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Kapitel 3

Unter den Kuppeln auf Karijer gab es auch einen Fluss. Er floss allerdings im Kreis und das Wasser wurde gefiltert. Auf dem Avalon und Neu-Kuweit gab es echte Flüsse, ich hatte mich schon daran gewöhnt und sie gefielen mir entschieden besser.

Der Gebirgsfluss, den wir nun hinunterfuhren, erwies sich als etwas ganz Besonderes.

Wir verließen das Lager noch im Dunkeln, um vier Uhr morgens. Ich, Lion und Natascha mit zwei Freundinnen. Semetzki verabschiedete sich von uns im Lager, umarmte uns und gab uns folgende Worte mit auf die Reise:

»Einen Vogel erkennt man am Flug, ein Pferd am Trab, einen Menschen an seinen Taten. Ich wünsche euch Glück!«

Nach rund vierzig Minuten waren wir bereits am Fluss, der sich zwischen den Hügeln entlangschlängelte. Die Strömung war hier nicht so stark wie oben in den Bergen, aber der Fluss brodelte und schäumte über die Felsbrocken. Eine Stromschnelle folgte der anderen, durch das absolut saubere Wasser konnte man den steinigen Grund erkennen. Es war unmöglich, hier mit einem Boot hinunterzufahren, aber am Ufer, in den Felsen versteckt, stand ein kleiner Jetski. Er ist für eine Person ausgelegt, für einen Erwachsenen.

»Setzt euch auf den Sitz«, kommandierte Natascha, als wir den Jetski ins Wasser schoben. Lion und ich setzten uns hintereinander, sie stellte sich vor uns an den Lenker. Sie winkte den Mädchen zu, die nur mit uns gekommen waren, um uns zu verabschieden. Nataschas Freundinnen machten besorgte Gesichter. Es war anscheinend nicht so einfach, den Fluss hinunterzufahren.

»Haltet euch gut fest!«, riet uns Natascha. »Wenn ihr runterfallt, ist alles aus.«

»Kann man sich hier nicht anschnallen?«, fragte Lion.

»Sag mal, bist du vom Mond gefallen? Wenn der Jetski umkippt und du bist angeschnallt, wirst du über den Grund geschleift!«

»Rettungswesten?«, fragte Lion.

»Haben wir nicht. Das Wasser ist sowieso eisig, du bekommst sofort einen Krampf. Also haltet euch fest!«

Natascha stand angespannt da und lockerte ihre Hände an den Hebeln. Sie bereitete sich vor.

Mir wurde mulmig.

»Los geht’s!«, schrie Natascha schallend. Mir fiel auf, wie angespannt ihr Rücken war, die Schulterblätter zeichneten sich unter dem dünnen Pullover ab. Natascha beugte sich etwas nach vorn, hinten senkten sich die Motordüsen ins Wasser und der Jetski sprang nach vorn.

Das war eine Fahrt! So etwas hatte ich bisher nur im Kino gesehen.

Das Gefährt raste mit der Strömung nach unten, zeitweise ragten die Düsen aus dem Wasser und der Lärm der Wasserstrahltriebwerke wurde unerträglich. Natascha neigte sich geschmeidig nach rechts und nach links und folgte den Bewegungen des Jetskis. Uns war klar, dass wir es genauso machen müssten. Aber es war sehr schwer, den Wunsch zu unterdrücken, so weit wie möglich dem Wasser fernzubleiben, statt fast die brüllenden Wellen zu berühren, unter denen spitze Steine zu erahnen waren! Und das alles im unsicheren Halbdunkel der Morgendämmerung!

»Sprung!«, schrie Natascha. Und wir flogen unter dem betäubenden Jaulen der aufgedrehten Motoren durch die Luft, um eine der vielen Stromschnellen zu überwinden. »Entspannt euch!«

Ich hätte mich gerne umgewandt und geschaut, ob die Mädchen noch am Ufer zu sehen waren, ob sie uns zuwinkten. Aber es war Angst einflößend, den Kopf dem vorbeirauschenden Ufer zuzuwenden. Ich sah nur auf Nataschas Rücken, fühlte, wie angespannt Lion hinter mir saß und wie Eiswasserspritzer und der Wind mir kräftig ins Gesicht schlugen.

Ich wusste nicht, wie lange diese verrückte Flussfahrt andauerte. Langsam begann sich die Gegend zu verändern. Eine Ebene ersetzte Felsen und Hügel, die aus dem Wasser ragenden Felsbrocken verschwanden, Stromschnellen wurden immer seltener. Der Fluss verbreiterte sich, die Strömung wurde ruhiger.

»Geschafft, wir werden es überleben!«, schrie Natascha. Sie war nass von Kopf bis Fuß. Uns hatte es auch getroffen, aber weniger.

»Wirst du dich nicht erkälten?«, schrie ich.

»Was?«, sie verringerte etwas die Geschwindigkeit, das Heulen ging in ein Pfeifen über, und es war einfacher, sich zu unterhalten.

»Wirst du dich nicht erkälten?«

»Das werde ich!«, stimmte mir Natascha unbeschwert zu. »Aber es ist nicht so schlimm, Opa macht mich wieder gesund. Tikkirej, bist du uns nicht böse?«

»Weswegen?«, fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte.

»Dass wir euch verhaftet hatten«, erwiderte Natascha und begann zu lachen. Sie drehte sich sogar kurz zu mir um und zwinkerte mir zu.

Ich hasse Mädchen! Warum sind sie nur so ekelhaft?

»Das macht nichts, ein Pferd hat vier Beine und stolpert trotzdem«, erwiderte ich.

»Oh, das ist wirklich nicht nötig!«, kreischte Natascha. »Das sind die Sprichwörter meines Großvaters, ich habe mich vielleicht erschrocken!«

Sie fuhr den Jetski näher zum Ufer und wir drosselten die Geschwindigkeit.

»Dauert es noch lange?«, wollte ich wissen.

»Zu Fuß mehr als eine Stunde«, antwortete Natascha. »Tikkirej, lass mich auf deinem Schoß sitzen.«

Ich wusste nicht, warum, stellte aber die Knie auf.

Sie setzte sich sofort darauf, vergaß jedoch nicht zu giften: »Glaub nicht, dass du mir so gut gefällst. Es fällt nur schwer, die ganze Zeit zu stehen.«

»Pass nur auf, wohin du lenkst!«, meldete sich Lion aufgeregt hinter meinem Rücken.

»Da will wohl das Küken die Henne lehren?!«

Langsam wurde es hell. Die Sonne war noch nicht hinter dem Horizont aufgegangen, aber der Himmel im Osten wurde rosa, die dünnen Federwolken weiß. Ein grelles Licht zerschnitt den Himmel — eine große Raumstation auf niedriger Umlaufbahn wurde von den Strahlen der aufgehenden Sonne getroffen.

»Kann man uns nicht orten?«, fragte ich.

»Das gefährlichste Stück haben wir bereits durchquert«, erwiderte Natascha. »Hier fahren schon viele Boote, ich glaube nicht, dass wir verdächtigt werden…«

»Fährst du mit dem Jetski zurück?«

Natascha schüttelte den Kopf:

»Nein. Das Benzin reicht nicht, und tagsüber ist es zu auffällig. Ich bleibe ein paar Tage hier… An einem bestimmten Platz. Wir haben geheime Wohnungen.«

Wo und bei wem sie bleiben würde, sagte Natascha nicht. Und ich fragte auch nicht danach. Das war richtig so, wenn ich gefasst würde, konnte ich nichts verraten.

Wir fuhren an Feldern vorbei. Langsam drehten sich die Sprinkler der Beregnungsanlagen und bewässerten die niedrigen Sträucher mit Regenbogentropfen. Es waren keine Menschen zu sehen, alles lief automatisch.

»Was wird hier angebaut?«, fragte Lion über meine Schulter.

»Tomaten«, erwiderte Natascha kurz angebunden.

»Ich mag Tomaten«, teilte Lion mit.

»Schön für dich! Wir mussten uns hier einmal zwei Tage lang verstecken… Das hat mir fürs ganze Leben gereicht. Weißt du, wie ekelhaft Tomatensträucher in der Hitze stinken?«

Ich erinnerte mich daran, wie ich in meiner Kindheit, in der ersten Klasse, die Lehrerin zum Lachen brachte. Ich sprach über eine Nahrungsmittelfabrik und machte den Fehler, zu sagen, dass dort Milch, Tomaten und Eier produziert würden… Was haben alle gelacht. Tomaten hat man noch nie industriell hergestellt, es ist einfacher, sie anzubauen.

Es war schon richtig hell, als wir an einer kleinen Siedlung vorbeikamen. Auf den Straßen bemerkte ich einige Fußgänger, uns schienen sie nicht zu beachten.

»Wir gehen gleich an Land«, teilte uns Natascha mit. »Die Straße verläuft hier nahe am Fluss… Ich setze euch ab und ihr fahrt per Anhalten Die Straße führt am Kosmodrom vorbei direkt nach Agrabad.«

Lion und ich schauten uns an. Das hieß ja, dass wir am Motel vorbeifuhren! Lion sagte nichts, aber ich wusste sofort, woran er dachte.

Vielleicht sind seine Eltern noch dort?

»Wird uns der Fahrer nicht verdächtigen?«, wollte ich wissen.

»Nein, eigentlich nicht.«, sagte Natascha nachdenklich. »Sagt, dass ihr aus Mendel kommt. Das ist die Siedlung, an der wir vorbeigefahren sind. Dort sind Konservenfabriken. Sagt, dass eure Eltern in der Fabrik arbeiten und ihr… Na, euch wird schon was einfallen. Ihr könntet zu Verwandten nach Agrabad wollen.«

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