper und lief Richtung Tür.

»Nicht töten!«, hörte ich hinter mir die Stimme Oma Adas. »Nicht töten!«

Eine harte, kalte Welle traf mich in den Rücken.

Fühlt es sich etwa so an, wenn man stirbt?

Die Beine knickten ein, die Arme wurden kraftlos, sogar das Atmen fiel schwer. Aber ich lief weiter, die Schlange zog meinen Körper, zwang die Beine weiterzuschreiten — unter immer neuen Schlägen der Paralysatoren.

Ich lief, bis die lähmenden Strahlen meine Nerven dermaßen blockierten, dass auch die Schlange nicht mehr in der Lage war, meine Muskeln zu zwingen, sich zu bewegen. Der Boden kam auf mein Gesicht zu, vor meinen Augen sah ich Blut, das aus meiner zerschlagenen Nase lief, aber ich spürte keinen Schmerz. Fremde starke Hände drehten mich um, durchsuchten mich, rissen mir die Kleidung vom Leib, und einige Gestalten mit Schutzfeldpanzerung rissen mir das Schwert weg, als ob sie eine giftige Schlange gefangen hätten.

Von weit her, wie durch eine dicke Decke, vernahm ich die Stimme Oma Adas: »Bringt den Jungen ins Lazarett! Ihr haftet mit eurem Kopf für ihn!«

Aber nach kurzer Zeit, als sie selbst ins Lazarett gebracht wurde, schlugen sie auf mich ein.

Gut, dass es überhaupt nicht wehtat. An das Lazarett konnte ich mich so gut wie nicht erinnern. Ich hatte den Eindruck, dass es weder die Krankenstation auf dem Kosmodrom noch ein städtisches Krankenhaus war, sondern ein Kriegslazarett auf einem Raumschiff, das im Hafen stationiert war. Dort hatte man entschieden mehr Erfahrung bei der Behandlung Gelähmter — bei Manövern wurden an Stelle echter Blaster stets Paralysatoren verwendet wie auch beim Entern im Kosmos, um die Schutzschicht nicht zu beschädigen.

Als erste neblige Erinnerung spürte ich, wie es in meinem ganzen Körper kribbelte.

Als ob ich in kaltes Wasser gesprungen wäre. Nicht schmerzhaft, eher angenehm.

Danach konnte ich die Augen öffnen. Ich erblickte einige Personen in hellgrünen Kitteln. An meinem Arm war ein Tropf angelegt, über den Körper strichen irgendwelche summenden Geräte. An den Stellen, über die sie geführt wurden, verschwand das Taubheitsgefühl.

»Lieg ruhig«, befahl man mir. Nicht gerade grob, aber ohne jegliches Mitgefühl.

Ich schloss die Augen und lag ruhig.

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