»Schön, daß du noch einmal gekommen bist«, sagt sie.»Morgen ziehe ich hier aus.«-»Ja?«
Sie steht unbefangen und ihres Körpers sicher vor dem Kocher.»Ja«, sagt sie.»Interessiert dich das?«
Sie dreht sich um und sieht mich an.»Es interessiert mich, Gerda«, erwidere ich.»Wohin gehst du?«
»Ins Hotel „Walhalla“.«
»Zu Eduard?«
»Ja, zu Eduard.«
Sie schüttelt die Kohlrouladen.»Hast du etwas dagegen?«fragt sie dann.
Ich sehe sie an. Was kann ich dagegen haben? denke ich. Ich wollte, ich hätte etwas dagegen! Einen Augenblick will ich lügen – aber ich weiß, daß sie mich durchschaut.
»Bleibst du auch nicht mehr in der Roten Mühle?«frage ich.
»Ich habe längst Schluß gemacht in der Roten Mühle. Du hast dich nur nicht darum gekümmert. Nein, ich bleibe nicht dabei. Man verhungert in unserem Beruf. Ich bleibe in der Stadt.«
»Bei Eduard«, sage ich.
»Ja, bei Eduard«, wiederholt sie.»Er gibt mir die Bar. Ich werde Bardame.«
»Und du wohnst dann im „Walhalla“?«
»Ich wohne im „Walhalla“, oben unter dem Dachstuhl, und ich arbeite im „Walhalla“. Ich bin nicht mehr so jung, wie du glaubst; ich muß sehen, daß ich etwas Festes habe, bevor ich keine Engagements mehr finde. Mit dem Zirkus ist es auch nichts. Das war nur so ein letzter Versuch.«
»Du kannst noch viele Jahre Engagements finden, Gerda«, sage ich.
»Davon verstehst du nichts. Ich weiß, was ich tue.«
Ich blicke auf die roten Weinreben, die vor dem Fenster pendeln. Ich habe keinen Grund dazu, aber ich fühle mich wie ein Drückeberger. Meine Beziehung zu Gerda ist nicht mehr gewesen als die eines Soldaten auf Urlaub; aber für einen von zweien ist sie wohl immer etwas mehr als das.
»Ich wollte es dir selbst sagen«, sagt Gerda.
»Du wolltest mir sagen, daß es mit uns vorbei ist?«
Sie nickt.»Ich spiele ehrlich. Eduard hat mir als einziger etwas Festes angeboten – eine Stellung -, und ich weiß, was das heißt. Ich will keinen Schwindel.«
»Weshalb -«Ich breche ab.
»Weshalb hast du dann jetzt noch mit mir geschlafen, wolltest du fragen«, antwortet Gerda.»Weißt du nicht, daß alle wandernden Artisten sentimental sind?«Sie lacht plötzlich.»Abschied von der Jugend. Komm, die Kohlrouladen sind fertig.«
Sie stellt die Teller auf den Tisch. Ich sehe ihr zu und bin plötzlich traurig.»Nun, was macht deine große himmlische Liebe?«fragt sie.
»Nichts, Gerda. Nichts.«
Sie füllt die Teller.»Wenn du mal wieder ein kleines Verhältnis hast«, sagt sie,»erzähl dem Mädchen nie etwas von deinen anderen Lieben. Verstehst du?«
»Ja«, erwidere ich.»Es tut mir leid, Gerda.«
»Um Gottes willen, halt den Schnabel und iß!«
Ich sehe sie an. Sie ißt ruhig und sachlich, ihr Gesicht ist klar und fest, sie ist von Kindheit an gewöhnt, unabhängig zu leben, sie kennt ihr Dasein und hat sich damit abgefunden. Sie hat all das, was ich nicht habe, und ich wollte, ich liebte sie, und das Leben wäre klar und übersehbar, und man wüßte immer alles darüber, was man braucht, nicht allzuviel, aber das unanfechtbar.
»Weißt du, ich will nicht viel«, sagt Gerda.»Ich bin mit Prügeln aufgewachsen und dann von zu Hause weggelaufen. Jetzt habe ich genug von meinem Beruf und werde seßhaft. Eduard ist nicht der Schlechteste.«
»Er ist eitel und geizig«, erkläre ich und ärgere mich sofort darüber, es gesagt zu haben.
»Das ist besser als schlampig und verschwenderisch, wenn man jemanden heiraten will.«
»Ihr wollt heiraten?«frage ich überrascht.»Glaubst du ihm das wirklich? Er wird dich ausnützen und dann irgendeine Hotelierstochter mit Geld heiraten.«
»Er hat mir nichts versprochen. Ich habe nur einen Kontrakt mit ihm für die Bar gemacht, für drei Jahre. Er wird in den drei Jahren merken, daß er mich nicht entbehren kann.«
»Du hast dich verändert«, sage ich.
»Ach, du Schaf! Ich habe nur einen Entschluß gefaßt.«
»Bald wirst du mit Eduard auf uns schimpfen, weil wir immer noch die billigen Eßmarken haben.«
»Habt ihr noch welche?«
»Noch für ein und einen halben Monat.«
Gerda lacht.»Ich werde nicht schimpfen. Außerdem habt ihr sie ja seinerzeit richtig bezahlt.«
»Es war unser einziges gelungenes Börsengeschäft.«Ich sehe Gerda nach, während sie die Teller abräumt.»Ich werde sie Georg lassen«, sage ich.»Ich komme nicht mehr ins „Walhalla“.«
Sie dreht sich um. Sie lächelt, aber ihre Augen lächeln nicht.»Warum nicht?«fragt sie.
»Ich weiß nicht. Mir ist so. Aber vielleicht komme ich doch.«
»Natürlich kommst du! Warum solltest du nicht kommen?«
»Ja, warum nicht?«sage ich mutlos.
Von unten tönt gedämpft das elektrische Klavier. Ich stehe auf und gehe ans Fenster.»Wie schnell dieses Jahr vorbeigegangen ist«, sage ich.
»Ja«, erwidert Gerda und lehnt sich an mich.»Typisch«, murmelt sie.»Gefällt einem schon einmal jemand, da muß es ausgerechnet so einer sein wie du – der nicht zu einem paßt.«Sie stößt mich weg.»Nun geh schon – geh zu deiner himmlischen Liebe – was verstehst du schon von Frauen?«
»Nichts.«
Sie lächelt.»Versuch es auch gar nicht erst, Baby. Es ist besser. Und nun geh! Hier, nimm das mit.«
Sie holt eine Münze und gibt sie mir.»Was ist das?«frage ich.
»Ein Mann, der Leute durchs Wasser trägt. Er bringt Glück.«
»Hat er dir Glück gebracht?«
»Glück?«erwidert Gerda.»Das kann eine Menge sein. Vielleicht. Und nun geh.«
Sie schiebt mich hinaus und schließt die Tür hinter mir. Ich gehe die Treppe hinunter. Auf dem Hof begegnen mir zwei Zigeunerinnen. Sie gehören jetzt zum Programm in der Kneipe. Die Ringkämpferinnen sind längst fort.»Die Zukunft, junger Herr?«fragt die jüngere Zigeunerin. Sie riecht nach Knoblauch und Zwiebeln.
»Nein«, sage ich.»Heute nicht.«
Bei Karl Brill herrscht höchste Spannung. Ein Haufen Geld liegt auf dem Tisch; es müssen Billionen sein. Der Gegner ist ein Mann mit dem Kopf eines Seehundes und sehr kleinen Händen. Er hat soeben den Nagel in der Wand probiert und kehrt zurück.»Noch zweihundert Milliarden«, erklärt er mit heller Stimme.
»Angenommen«, erwidert Karl Brill.
Die Duellanten deponieren den Zaster.»Noch jemand?«fragt Karl.
Niemand meldet sich. Das Spiel ist für alle zu hoch. Karl schwitzt klare Perlen, ist aber zuversichtlich. Die Einsätze stehen vierzig zu sechzig für ihn. Er hat erlaubt, daß der Seehund dem Nagel noch einen kleinen letzten Hammerschlag geben darf; dafür ist der Einsatz von fünfzig-fünfzig für ihn auf vierzig-sechzig festgesetzt worden.»Würden Sie „Der Vöglein Abendlied“ spielen?«fragt Karl mich.
Ich setze mich ans Klavier. Bald darauf erscheint Frau Beckmann im lachsroten Kimono. Sie ist nicht so statuenhaft wie sonst; das Gebirge ihrer Brüste bewegt sich, als tobe darunter ein Erdbeben, und auch die Augen sind anders als sonst. Sie sieht Karl Brill nicht an.
»Klara«, sagt Karl.»Du kennst die Herren bis auf Herrn Schweizer.«Er macht eine elegante Geste.»Herr Schweizer -«
Der Seehund verneigt sich mit erstauntem und etwas besorgtem Ausdruck. Er schielt auf das Geld und dann auf die Kubikbrünhilde. Der Nagel wird wattiert, und Klara stellt sich in Positur. Ich spiele die Doppeltriller und breche ab. Alles schweigt.
Frau Beckmann steht ruhig und konzentriert da. Dann geht zweimal ein Zucken durch ihren Körper. Sie schießt plötzlich einen wilden Blick auf Karl Brill.»Bedaure!«knirscht sie durch die Zähne.»Es geht nicht.«
Sie tritt von der Wand hinweg und verläßt die Werkstatt.
»Klara!«schreit Karl.
Sie antwortet nicht. Der Seehund stößt ein fettes Gelächter aus und beginnt zu kassieren. Die Saufbrüder sind wie vom Blitz getroffen. Karl Brill stöhnt, stürzt zu dem Nagel und kommt zurück.»Einen Augenblick!«sagt er zu dem Seehund.»Einen Augenblick, wir sind noch nicht fertig! Wir haben auf drei Versuche gewettet. Es waren aber erst zwei!«