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Nach einigen Minuten kamen wir ins Lager. In ein echtes Camp, wie bei den Scouts in den Filmen. Die Spitze des Hügels war flach und eben, die Bäume wuchsen hier besonders dicht und zwischen ihnen befanden sich fast unsichtbar Hütten aus Zweigen. Einige Feuerstellen waren von aus Zweigen geflochtenen Matten bedeckt, durch die der Rauch verteilt und die Flammen versteckt wurden. Selbstverständlich gab es hier keine Quellen, aber an einigen Bäumen hingen große, transparente Wasserschläuche. Alles in allem war das Lager sehr gekonnt eingerichtet.

»Halt!«, kommandierte Natascha. Sie ging zu einer der Hütten, die größer und fester als die übrigen war. Die Erde vor der Hütte war eigenartig festgestampft und mit spiralförmigen Zeichnungen bedeckt, als ob dort jemand stundenlang Fahrrad gefahren wäre.

Sicherheitshalber berührte ich die Schlange, als ob ich einfach einen Finger in den Gürtel gehakt hätte. In Wirklichkeit bereitete ich mich auf den Kampf vor.

Natascha klopfte an einen der Hüttenpfeiler wie an eine Tür. Ein bisschen komisch sah das schon aus.

»Ja!«, antwortete aus der Hütte eine unangenehme Zitterstimme.

Natascha nahm den Vorhang, der den Eingang bedeckte, zur Seite und betrat die Hütte. Sie sprach schnell und leise, ich fing lediglich Gesprächsfetzen auf: »… Spione… ein lautes Pfeifen und Krachen… liefen sofort in diese Richtung… eine Landebahn zirka fünfzig Meter lang… behaupten, dass sie sich verlaufen hätten, sie lügen… Spione…«

Das war es also! Sie hatten den Krach unserer Landung gehört! Und glaubten uns natürlich kein einziges Wort…

Der Gesprächspartner Nataschas hörte sich erbost und vorwurfsvoll an.

Er sprach davon, dass man die »Spione« nicht hätte hierherschleppen, sondern sie auf der Stelle befragen sollen, man dürfe keinen Dreck…

Und plötzlich erinnerte ich mich!

»Juri Semetzki der Jüngere!«, schrie ich heraus und fing vor Begeisterung an hin und her zu hüpfen. »Der Schweinezüchter vom Avalon!«

In der Hütte fiel etwas herunter und ging zu Bruch, leise begann ein Motor zu summen. Sämtliche Mädchen richteten ihre Armbrust auf mich. Ich schrie jedoch weiter: »Juri! Das sind Tikkirej und Lion! Sie erinnern sich doch an uns? Auf dem Kosmodrom! Erinnern Sie sich! Ich bin der Junge vom Kosmodrom!«

Aus der Hütte schoss schlingernd ein Rollstuhl. Ein glatzköpfiger Alter im Anzug mit Schlips und Kragen schaute mich an. In seiner linken Handfläche steckte ein kleiner Schraubenzieher und wackelte. Semetzki trug offensichtlich eine Handprothese, und mein Aufschrei hatte ihn von irgendeiner kleinen Reparatur oder Korrektur abgelenkt. Natascha folgte ihm, stellte sich hinter den Rollstuhl und richtete ebenfalls ihre Armbrust auf mich.

»Der Junge aus dem Kosmodrom?«, rief Semetzki erstaunt aus. »Bist du der, der mit dem…« Er unterbrach sich.

Sein jung gebliebener lebhafter Blick musterte mich aufmerksam. Dann schaute Semetzki auf Lion.

»Wohin verschleppen Sie dieses Kind!«, rief ich ihm in Erinnerung. »Na? Erkennen Sie mich?«

»Herr im Himmel!«, krächzte der Unternehmer. »Mädchen, nehmt sofort die Waffen runter! Das sind Freunde!«

Ich weiß nicht, warum, vielleicht vor Überraschung, aber mir stiegen Tränen in die Augen. Ich warf mich auf Semetzki, drückte mein Gesicht an seine eingefallene Brust und begann zu heulen. Die brillantenbesetzte Krawattennadel stach mir schmerzhaft in die Wange, aber das störte mich nicht. Semetzki duftete nach teurem Eau de Cologne, Rauch und Maschinenöl. Die trockene Greisenhand streichelte mir zärtlich über den Kopf.

»Also, Mädchen…«, regte sich Semetzki auf, als ob er nicht selbst vor kurzem noch gefordert hätte, uns am Tatort zu verhören. »Wie konntet ihr nur?«

»Opa… Wir…« Nataschas Stimme erkannte ich mit Mühe und Not wieder, so schuldbewusst klang sie.

»Ei-jei-jei!«, fuhr Semetzki vorwurfsvoll fort. »Und mich trifft es, ich habe euch erzogen, euch minderjährige Amazonen… Weine nur, weine dich nur aus!«, sagte er zu mir gewandt. »Wegen dieser Tunichtgute kommen auch mir oft die Tränen.«

Als ich die Erlaubnis zum Weinen erhielt, war mir gleich nicht mehr danach. Ich fing an mich zu schämen, stand auf und schaute mich um. Kein einziges Mädchen lachte und alle sahen beschämt aus.

Besonders Natascha.

Semetzki gab dessen ungeachtet seine Befehle. »Erster Zug: Lagerfeuer und Abendbrot. Zweiter Zug: Aufklärung, Überwachung des Funkverkehrs. Dritter: Freizeit. Die Sanitäter säubern die Wunden der Jungs. Natascha, ich erwarte dich in fünfzehn Minuten mit einem vollständigen Bericht.«

Er nickte uns ermutigend zu und fuhr in seine Hütte zurück. Wir kamen gar nicht zur Besinnung, als sich schon zwei Mädchen um uns kümmerten. Jetzt lehnten wir ihre Hilfe nicht ab.

Der Verband brannte, als er auf unseren Kratzern und Schürfwunden trocknete. Wir wurden gegen Wundstarrkrampf geimpft, Lion bekam fast neue Sportschuhe und Socken — alles ziemlich grell, mädchenhaft, aber er zog sie trotzdem an.

Natascha war vor Ärger ganz rot. Sie dachte an die Abreibung, die sie erwartete.

»Natascha, wir sind dir überhaupt nicht böse«, sagte ich. Jetzt, nachdem sich alles zum Guten gewendet hatte, wollte ich großmütig sein, ganz wie ein Romanheld. »Es ist völlig klar, dass wir verdächtig gewirkt haben.«

Das Mädchen nickte und warf einen Blick auf die Hütte Semetzkis.

»Sie kriegt trotzdem gehörig was vom Opa ab«, erklärte eine Sanitäterin mitleidig und desinfizierte mir einen Kratzer mit einem antibakteriellen Tupfer. »Er ist jetzt sehr streng zu ihr.«

»Warum?«

»Damit niemand denkt, dass er seine Enkelin bevorzugen und verwöhnen würde. In Wirklichkeit ist es seine Urenkelin, aber er nennt sie Enkelin.«

Ich ahnte, dass es um Nataschas Sache ziemlich schlecht stand. Es hatte sicherlich keinen Sinn, sich einzumischen, Semetzki würde nur noch strenger sein.

»Ich bin froh, dass ihr keine Spione seid«, fuhr die Sanitäterin fort. Sie war hübsch, aber dünn wie alle anderen auch. »Einmal haben wir richtige Spione gefangen.«

»Na und?«, fragte ich.

»Wir haben sie verhört und danach erschossen«, erwiderte das Mädchen angespannt. »Wir hätten sie doch nicht freilassen können!« Es wäre mir unangenehm gewesen, Semetzki anzulügen, das war aber gar nicht nötig. Als wir in seine Hütte gingen und uns auf die Matten vor dem Rollstuhl setzten, packte der Viehzüchter sofort den Stier bei den Hörnern.

»Erstens: Ihr müsst mir nichts erzählen. Ist das klar?« Er beehrte uns mit einem Blick. »Ich verstehe die Situation… Und überhaupt…«

Semetzki zwinkerte uns plötzlich zu. »Mir war schon auf dem Kosmodrom alles klar. Ein Phag hätte niemals gewöhnliche Jungs gerettet. Dass die Phagen schon als Kinder tätig sind, weiß auf dem Avalon jeder. Also, meine Brigade steht zu eurer vollen Verfügung.«

So ein Pech!

Semetzki hielt uns für junge Phagen.

Aber welche anderen Schlüsse hätte er sonst ziehen sollen?

»Wir müssen in die Hauptstadt kommen«, erklärte ich. »Helfen Sie uns dabei?«

»Ja.« Semetzki nickte. »Natascha, ist der Jetski einsatzbereit?«

»Wird aufgeladen«, antwortete seine Enkelin knapp. Sie stand hinter Semetzki und stocherte konzentriert mit einem Tester im aufgeklappten Bedienpult des Rollstuhls herum. »Opa, hast du wieder online gearbeitet?«

»Psst!« Semetzki zwinkerte uns zu. »Keine Angst, ich bin kein Psychopath! Aber einige Berechnungen kann man leichter in zehn Minuten Direktanschluss an die Maschine machen. Also Natascha, wann wird der Jetski aufgeladen sein?«

»Am Morgen.« Natascha schüttelte den Kopf, als ob sie erneut die nicht existenten Haare vom Gesicht wedeln wollte. Aus den Augenwinkeln schaute sie mich an.

»Ist euch das recht?«, wollte Semetzki wissen.

»Ja… Ja, das passt«, murmelte ich. Das war’s dann wohl mit der Abenteuerwoche im Wald… Aber daran war nichts zu ändern.

»Gibt es Befehle für uns?«, fragte Semetzki sachlich. Es machte ihm überhaupt nichts aus, dass er Jungs nach Befehlen fragte.

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