Er fand Pelham-Martin in seiner Koje, den Körper mit vielen Kissen gegen die unbehaglichen Bewegungen des Schilfes abgestützt und um Brust und Schultern dick verbunden. Seine Augen waren geschlossen, und in dem schwachen Licht, das durch das Skylight einfiel, sah seine Haut wächsern aus.
Trudgeon kam herüber und sagte ernst:»Ich habe die Wunde noch einmal untersucht, Sir. «Er reagierte verlegen, als Bolitho ihn fest anschaute.»Die Fettschicht ist so dick, daß ich nicht feststellen kann, wie tief der Splitter eingedrungen ist.»
Bolitho schaute auf den Kommodore hinab.»Verstehe. Vielen Dank, warten Sie bitte draußen. «Als sich die Tür geschlossen hatte, beugte er sich über die Koje und bemerkte sofort den scharfen Geruch von Brandy. Eine halbleere Karaffe lehnte an einem der Kissen.
«Sir?«Er hörte die fernen Kommandos an Deck und das rumpelnde Geräusch der Steueranlage. Daraus entnahm er, daß Inch das Schiff auf den befohlenen Kurs drehte. Es würde ein langsamer Rückmarsch werden; auch wenn es unwahrscheinlich war, daß sie dabei auf einen Feind trafen, mußten sie doch jederzeit darauf vorbereitet sein, ihre zusammengeschossenen Schützlinge gegen einen Überraschungsangriff zu verteidigen. Er sagte mit besonderer Betonung:»Wir nehmen Kurs auf St. Kruis, Sir. Haben Sie weitere
Befehle?»
Pelham-Martin öffnete die Augen und sah ihn einige Sekunden starr an. Dann sagte er mit kraftloser Stimme:»Lequiller war nicht da. Er ist Ihnen wieder entwischt. «Er reckte den Hals und suchte nach seiner Karaffe.»Muß mich ausruhen. Will nicht mehr sprechen. »
Bolitho stand auf.»Ich schlage vor, daß wir unsere Prise de Block übergeben, wenn wir in St, Kruis ankommen, Sir. Die Tela-mon hat ausgedient; mit der Fregatte werden sie wenigstens in der Lage sein, sich zu verteidigen.»
«Machen Sie, was Sie wollen. «Pelham-Martin schloß die Augen und seufzte.»Mir geht es gar nicht gut.»
«Ich habe Trudgeon gesagt, was er tun soll, wenn wir die Bucht erreichen, Sir.»
Die Wirkung dieser Worte war verblüffend. Pelham-Martin stützte sich auf seine Ellenbogen, wobei ihm der Schweiß in kleinen Rinnsalen über Gesicht und Nacken lief.
«Ich will nicht, daß er mich anrührt, verstanden? Das hätten Sie wohl gern, daß dieser Tölpel an mir herumschneidet und Sie währenddessen mein Kommando übernehmen?«Er sank schwer atmend zurück.»Wir fahren zurück nach St. Kruis. Noch entscheide ich, was zu tun ist.»
Bolitho betrachtete ihn nachdenklich.»Wir wissen noch nicht, wo Lequiller steckt. Die San Leandro und die meisten Schiffe seines Geschwaders sind unbeschädigt. Ich meine, er ist drauf und dran, seinen alten Plan weiter zu verfolgen. «Seine Stimme wurde härter.»Wir können nicht länger warten, Sir.»
Aber Pelham-Martin drehte den Kopf weg und blieb still.
Bolitho ging zur Tür.»Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, Sir. «Als er auf den Gang hinaustrat, hörte er hinter sich das Klirren der Karaffe.
Inch wartete auf dem Achterdeck und sah mit besorgtem Pferdegesicht zu, wie Bolitho erst den Kompaß und dann den Stand der Segel prüfte.
Er meldete:»Kurs Süd zu West, Sir.»
Bolitho nickte geistesabwesend, denn seine Gedanken waren noch immer bei Pelham-Martins seltsamem Benehmen. Er hatte erwartet, daß der Kommodore Bestürzung über seine Verwundung äußern würde und über das Unrecht, daß gerade er — als einziger der Besatzung — getroffen worden war. Stattdessen schien er endlich eine Rechtfertigung für sein Verhalten gefunden zu haben, die niemand anzweifeln konnte. Er war verwundet worden. Anscheinend nicht schwe r genug, um von seinem Kommando abgelöst zu werden, aber ausreichend, um ihn von jeder aktiven Mitwirkung bei den wichtigen Entscheidungen, denen sie sich jetzt gegenübersahen, auszuschließen.
Inch sagte:»Ich war gespannt, welche Befehle wir als nächstes bekommen würden.»
Bolitho ging an ihm vorbei.»Seien wir auf der Hut, Mr. Inch.»
«Sir?»
«Bis jetzt haben wir keine brauchbaren Hinweise bekommen. «Er blickte zur eroberten Fregatte hinüber, die hinter der Spartan hin und her pendelte und den Union Jack im roten Feld über der Trikolore gesetzt hatte.»Wir haben ja ein paar Gefangene gemacht. Vielleicht erfahren wir von ihnen etwas über Lequillers Absichten. «Sein Blick wanderte hinauf zu Pelham-Martins Kommodorestander.»Und wenn wir die haben, Mr. Inch, dann befinden wir uns ihm gegenüber zur Abwechslung einmal im Vorteil.»
Er ging auf die Leeseite und schaute nach Steuerbord achteraus. Die Sonne hatte sich ihren Weg durch die Wolkenschicht gebahnt, und er fühlte die Wärme in seinen ermüdeten Körper zurückkehren. Er warf einen Blick zurück auf die kleinen Inseln, die im aufkommenden Dunst immer mehr verschwanden. Es gab so vieles zu tun; vielleicht hatte Farquhar inzwischen weitere Hinweise, die von Nutzen für sie sein konnten. Aber zunächst war es notwendig, daß sie die Verwundeten und die beschädigten Schiffe nach St. Kruis zurückbrachten.
Dort würde es viel Wehklagen geben, wenn sie die Telamon sahen, dachte er betrübt. Man konnte nur hoffen, daß ihr großes Opfer nicht umsonst gewesen war.
Am Mittag des folgenden Tages war nur noch wenig von den bedrohlichen Wetterzeichen zu sehen, die ihre Abfahrt so beschleunigt hatten. Als die langsame Prozession der Schiffe in die Bucht einlief und die Anker fallen ließ, strahlte die Sonne auf eine spiegelglatte Wasserfläche herab, als wolle sie dafür sorgen, daß den stummen Beobachtern an Land auch ja nichts verborgen blieb.
Bolitho stand auf der Schanz und beschattete seine Augen gegen das blendende Licht. Er sah, wie die Telamon, die schon so tief abgesackt war, daß das Wasser ihre unteren Stückpforten bedeckte, auf den Sandstrand unterhalb der Landzunge gezogen und auf Grund gesetzt wurde. Alle verfügbaren Boote waren ausgesetzt worden, um ihre Verwundeten an Land zu bringen. Dort warteten viele Leute, meist Frauen, die den ankommenden Booten im flachen Wasser entgegenwateten, um so früh wie möglich hineinzuschauen. Ihr Schmerz wirkte auf die große Entfernung keineswegs geringer.
Auf der erbeuteten Fregatte, die unterhalb der Hügelbatterie geankert hatte, rührten sich viele Hände, um unter der Leitung von Farquhar Vorbereitungen zur Ausschiffung der Gefangenen zu treffen und gleichzeitig die Schäden aus dem Gefecht mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen. Hugh würde bald zurückkehren. Bolitho biß sich auf die Lippe. Es war seltsam, wie er seine privaten Probleme während der Jagd vergessen hatte. Und ihr Hauptproblem war immer noch, wie man den Kommodore aus seiner unerschütterlichen Stumpfheit reißen konnte. Er drehte sich schnell um, als von der Hügelbatterie ein Schuß
fiel.
Inch kletterte zur Schanz hinauf.»Sie haben ein Schiff gesichtet,
Sir.»
Bolitho starrte über den flachen Teil der Landzunge hinweg auf die offene See. Es mußte schon um das Kap herum sein und Kurs auf die Bucht genommen haben. Ein einzelnes Schiff konnte kaum ein Feind sein. Er sah Inch an.»Sicherlich Verstärkung für uns. «Er ging zur Reling.»Endlich!»
Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis das einlaufende Schiff sich in voller Größe zeigte, und als es langsam in die Bucht hineinkreuzte, konnte sich Bolitho eines Gefühls der Erleichterung und der Hoffnung kaum noch erwehren. Es war ein Zweidecker, aber kleiner als die Hyperion. Im hellen Sonnenlicht sah er die erst kürzlich gestrichenen Bordwände und die frisch vergoldete Galionsfigur glänzen.
Signalflaggen wurden wie von Zauberhand an ihren Rahen hochgezogen, und er hörte, wie Carlyon dem wachhabenden Offizier zurief:»Es ist die Impulsive, vierundsechzig Kanonen, Sir. Sie hat Depeschen für den Kommodore.»
Inch sagte:»Von England!«Es kam aus tiefstem Herzen.
Bolitho sagte nichts. Die Impulsive war da, und mit ihr sein Freund Thomas Herrick. Er fühlte, wie seine Glieder zitterten, als ob das alte Fieber wieder ausgebrochen wäre, aber er achtete nicht darauf. Endlich jemand, dem er sich anvertrauen konnte. Der einzige Mann, mit dem er je Gedanken und Sorgen geteilt hatte, damals, als Herrick noch sein Erster Offizier war, und jetzt als Kommandant eines Linienschiffes. Er war da, und nichts konnte mehr so schlimm sein, wie es vor dem Krachen des Signalgeschützes gewesen war.