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»Tikkirej, in deinem Körper sind Millionen winziger Phagozytenzellen. Weißt du etwa, welche davon dich vor einer Geschwulst oder einer Infektion gerettet hat?«

»Ihr seid doch aber keine Millionen!«

»Natürlich weniger. Wir sind weniger als Tausend, und das ist übrigens fast ein Geheimnis. Aber wir sind Phagen, die auf der Suche nach Gefahren still durch den Weltraum streifen. Das ist zugleich Stolz und Unzulänglichkeit: ein unbemerkter Held zu sein und als Anlass für Witze und Heiterkeit zu dienen. Vielleicht wird uns das irgendwann vernichten. Aber unsere Feinde lachen nicht über uns, Tikki. Niemals. Und jetzt — frag.«

Ich richtete meine Augen auf ihn und zögerte. Es ist wirklich dumm, eine Frage zu stellen, wenn sie schon bekannt ist.

»Kapitän Stasj, kann ich ein Phag werden?«

»So gut wie sicher — nein. Es tut mir sehr leid, Tikkirej, aber die Vorbereitung eines Phagen beginnt noch vor seiner Zeugung. Du wirst dich nie mit dieser Geschwindigkeit bewegen können, die im Kampf notwendig ist. Deine Sinnesorgane sind zu schwach. Du bist schon zu alt. Du bist schon geboren.«

Unwillkürlich begann ich zu lachen. Aber Stasj meinte es ernst.

»Es reicht nicht aus, ein ehrlicher, kluger und gesunder Mensch zu sein. Du hast einen starken Willen, bist hartnäckig und verfügst über Intuition, aber es werden zusätzlich die primitivsten physischen Potenziale benötigt: die Fähigkeit, gegen zwei bis drei Dutzend bewaffneter Gegner zu kämpfen, Belastungen auszuhalten, die ein gewöhnlicher Mensch nicht ertragen kann. Etwas in dieser Richtung…«

Er nahm eine Münze im Wert eines halben Kredit aus der Hosentasche. Mit zwei Fingern drehte er sie zu einer Tüte. Dann presste er sie zu einer dünnen Metallscheibe zusammen.

»Fühl mal!«

Ich fing die Münze auf. Das Metall war glühend heiß.

»Bei unserer Tätigkeit gibt es entschieden weniger von diesen Situationen, als allgemein angenommen wird«, sagte Stasj bedächtig, »aber manchmal treten sie auf. Dich kann man trainieren und ausbilden und du wirst viel stärker und pfiffiger als ein gewöhnlicher Mensch oder sogar ein Elitesoldat des Imperiums. Ungefähr so, wie der Agent des Inej, der im Motel zurückgeblieben ist. Aber ein Phag muss einer sein, der niemals dort zurückbleiben würde.«

»Hm«, äußerte ich. »Ich habe es verstanden. Entschuldigen Sie.«

Stasj nickte.

»Ein Phag kannst du nicht werden. Aber du kannst uns helfen. Damit ein einziger Ritter des Avalon zwischen den Planeten umherstreunen, Geld verschleudern und ungestört zu den Herrschenden gehen kann, werden Hunderte Menschen benötigt, die jeden Einsatz vorbereiten. Und ich werde sehr froh sein, wenn du dir irgendwo auf dem stillen und friedlichen Avalon den Kopf über Ungereimtheiten zerbrechen wirst, die in geheimen Dossiers des Imperiums und provinziellen Nachrichten vergessener Planeten auftauchen. Wenn du Anfragen erarbeiten und Analysen erstellen wirst. Und dann gibst du mir einen Befehl und der unbesiegbare Superheld wird sich an die Arbeit machen. In neun von zehn Fällen völlig umsonst.«

Ich lächelte. Ja, es tat mir sehr weh. Aber es tat auch gut.

Stasj wurde ernst.

»Aber jetzt müssen wir losfliegen, Tikkirej. Wir müssen weitergeben, was wir herausgefunden haben. Du wirst einen Flug im Zeittunnel kennen lernen. Das erste Mal ist es durchaus interessant.«

»Warten Sie, Kapitän Stasj«, erwiderte ich eilig und begann, meine Sicherheitsgurte zu lösen, »noch zwei Minuten, ist das möglich?«

Er lächelte und nickte.

»Nein, Sie haben mich missverstanden«, sagte ich, »Ich — ich gehe in Dauerbetrieb.«

Ich glaube, damit war es mir gelungen, ihn wirklich zu überraschen!

»Wieso, Tikkirej?«

»Dort ist doch mein Freund. Er ist allein. Vielleicht, wenn ich neben ihm im Dauerbetrieb liege… Ich weiß ja, dass dort nichts ist, aber eventuell spürt er es. Vielleicht wird ihm das helfen.«

Beim Reden war ich bereits aufgestanden und zog mich neben dem zweiten Platz für ein Modul aus.

»Du verdirbst dir doch dein eigenes Gehirn«, gab Stasj zu bedenken. Er hatte sich nicht einmal umgedreht, sondern blieb angespannt und ratlos sitzen.

»Na, durch einen Zeitsprung verderbe ich es noch nicht, stimmt’s? Sie haben ja selbst gesagt, dass man nicht immer vernünftig handeln sollte…«

Ich legte mich auf das dämliche Bett für Schwerkranke und begann, die Gurte festzuziehen.

»Es tut mir sehr leid, dass du schon geboren bist…«, sagte Stasj leise, »du hättest ein echter Ritter des Avalon werden können. Viel Erfolg, Tikkirej. Ich versuche, so schnell wie möglich zum Avalon zu kommen. Und das nicht nur wegen Inej und Neu-Kuweit.«

Ich nickte, obwohl er mich nicht sehen konnte. Aber er konnte es ja fühlen. Ich holte das Kabel und steckte es in den Shunt. Schaute auf Lion; durch das dunkle Glas schien sein Gesicht lediglich traurig zu sein.

Es erwies sich als gar nicht so schwer, vor jeder Tat nachzudenken. Ziemlich ungewöhnlich, ziemlich eigenartig. Aber nicht schwer.

»Viel Erfolg, Stasj«, verabschiedete ich mich und schloss die Augen.

Zweiter Teil

Winter

Kapitel 1

Als ich mich der Haltestelle näherte, traf mich ein Schneeball am Hinterkopf.

Ich konnte mich einfach nicht daran gewöhnen! Nicht nur, dass es kalt war, so kalt, dass man spezielle Winterkleidung tragen musste, nein, auch dieser Schnee überall! Ich hatte natürlich davon gehört, aber hören ist etwas ganz anderes als sehen, fühlen und auf Schnee zu laufen.

Oder ein in der Hand zusammengeballtes Stück Schnee vor die Brust zu bekommen.

Ich drehte mich um, tänzelte herum, steckte meine Hand in den Kragen und holte den bereits angetauten Schneeball heraus. Rosi und Rossi kamen mir schon entgegengerannt, lachten und schämten sich kein bisschen. Sie waren Zwillinge, aber mit den Namen hatten sie ebenso wenig Glück wie ich.

»Grüß dich, Tikkirej«, sagte Rosi, »habe ich gut gezielt?«

»Ja«, bekannte ich. Vom Schneeball blieb ein nasser kalter Fleck hinter dem Kragen übrig, der aber langsam warm wurde.

»Ich habe ihr gesagt, dass sie es nicht tun soll«, mischte sich Rossi ein, »aber sie ist ein Schwachkopf ohne Bremsen, das weißt du ja.«

Aus unerfindlichen Gründen war ich davon überzeugt, dass die Idee, mich mit Schneebällen zu bewerfen, eigentlich von Rossi stammte. Wenn er auch leiser und ruhiger als seine Schwester war, so ging die Initiative gewöhnlich von ihm aus.

»Macht nichts«, erwiderte ich, »ich bin nur nicht daran gewöhnt. Bei uns hat es nie geschneit.«

»Es ist langweilig ohne Winter!«, rief Rosi aus. Sie konnte nicht eine Sekunde lang ruhig auf einer Stelle stehen. Entweder gestikulierte sie mit den Händen, die in grell orangefarbenen Handschuhen steckten, versteckte sie in den Manteltaschen oder rückte die nach hinten verrutschte Kappe zurecht. Der diesjährige Winter war warm, sagten mir alle. Nur wenig kälter als null Grad.

Ich fror trotzdem.

»Kommst du mit?«, schlug Rossi vor. »Wir wollen Karten spielen, uns fehlt der vierte Mann. Iwan kommt noch.«

»Nein. Ich kann nicht.«

»Was soll das?«

Rosi zog mich an der Hand und schaute mir in die Augen. »Du bist beleidigt, stimmt’s? Verzeih mir, ich werde nicht mehr nach dir schmeißen.«

»Ich muss in zwei Stunden bei der Arbeit sein«, erklärte ich, »heute hab ich Nachtschicht.«

Rossi maulte: »Ach ja, du bist ein viel beschäftigter erwachsener Mensch.«

»Ich bin kein Erwachsener«, erwiderte ich, »aber ich habe die Bürgerrechte und muss für meinen Lebensunterhalt sorgen.«

Es war schon eigenartig, denn wir waren ja gleichaltrig. Wenn ich mir jedoch Rosi und Rossi ansah und auch ihre Mitschüler, dann kam es mir so vor, als wären sie dumme Kinder und ich erwachsen und weise. Vielleicht deshalb, weil ich auf Neu-Kuweit war? Oder weil ich auf Karijer aufgewachsen war? Sie mussten ja noch nie über soziale Dienste und Zahlungen für Lebenserhaltungssysteme nachdenken oder Spione des Inej verfolgen und einem echten Ritter des Avalon helfen. Ihre Eltern lebten, kümmerten sich um sie, liebten sie und halfen ihnen, wenn es nötig war. Und niemand von ihnen musste arbeiten, höchstens zur Aufbesserung des Taschengeldes während der Ferien hinter der Theke von »Mac Robins« stehen.

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