Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»Gemacht!«

Das Klavier ist bereits in die Schnellbesohlanstalt geschafft worden. Es steht vor den Maschinen. Im vorderen Teil des Raumes sind die Schuhe und das Leder beiseite geschoben worden, und überall, wo es geht, sind Stühle und ein paar Sessel verteilt. Ein Faß Bier ist aufgelegt, und ein paar Flaschen Schnaps sind schon leer. Eine zweite Batterie steht auf dem Ladentisch. Auf dem Tisch liegt auch ein großer, mit Watte umwickelter Nagel neben einem kräftigen Schusterhammer.

Ich schmettere den Donauwellenwalzer herunter. Im Qualm schwanken die Bundesbrüder von Karl Brill umher. Sie sind bereits gut geladen. Karl stellt ein Glas Bier und einen doppelten Steinhäger Schnaps auf das Klavier.

»Klara bereitet sich vor«, sagt er.»Wir haben über drei Millionen in Wetten zusammen. Hoffentlich ist sie in Höchstform; sonst bin ich halb bankrott.«

Er blinzelt mir zu.»Spielen Sie etwas sehr Schmissiges, wenn es soweit ist. Das facht sie immer mächtig an. Sie ist ja verrückt mit Musik.«

»Ich werde den „Einzug der Gladiatoren“ spielen. Aber wie wäre es mit einer kleinen Seitenwette für mich?«

Karl blickt auf.»Lieber Herr Bodmer«, sagt er verletzt.

»Sie wollen doch nicht gegen Klara wetten! Wie können Sie dann überzeugend spielen?«

»Nicht gegen sie. Mit ihr. Eine Seitenwette.«

»Wieviel?«fragt Karl rasch.

»Lumpige achtzigtausend«, erwidere ich.»Es ist mein ganzes Vermögen.«

Karl überlegt einen Augenblick. Dann dreht er sich um.

»Ist noch jemand da, der achtzigtausend wetten will? Gegen unseren Klavierspieler?«

»Ich!«Ein dicker Mann tritt vor, holt Geld aus einem kleinen Köfferchen und knallt es auf den Ladentisch.

Ich lege mein Geld daneben.»Der Gott der Diebe beschütze mich«, sage ich.»Sonst bin ich morgen aufs Mittagessen allein angewiesen.«

»Also los!«sagt Karl Brill.

Der Nagel wird herumgezeigt. Dann tritt Karl an die Wand, setzt ihn in der Höhe eines menschlichen Gesäßes an und schlägt ihn zu einem Drittel ein. Er schlägt weniger stark, als seine Gebärden es vermuten lassen.

»Sitzt gut und fest«, sagt er und tut, als rüttele er kräftig an dem Nagel.

»Das werden wir erst einmal prüfen.«

Der Dicke, der gegen mich gewettet hat, tritt vor. Er bewegt den Nagel und grinst.»Karl«, sagt er hohnlachend.»Den blase ich ja aus der Wand. Gib mal den Hammer her.«

»Blase ihn erst aus der Wand.«

Der Dicke bläst nicht. Er zerrt kräftig, und der Nagel ist draußen.»Mit meiner Hand«, sagt Karl Brill,»kann ich einen Nagel durch eine Tischplatte schlagen. Mit meinem Hintern nicht. Wenn ihr solche Bedingungen stellt, lassen wir das Ganze lieber sein.«

Der Dicke antwortet nicht. Er nimmt den Hammer und schlägt den Nagel an einer anderen Stelle der Wand ein.

»Hier, wie ist das?«

Karl Brill prüft. Etwa sechs oder sieben Zentimeter des Nagels ragen noch aus der Wand.»Zu fest. Den kann man nicht einmal mit der Hand mehr herausreißen.«

»Entweder – oder«, erklärt der Dicke.

Karl prüft noch einmal. Der Dicke legt den Hammer auf den Ladentisch und merkt nicht, daß Karl jedesmal, wenn er probiert, wie fest der Nagel sei, ihn dadurch lockert.

»Ich kann keine Wette eins zu eins darauf annehmen«, sagt Karl schließlich.»Nur zwei zu eins, und auch da muß ich verlieren.«

Sie einigen sich auf sechs zu vier. Ein Haufen Geld türmt sich auf dem Ladentisch. Karl hat noch zweimal entrüstet an dem Nagel gezerrt, um zu zeigen, wie unmöglich die Wette sei. Jetzt spiele ich den»Einzug der Gladiatoren«, und bald darauf rauscht Frau Beckmann in die Werkstatt, in einen losen, lachsroten chinesischen Kimono gekleidet, mit eingestickten Päonien und einem Phönix auf dem Rücken.

Sie ist eine imposante Figur mit dem Kopf eines Bullenbeißers, aber eines eher hübschen Bullenbeißers. Sie hat reiches, krauses, schwarzes Haar und glänzende Kirschenaugen – der Rest ist bullenbeißerisch, besonders das Kinn. Der Körper ist mächtig und völlig aus Eisen. Ein Paar steinharter Brüste ragt wie ein Bollwerk hervor, dann kommt eine im Verhältnis zierliche Taille und dann das berühmte Gesäß, um das es hier geht. Es ist gewaltig und ebenfalls steinhart. Selbst einem Schmied soll es angeblich unmöglich sein, hineinzukneifen, wenn Frau Beckmann es anspannt; er bricht sich eher die Finger. Karl Brill hat auch damit schon Wetten gewonnen, allerdings nur im intimsten Freundeskreise. Heute, wo der Dicke dabei ist, wird nur das andere Experiment gemacht – den Nagel mit dem Gesäß aus der Wand zu reißen.

Alles geht sehr sportlich und kavaliersmäßig zu; Frau Beckmann grüßt zwar, ist aber sonst reserviert und beinahe abweisend. Sie betrachtet die Angelegenheit nur von der sportlich-geschäftlichen Seite. Ruhig stellt sie sich mit dem Rücken zur Wand, hinter einen niedrigen Paravent, macht ein paar fachmännische Bewegungen und steht dann still, das Kinn gereckt, bereit, und ernst, wie es sich bei einer großen sportlichen Leistung geziemt.

Ich breche den Marsch ab und beginne zwei tiefe Triller, die klingen sollen wie die Trommeln beim Todessprung im Zirkus Busch. Frau Beckmann strafft sich und entspannt sich. Sie strafft sich noch zweimal. Karl Brill wird nervös. Frau Beckmann erstarrt wieder, die Augen zur Decke gerichtet, die Zähne zusammengebissen. Dann klappert es, und sie tritt von der Wand weg. Der Nagel liegt auf dem Boden.

Ich spiele»Das Gebet einer Jungfrau«, eine ihrer Lieblingsnummern. Sie dankt mit einem graziösen Neigen ihres starken Hauptes, wünscht eine wohlklingende»Gute Nacht allerseits«, rafft den Kimono enger um sich herum und entschwindet.

Karl Brill kassiert. Er reicht mir mein Geld herüber. Der Dicke inspiziert den Nagel und die Wand.»Fabelhaft«, sagt er.

Ich spiele das»Alpenglühen«und das»Weserlied«, zwei weitere Favoriten Frau Beckmanns. Sie kann sie im oberen Stock hören. Karl blinzelt mir stolz zu; er ist ja schließlich der Besitzer dieser imposanten Kneifzange. Steinhäger, Bier und Korn fließen. Ich trinke ein paar mit und spiele weiter. Es paßt mir, jetzt nicht allein zu sein. Ich möchte nachdenken, und trotzdem auf keinen Fall nachdenken. Meine Hände sind voll einer unbekannten Zärtlichkeit, etwas weht und scheint sich an mich zu drängen, die Werkstatt verschwindet, der Regen ist wieder da, der Nebel und Isabelle und das Dunkel. Sie ist nicht krank, denke ich, und weiß doch, daß sie es ist – aber wenn sie krank ist, dann sind wir alle noch kränker -

Ein lauter Streit weckt mich. Der Dicke hat Frau Beckmanns Formen nicht vergessen können. Angefeuert durch eine Anzahl Schnäpse hat er Karl Brill ein dreifaches Angebot gemacht: fünf Millionen für einen Nachmittag mit Frau Beckmann zum Tee – eine Million für ein kurzes Gespräch jetzt, bei dem er sie wahrscheinlich zu einem ehrenhaften Abendessen ohne Karl Brill einladen möchte – und zwei Millionen für ein paar gute Griffe an das Prachtstück der Beckmannschen Anatomie, hier in der Werkstatt, unter Brüdern in fröhlicher Gesellschaft, also durchaus ehrenhaft.

Jetzt aber zeigt sich der Charakter Karls. Wenn der Dicke nur sportlich interessiert wäre, könnte er die Griffe vielleicht haben, schon gegen eine Wette von solch einer Lumperei wie hunderttausend Mark – aber in bockhafter Lust wird sogar der Gedanke an einen solchen Griff von Karl als schwere Beleidigung empfunden.»So eine Schweinerei!«brüllt er.»Ich dachte, ich hätte nur Kavaliere hier!«

»Ich bin Kavalier«, lallt der Dicke.»Deshalb ja mein Angebot.«

»Sie sind ein Schwein.«

»Das auch. Sonst wäre ich ja kein Kavalier. Sie sollten stolz sein, bei einer solchen Dame – haben Sie denn kein Herz in der Brust? Was kann ich machen, wenn meine Natur sich in mir aufbäumt? Wozu sind Sie beleidigt? Sie sind doch nicht mit ihr verheiratet!«

Ich sehe, wie Karl Brill zuckt, als hätte man ihn angeschossen. Er lebt in wilder Ehe mit Frau Beckmann, die eigentlich seine Haushälterin ist. Warum er sie nicht heiratet, weiß niemand – höchstens aus derselben Hartnäckigkeit seines Charakters heraus, mit der er auch im Winter ein Loch ins Eis haut, um schwimmen zu können. Trotzdem ist dies seine schwache Stelle.

46
{"b":"99812","o":1}