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Und wirklich, fast in jedem Fenster waren Menschen zu sehen. Sie waren festlich gekleidet, tanzten oder tafelten, unterhielten sich am Kaminfeuer. Sie schmückten Weihnachtsbäume oder bauten Raketenmodelle zum Tag der Raumfahrt…

Ich schüttelte den Kopf und verstand die Welt nicht mehr.

»Du bist auf einem äußerst zurückgebliebenen Planeten aufgewachsen, Tikkirej«, sagte Stasj sanft. »Das sind Projektionsfenster, sie kamen vor ungefähr zehn Jahren in Mode. Auf Neu-Kuweit ist fast jedes Haus damit bestückt. Verstehst du, du zeichnest auf dein Fenster irgendeinen schönen und bedeutenden Feiertag auf, eine Hochzeit, Silvester, Geburtstag, und dann überträgt dein Fenster abends diese Bilder. Jeder ist bestrebt, seiner Umgebung zu zeigen, wie gut er feiern kann, wie schön und gemütlich es bei ihm ist. Wem es an eigener Phantasie oder an eigenem Können mangelt, um eine behagliche Atmosphäre zu schaffen, der bestellt die Bilder bei einem Designer.«

»Aha«, meinte ich, »davon habe ich gelesen. Ich habe es schon kapiert. Auf den Straßen sind weder Menschen noch Autos. Überhaupt keine. Es können ja nicht alle schlafen, stimmt’s?«

Ein Fenster zeigte gerade eine Hochzeit. Eine junge Braut, vielleicht siebzehn Jahre alt, küsste einen ebenso jungen Bräutigam. Das ist eigenartig, denn in Wirklichkeit sind sie schon völlig erwachsene Leute, sie könnten Kinder haben, die älter sind als ich, aber ihre Hochzeit geht weiter. Es wird Hochzeit gefeiert… und sie liegen im Bett und sabbern.

»Gefällt dir diese Mode?«, wollte Stasj wissen.

»Nein«, flüsterte ich.

»Mir auch nicht. Ich mag nicht einmal das gewöhnliche Video, Tikkirej. Auch keine Fotos. Die Erinnerung ist das, was in dir ist.«

Das Auto bog auf eine breite Allee ein und nach weiteren fünf Minuten erreichten wir den Sultanspalast. Er war sehr schön und sehr groß, bestimmt hat nur der Imperator auf der Erde einen größeren Palast.

Stasj stöhnte leise. Lange und deftig fluchte er in einer unbekannten Sprache — ich verstand nicht ein einziges Wort, aber es gab keinen Zweifel daran, dass er fluchte.

»Über allen diesen Türmchen und Kuppeln, Tikkirej«, sprach Stasj, »sollte jetzt ein Kraftfeld blinken. Das ist auch schön, auf seine Art. Und ein absoluter Schutz. Ich habe die Aufklärung von Inej unterschätzt.«

Das Auto wendete auf der Mitte der leeren Allee und jagte zurück.

»Und wenn im Kosmodrom auch alle schlafen?«, fragte ich leise.

»Na, und?«

»Kann man etwa ohne Erlaubnis des Towers losfliegen?«

Stasj lachte unlustig auf. Dann sagte er:

»Die Bedeutung der Worte ›kann‹ und ›kann nicht‹ ändert sich in einer kritischen Situation in ihr Gegenteil.«

»Kapitän Stasj, aber warum ist mit uns nichts passiert?«, wagte ich eine Frage zu stellen, die mich bereits seit einer halben Stunde quälte.

»Das weiß ich nicht, Tikkirej. Ich habe einige besondere Fähigkeiten. Du aber bist ein ganz gewöhnlicher Junge. Dabei konnte sich der Agent des Inej für dich nicht unsichtbar machen und die Waffe, mit der sie die Planeten erobern, hat bei dir nicht gewirkt.«

Ich kam mir vor, als hätte man mich mit eiskaltem Wasser übergossen.

Ich drückte fest die schlaffe, leblose Hand Lions.

Und ich dachte… hatte eigentlich fast gedacht, dass Kapitän Stasj auch mein Freund wäre.

In Wirklichkeit erfüllt er lediglich eine Aufgabe. Er konnte die Agenten des Inej nicht aufhalten, bringt dafür aber zwei Jungs mit. Einen in der »Phase der Wiedergeburt«, beim anderen blieb die Geheimwaffe des Feindes wirkungslos.

»Wie geht es deinem Freund?«, erkundigte sich Stasj.

»Ganz gut«, erwiderte ich, »er schläft.«

»Ich werde jetzt die Geschwindigkeit erhöhen«, teilte mir Stasj mit, als ob wir noch nicht mit annähernd Tempo 200 dahinjagten, »also halt ihn gut fest, okay?«

Ich antwortete nicht einmal. Aber Lion umarmte ich fester. Die Häuser blitzten auf und entfernten sich, in den erhellten Fenstern wurde getanzt, es aßen und unterhielten sich dieselben Menschen, die bald hilflose Marionetten sein würden.

Sie würden sicherlich nicht einmal verstehen, was überhaupt passiert war.

Kapitel 6

Das Kosmodrom war genauso gespenstisch leer wie die Stadt. Hier stießen wir allerdings ständig auf schlafende Menschen: an der Taxihaltestelle, an den Ein- und Ausgängen und in den Securitywachstuben aus mattem, verdunkeltem Glas.

»Sie sind nicht sofort eingeschlafen«, stellte Stasj fest, nachdem er sich umgeschaut hatte. »Siehst du, nirgends sind gerammte oder beschädigte Autos zu sehen und niemand hat sich beim Hinfallen verletzt. Als ob alle schlafen wollten… und sich eiligst auf den ersten besten Platz gelegt hätten.«

Er hatte Recht. Mir fielen einige Leute auf, die auf dem Fußgängerweg lagen und ihre Diplomatenkoffer, Taschen oder Aktenkoffer unter den Kopf gelegt hatten. Ein betagter Mann hatte sogar seinen Mantel auf dem Rasen ausgebreitet und aus dem offenen Koffer seine Nachtmütze herausgeholt — ohne sie noch aufsetzen zu können. Über ihn hätte man lachen können, wenn das Ganze eine Fernsehkomödie gewesen wäre.

Ich eilte Stasj hinterher und sah mich aber um, um mir so viel wie möglich einprägen zu könnte. Warum genau, wusste ich selbst nicht. Deshalb erblickte ich gleichzeitig mit dem Ritter einen normalen Menschen.

Es war ein alter Mann im Rollstuhl. Er kam langsam aus einem der Flughafengebäude und schaute sich um. Als er uns erblickte, rief er sofort erstaunlich kräftig: »Warten Sie! Bleiben Sie stehen!«

Wir stoppten. Mir fiel auf, dass Stasj sehr ruhig blieb, als würde er keinen Hinterhalt erwarten.

Der Rollstuhl erhöhte seine Geschwindigkeit und näherte sich uns. Der Alte schaute Stasj sofort argwöhnisch an und fragte:

»Wohin verschleppen Sie dieses hilflose Kind?«

»Dreimal dürfen Sie raten, wohin man in dieser Situation jemanden verschleppen könnte«, erwiderte Stasj, »vielleicht in ein Heim für durchgedrehte Kinder? Auf den Sklavenmarkt? Oder vielleicht doch egal wohin, Hauptsache weit weg von hier?«

Der Alte nickte. Er war sehr alt, aber nicht hinfällig. Er trug einen teuren Anzug mit Manschettenknöpfen aus Edelsteinen, eine die Farbe ändernde Krawatte und Schuhe aus avalonischem Eidechsenleder, die in der Dunkelheit leuchteten. Und sein Rollstuhl kostete bestimmt mehr als jedes Auto. Nur sein Shunt war so alt wie er selbst: mit fünf Zentimetern Durchmesser und einigen Typenbausteinen, die schon lange nicht mehr eingesetzt wurden. Sogar auf Karijer hatte ich diese Shunts selten gesehen.

»Ich heiße Juri«, sagte der Alte, »Juri Semetzki junior, ganz zu Ihren Diensten.«

»Stasj«, antwortete der Phag, »und das ist Tikkirej, der schlafende Junge heißt Lion. Benötigen Sie Hilfe?«

Der Alte schüttelte den Kopf:

»Nein, vielen Dank. Wir sind im Kosmodrom ungefähr zweihundert Leute, die nicht eingeschlafen sind. Wir nehmen alle den Liner Astrachan, er hat das größte Fassungsvermögen. Da ich kaum in der Lage bin, schwere Sachen zu tragen, fahre ich auf dem Territorium des Kosmodroms herum und suche normale Menschen. Die anderen packen die Schlafenden ins Raumschiff. Soviel wir in der verbleibenden Zeit schaffen. In anderthalb bis zwei Stunden werden wir starten.«

»Oho!«, Stasj war wirklich erstaunt. »Das ist gut so. Viel Erfolg für Sie!«

»Wollen Sie sich uns nicht anschließen?«, wunderte sich der Alte.

»Nein, danke. Ich habe mein eigenes Schiff. Ein superkleines, sodass ich keine Mannschaft benötige. Die Jungs nehme ich auch mit.«

»Wäre es nicht vernünftiger, sich uns anzuschließen?«, fragte Juri. »Wir haben Piloten, Navigatoren…«

»Nein«, beendete Stasj das Gespräch, »Ich ziehe es vor, mich auf die eigene Kraft zu verlassen. Und Ihnen würde ich raten, so schnell wie möglich zu starten und mit dem gefährlichen Samaritertum aufzuhören.«

»Sie sollten das nicht unterbewerten!«, rief der Alte aus. »Wenn es im Maßstab des Planeten auch nur ›Peanuts‹ sind, wir tun, was wir können.«

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