Bolitho würgte und spuckte, und das Deck unter ihm bäumte sich auf und schwankte heftig. Männer schrien und jammerten um ihn herum, und er sah mit Entsetzen, daß Hauptmann Dawson auf den zersplitterten Decksplanken lag und Blut aus seinem Mund strömte.
Nach einer Pause, in der er beinahe taub gewesen war, hörte er, daß die Seesoldaten auf dem Achterdeck mit ihren Kameraden oben in den Masten um die Wette schossen, durchluden und wieder schossen, und sich gegenseitig auf die Scharfschützen in den Masten des Gegners aufmerksam machten.
Inch schrie:»Die Bastarde wollen uns entern!»
Bolitho hielt sich an der Querreling fest, als das Schiff sich plötzlich unter dem Anprall des Zweideckers gegen die Back schräg legte.
Die Geschütze der Backbordbatterie feuerten ohne Unterbrechung, und ihre Kugeln fanden auf diese nahe Entfernung von wenigen Metern alle ihr Ziel im gegnerischen Schiffsrumpf; aber über den Bug hinweg sah er blankes Eisen aufblitzen und hier und da das Mündungsfeuer einer Pistole, als das feindliche Enterkommando mit seinen eigenen Leuten ins Handgemenge geriet.
«Seesoldaten nach vorn!«Er wurde fast umgerissen, als die Rotröcke an ihm vorbeistürzten. Ihre Bajonette blitzten im Mündungsfeuer der von der anderen Seite schießenden Franzosen kurz auf.
Inch brüllte:»Vorsicht! Der Besan kommt runter!»
Bolitho sah hoch und stieß Inch gegen die Netze, als die Besan-stenge, Bram- und Marsrah eingeschlossen, knirschend herabstürzte und auf die Backbordseite des Aufbaudecks knallte. Blut floß über das Deck, während einige Leute noch in dem Gewirr von Holzteilen und Tauwerk gefangen waren und ihre Schreie sich in dem Gekrache der Kanonen verloren.
Tomlin und seine Männer waren zur Stelle und kappten grimmig und entschlossen mit ihren Äxten das außenbords hängende Gewirr von Trümmern und Tauen, ohne Rücksicht auf das jämmerliche Bitten und Schreien derer, die darin verstrickt waren. Als der Rest ins Wasser sank, zeigte Tomlin mit der Axt klar, während seine Männer noch die zerschmetterten Körper der Toten über Bord warfen und andere die Verwundeten zum Niedergang zogen, um sie in die Hölle des Gefechtsverbandsplatzes im Orlopdeck zu bringen.
Bolitho starrte mit brennenden Augen nach oben. Es sah so nackt und ungeschützt dort aus, ohne den Mast mit seinen Rahen und Stengen. Dann schüttelte er sich und rannte zur Backbord-Laufbrücke, um nach dem Schiff zu sehen, das noch immer in den Vorsteven der Hyperion verhakt war.
Die Rotröcke waren dort jetzt im Vormarsch, und in dem aufgewühlten Wasser zwischen den beiden Schiffsrümpfen schwammen viele Körper, ob tote oder lebende, war unmöglich zu sagen. Klingen wurden hinter und über den Netzen gekreuzt, und hier und da sprang ein Mann tretend und um sich schlagend von oben in das Handgemenge oder wurde von den nachdrängenden ins Wasser gestoßen.
Doch Stepkyne hielt dem Enterkommando stand, obwohl der französische Kommandant seine Kanonen von Männern entblößt haben mußte, um den Feind mit zahlenmäßiger Übermacht zu erdrücken. Jetzt mußte er dafür büßen. Denn als die schweren Vier-undzwanzigpfünder der Hyperion Kugel auf Kugel in seine Wasserlinie feuerten, blieben die französischen Kanonen stumm. Aber das Musketenfeuer war stark und genau, und Bolitho sah, daß um mehr als eines seiner Oberdecksgeschütze zahlreiche Tote lagen.
Er zog Roth am Ärmel.»Erledigen Sie diese Scharfschützen, um Himmels willen!»
Roth nickte, eilte auf der Backbord-Laufbrücke nach vorn, um den Leuten an der Drehbasse im Großtopp etwas zuzurufen. Er hatte erst wenige Schritte gemacht, als ihn eine Kartätschenladung voll in die Brust traf. Sein Körper wurde wie ein blutiger Lappen hochgeschleudert und fiel auf die Schutznetze, wo er mit klaffender Wunde liegenblieb.
Bolitho rief:»Mr. Gascoigne! Entern Sie auf!«Er beobachtete, wie der junge Leutnant an den Hängemattsnetzen entlang- und dann in den Wanten aufenterte. Das ist doch noch ein Knabe, dachte er halb benommen.
Inch fuhr mit der Hand zum Kopf und grinste albern, als er bemerkte, daß es zu spät war und sein Hut über die Reling geweht wurde.
Auch Bolitho lächelte.»Bleiben Sie nicht stehen, Mr. Inch! Sie geben sonst ein leichtes Ziel ab.»
«Verdammt!«Fluchend stürmte Allday nach vorn und schwang sein Entermesser, als eine Handvoll französischer Matrosen, an ihrer Spitze ein junger Leutnant, der in der einen Hand einen Säbel schwang, in der anderen eine Pistole hielt, gegen das Achterdeck vordrang.
Der scharfe Knall der Drehbasse im Großtopp ließ einige Leute straucheln, aber durch die Lücken, die von den Kartätschenkugeln gerissen waren, drängten andere nach. Der Leutnant schwang seinen Degen und stürmte auf die Hütte zu. Als er Bolitho bemerkte, hielt er an und richtete seine Pistole mit erstaunlich ruhiger Hand auf ihn.
Allday stürmte gegen ihn vor, verhielt aber, als Tomlin mit einem kräftigen Fluch seine Axt auf den Franzosen schleuderte. Die scharfe Klinge traf den Leutnant in die Brust. Als er nach hinten gegen seine Männer fiel, verdrehten sich seine Augen, während die Leute entsetzt auf die Axt starrten, die feststak wie in einem Baumstamm. Sie wollten kehrtmachen und zu ihren Kameraden zurücklaufen, stießen dabei aber auf entfesselte Seesoldaten, die nach ihrem Erfolg auf dem Vorschiff triumphierend nach achtern zurückkamen.
Bolitho riß sich vom Anblick der blitzenden Bajonette und des Blutes los, daß sich von der Laufbrücke wie roter Regen auf die Geschützbedienungen darunter ergoß.
«Eine neue Flagge, Mr. Carlyon!«Er drohte dem Jungen mit dem Finger, als der nach achtern rannte. »Gehen, Mr. Carlyon!«Er sah, daß der Midshipman ihn mit kalkweißem Gesicht fragend ansah.»Wie es sich für einen Offizier des Königs gehört«, fügte er besänftigend hinzu.
Erneutes Geschrei kam von vorn, und Bolitho sah, daß dort mehrere Äxte blitzten und der französische Zweidecker sich langsam von ihnen löste und an der Bordwand der Hyperion entlang nach achtern sackte. Sein Rumpf war Meter für Meter von den Kugeln der unteren Batterie durchlöchert.
Er ging zur Laufbrücke, schwang seinen Säbel und rief den Geschützbedienungen auf dem Hauptdeck zu:»Los, Jungs! Gebt ihm den Rest!»
Die Matrosen kehrten an ihre Kanonen zurück, zogen die Leichen und die stöhnenden Verwundeten zur Seite und warfen sich erneut in die Vorholtaljen.
Bolitho wartete ruhig, bis ein Geschützführer nach dem anderen die Hand hob und klarzeigte. Mehr als die Hälfte der Batterie war außer Gefecht gesetzt, durch Beschädigung oder weil ihre Bedienung ausgefallen war. So mußten die restlichen Stücke besonders sorgfältig zielen. Das schwer getroffene Schiff sackte weiter achteraus, während die Hyperion von ihren durchlöcherten Segeln langsam, aber unaufhaltsam auf den noch übriggebliebenen Zweidecker, einen der beiden, die zum Schutz der San Leandro entsandt worden waren, zutrieb. Auf seinem Achterdeck sah er Tote und Verwundete in Haufen liegen, Bordwand und Aufbauten waren vielfach durchlöchert, und an die reich geschnitzte Treppe zur Hütte klammerte sich ein Offizier, dessen eines Bein wie bei einer Puppe verdreht war. Es war wohl der Kommandant des Schiffes, dachte Bolitho geistesabwesend. Dann senkte er den Degen:»Feuern!»
Zufällig feuerten beide Decks im selben Augenblick. Als der Pulverqualm durch die Stückpforten nach innen trieb und die Männer hustend und fluchend nach Wassereimern und Schwämmen griffen, sah Bolitho, wie Groß- und Fockmast des Feindes gemeinsam herunterkamen und in die See fielen.
Inch rief:»Zwei zumindest schwer beschädigt, Sir! Und auch der andere Schurke wird den nächsten Tag nicht mehr erleben, wenn erst Seegang aufkommt!»
Bolitho wischte mit dem Ärmel über die brennenden Augen und beobachtete, wie der Umriß des letzten Schiffes im Qualm festere Formen annahm und es quer vor den Bug der Hyperion trieb, dabei aber aus mehreren Kanonen feuerte. Er schimpfte wutentbrannt. Kein einziges seiner Geschütze konnte den Franzosen jetzt erfassen, und wenn dessen Breitseiten auch schlecht gezielt waren, so konnten sie doch tödlich werden. Er fuhr herum, als eine schwere Kugel durch das Schanzkleid brach und bei den Männern an den Backbord-Neunpfündern einschlug.