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»Du könntest heiraten.«

»Das ist mein dritter Komplex. Angst vor der Ehe. Meine Mutter hat meinen Vater kaputtgemacht. Durch nichts als Weinen. Ist das nicht merkwürdig?«

»Nein«, sagen Hungermann und ich unisono und schütteln uns darauf die Hand. Es bedeutet sieben weitere Jahre Leben. Schlecht oder gut, Leben ist Leben – das merkt man erst, wenn man gezwungen wird, es zu riskieren.

Bevor wir in das traulich wirkende Haus mit seinen Pappeln, der roten Laterne und den blühenden Geranien am Fenster eintreten, stärken wir uns durch ein paar Schlucke Schnaps. Wir haben eine Flasche mitgebracht und lassen sie reihum gehen. Sogar Eduard, der mit seinem Opel vorgefahren ist und auf uns gewartet hat, trinkt mit; es ist selten, daß er etwas umsonst bekommt, und so genießt er es. Der gleiche Schluck, den wir jetzt zu etwa zehntausend Mark Selbstkosten das Glas trinken, wird in einer Sekunde im Puff vierzigtausend kosten – deshalb haben wir die Flasche bei uns. Bis zur Türschwelle leben wir sparsam – danach sind wir in den Händen der Madame.

Otto ist anfangs stark enttäuscht. Er hat statt der Gaststube eine orientalische Szenerie erwartet, mit Leopardenfellen, Moschee-Ampeln und schwerem Parfüm; statt dessen sind die Damen zwar leicht bekleidet, nähern sich aber mehr dem Dienstmädchentyp. Er fragt mich leise, ob es keine Negerinnen oder Kreolinnen gäbe. Ich zeige auf ein dürres, schwarzhaariges Ding.»Die dort hat Kreolenblut. Sie kommt frisch aus dem Zuchthaus. Hat ihren Mann ermordet.«

Otto bezweifelt es. Er wird erst munter, als das Eiserne Pferd eintritt. Es ist eine imposante Erscheinung, mit hohen Schnürstiefeln, schwarzer Wäsche, einer Art Löwenbändigeruniform, einer grauen Astrachan-Fellkappe und einem Mund voller Goldzähne. Generationen junger Lyriker und Redakteure haben auf ihr das Examen des Lebens gemacht, und sie ist auch für Otto durch Vorstandsbeschluß bestimmt worden. Sie oder Fritzi. Wir haben darauf bestanden, daß sie in großer Aufmachung käme – und sie hat uns nicht im Stich gelassen. Sie stutzt, als wir sie mit Otto bekanntmachen. Sie hat wohl geglaubt, etwas Frischeres, Jüngeres vorgeworfen zu bekommen. Bambuss sieht papieren aus, blaß, dünn, mit Pickeln, einem dürftigen Schnurrbärtchen, und er ist bereits sechsundzwanzig Jahre alt. Außerdem schwitzt er im Augenblick wie ein Rettich im Salz. Das Eiserne Pferd reißt seinen goldenen Rachen zu einem gutmütigen Grinsen auf und pufft den erschauernden Bambuss in die Seite.»Komm, schmeiß einen Kognak«, sagt es friedlich.

»Was kostet ein Kognak?«fragt Otto das Serviermädchen.

»Sechzigtausend.«

»Was?«fragt Hungermann alarmiert.»Vierzigtausend, keinen Pfennig mehr!«

»Pfennig«, sagt die Puffmutter.»Das Wort habe ich lange nicht mehr gehört.«

»Vierzigtausend war gestern, Schatz«, erklärt das Eiserne Pferd.

»Vierzigtausend war heute morgen. Ich war heute morgen hier im Auftrage des Komitees.«

»Von was für einem Komitee?«

»Vom Komitee für die Erneuerung der Lyrik durch direkte Erfahrung.«

»Schatz«, sagt das Eiserne Pferd.»Das war vor dem Dollarkurs.«

»Es war nach dem Elf-Uhr-Dollarkurs.«

»Es war vor dem Nachmittagskurs«, erklärt die Puffmutter.»Seid nicht solche Geizhälse!«

»Sechzigtausend ist bereits nach dem Dollarkurs für übermorgen berechnet«, sage ich.

»Nach dem für morgen. Jede Stunde bist du etwas näher dran. Beruhige dich! Der Dollarkurs ist wie der Tod. Du kannst ihm nicht entgehen. Heißt du nicht Ludwig?«

»Rolf«, erwidere ich fest.»Ludwig ist nicht aus dem Kriege zurückgekommen.«

Hungermann wird plötzlich von einer bösen Ahnung ergriffen.»Und die Taxe?«fragt er.»Wie ist die? Zwei Millionen war abgemacht. Mit Ausziehen und einem halbstündigen Gespräch nachher. Das Gespräch ist wichtig für unseren Kandidaten.«

»Drei«, erwidert das Eiserne Pferd phlegmatisch.»Und das ist billig.«

»Kameraden, wir sind verraten!«schmettert Hungermann.

»Weißt du, was hohe Stiefel bis fast zum Hintern heute kosten?«fragt das Eiserne Pferd.

»Zwei Millionen und keinen Centime mehr. Wenn selbst hier Abmachungen nicht mehr gelten, was soll dann aus der Welt werden?«

»Abmachungen! Was sind Abmachungen, wenn der Kurs schwankt wie besoffen?«

Matthias Grund, der als Dichter des Buches vom Tode naturgemäß bis jetzt geschwiegen hat, erhebt sich.»Dies ist das erste Puff, das nationalsozialistisch verseucht ist«, erklärt er wütend.»Verträge sind Fetzen Papier, was?«

»Verträge und Geld«, erwidert das Eiserne Pferd unerschütterlich.»Aber hohe Stiefel sind hohe Stiefel, und schwarze Reizwäsche ist schwarze Reizwäsche. Nämlich blödsinnig teuer. Warum nehmt ihr keine mittlere Klasse für euren Konfirmanden? So wie bei Beerdigungen – da gibt’s auch mit und ohne Federbusch. Zweite Klasse genügt für den da!«

Dagegen ist nichts zu sagen. Die Diskussion hat einen toten Punkt erreicht. Plötzlich entdeckt Hungermann, daß Bambuss heimlich nicht nur seinen eigenen, sondern auch den Kognak des Eisernen Pferdes ausgetrunken hat.

»Wir sind verloren«, sagt er.»Wir müssen bezahlen, was diese Wallstreethyänen hier von uns verlangen. Das hättest du uns nicht antun sollen, Otto! Jetzt müssen wir deine Einführung ins Leben einfacher gestalten. Ohne Federbusch und nur mit einem gußeisernen Pferd.«

Zum Glück kommt Willy in diesem Moment herein. Er ist an Ottos Verwandlung zum Manne aus reiner Neugierde interessiert und zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, die Differenz. Dann bestellt er Schnaps für alle und erklärt, daß er heute fünfundzwanzig Millionen an seinen Aktien verdient habe. Einen Teil davon will er versaufen.»Fort mit dir nun, Knabe«, sagt er zu Otto.

»Und komm als Mann wieder!«Otto verschwindet.

Ich setze mich zu Fritzi. Die alten Dinge sind längst vergessen; sie betrachtet uns nicht mehr als halbe Kinder, seit ihr Sohn im Kriege gefallen ist. Er war Unteroffizier und erhielt seinen Schuß drei Tage vor dem Waffenstillstand. Wir unterhalten uns über die Zeiten vor dem Kriege. Sie erzählt mir, daß ihr Sohn in Leipzig Musik studiert habe. Er wollte Oboebläser werden. Neben uns döst die gewaltige Puffmutter, eine Dogge auf den Knien. Plötzlich ertönt von oben ein Schrei. Getöse folgt, und dann erscheint Otto in Unterhosen, verfolgt von dem wütenden Eisernen Pferd, das mit einer blechernen Waschschale auf ihn einschlägt. Otto hat einen schönen Stil im Laufen, er rast durch die Tür nach draußen, und wir halten zu dritt das Eiserne Pferd an.»Diese verdammte halbe Portion!«keucht es.»Sticht mit einem Messer auf mich los!«

»Es war kein Messer«, sage ich ahnungsvoll.

»Was?«Das Eiserne Pferd dreht sich um und deutet auf einen roten Fleck über der schwarzen Wäsche.

»Es blutet ja nicht. Es war nur eine Nagelfeile.«

»Eine Nagelfeile?«Das Pferd starrt mich an.»Das habe ich noch nicht gekannt! Und dieser Jammerprinz sticht mich, statt ich ihn! Habe ich meine hohen Stiefel umsonst? Habe ich meine Peitschensammlung für nichts? Ich will anständig sein und ihm als Zugabe eine leichte Probe von Sadismus geben, ziehe ihm nur so spielerisch einen kleinen Schlag über seine mageren Keulen, und die heimtückische Brillenschlange geht mit einer Taschenfeile auf mich los! Ein Sadist! Brauche ich Sadisten? Ich, der Traum der Masochisten? So eine Beleidigung!«

Wir beruhigen sie mit einem Doppelkümmel. Dann halten wir Ausschau nach Bambuss. Er steht hinter einem Fliederbusch und befühlt seinen Kopf.

»Komm, Otto, die Gefahr ist vorüber«, ruft Hungermann.

Bambuss weigert sich. Er verlangt, daß wir ihm seine Kleider rauswerfen.»Das gibt es nicht«, erklärt Hungermann.»Drei Millionen sind drei Millionen! Wir haben für dich bezahlt.«

»Verlangt das Geld zurück! Ich lasse mich nicht verhauen.«

»Geld verlangt ein Kavalier nie von einer Dame zurück. Und wir werden aus dir einen Kavalier machen, selbst wenn wir dir den Schädel einschlagen müssen. Der Peitschenhieb war eine Freundlichkeit. Das Eiserne Pferd ist eine Sadistin.«

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