Литмир - Электронная Библиотека
A
A

»Ich habe Mademoiselle Schneider zufällig auf der Straße getroffen und sie gefragt. Das darf man ja wohl noch, was?«

»Und wenn sie dich angeschwindelt hat?«

Eduard hat plötzlich ein ekelhaft süffisantes Lächeln auf seinem Babygesicht und schweigt.»Hör zu«, sage ich alarmiert und sehr ruhig.»Diese Dame ist nicht mit Sonetten zu gewinnen.«

Eduard reagiert darauf nicht. Er zeigt weiter die Überlegenheit eines Poeten, der außer Gedichten noch ein erstklassiges Restaurant besitzt, und ich habe gesehen, daß Gerda da sterblich ist.»Du Schurke«, erkläre ich wütend.»Das alles nützt dir nichts. Die Dame fährt in ein paar Tagen ab.«

»Sie fährt nicht ab«, erwidert Eduard und entblößt zum ersten Male, seit ich ihn kenne, sein Gebiß.»Ihr Vertrag ist heute verlängert worden.«

Ich starre ihn an. Der Lump weiß mehr als ich.»Du hast sie also heute auch getroffen?«

Eduard beginnt etwas zu stottern.»Zufällig heute – das war es doch! Nur heute.«

Die Lüge steht groß auf seinen dicken Backen geschrieben.

»So, und da hattest du gleich die Inspiration mit der Widmung?«sage ich.»So vergiltst du mir unsere treue Kundschaft? Mit einem Küchenmesserstich in die Richtung der Geschlechtsteile, du Tellerwäscher?«

»Eure verdammte Kundschaft kann mir -«

»Hast du ihr die Sonette nicht auch schon geschickt, du impotenter Pfau?«unterbreche ich ihn.»Laß nur, du brauchst es nicht abzuleugnen! Ich werde sie schon ohnehin sehen, du Bettenmacher für fremde Schmutzfinken!«

»Was? Wie?«

»Deine Sonette, du Muttermörder! Habe ich dir nicht beigebracht, wie man überhaupt welche schreibt? Ein schöner Dank! Hättest du noch wenigstens den Anstand besessen, ihr Ritornelle oder Oden zu schicken! Aber nein, meine eigenen Waffen – na, Gerda wird mir das Zeug ja zeigen, damit ich es ihr übersetze!«

»Das wäre doch -«stottert Eduard, zum ersten Male aus der Fassung gebracht.

»Es wäre gar nichts«, erwidere ich.»Frauen tun so etwas. Ich weiß das. Aber da ich dich als Restaurateur schätze, will ich dir noch etwas anderes verraten: Gerda hat einen herkulischen Bruder, der über die Familienehre wacht. Er hat bereits zwei ihrer Verehrer zu Krüppeln geschlagen. Er bricht besonders gern Plattfüße. Und die hast du ja.«

»Quatsch«, sagt Eduard, aber ich sehe, daß er trotzdem scharf nachdenkt. Eine Behauptung kann noch so unwahrscheinlich sein, wenn man nur fest darauf besteht, bleibt immer etwas hängen – das habe ich von Watzeks politischem Vorbild gelernt.

Der Dichter Hans Hungermann tritt zu uns an das Sofa. Er ist der Verfasser des ungedruckten Romans»Wotans Ende«und der Dramen»Saul«,»Baldur«und»Mohammed«. Was macht die Kunst, Gesellen?«fragt er.»Habt ihr den Mist gelesen, den Otto Bambuss gestern im Tecklenburger Kreisblatt zum besten gegeben hat? Buttermilch und Spucke! Daß Bauer diesen Schleimscheißer druckt!«

Otto Bambus ist der erfolgreichste Poet der Stadt. Wir sind alle auf ihn neidisch. Er verfaßt stimmungsvolle Verse über stimmungsvolle Winkel, umliegende Dörfer, Straßenecken am Abend und seine wehmütige Seele. Er hat zwei dünne broschierte Gedichtbände bei Arthur Bauer herausgebracht – einen sogar in zweiter Auflage. Hungermann, der markige Runendichter, haßt ihn, versucht aber, seine Beziehungen auszunützen. Matthias Grund verachtet ihn. Ich dagegen bin Ottos Vertrauter. Er möchte gern einmal in ein Bordell gehen, wagt es aber nicht. Er erwartet davon einen mächtigen bluthaften Aufschwung seiner etwas bleichsüchtigen Lyrik. Als er mich sieht, kommt er gleich auf mich los.»Ich habe gehört, du kennst eine Dame vom Zirkus! Zirkus, das wäre was! Da könnte man farbig sein! Kennst du wirklich eine?«

»Nein, Otto. Eduard hat renommiert. Ich kenne nur eine, die vor drei Jahren Billetts im Zirkus verkauft hat.«

»Billetts – immerhin, sie war dabei! Sie muß noch etwas davon haben. Den Raubtiergeruch, die Manege. Könntest du mich nicht einmal mit ihr bekannt machen?«

Gerda hat wahrhaftig Chancen in der Literatur! Ich sehe Bambuss an. Er ist hochgeschossen, blaß, hat kein Kinn, kein Gesicht und trägt einen Kneifer.»Sie war im Flohzirkus«, sage ich.

»Schade!«Er tritt enttäuscht zurück.»Ich muß etwas tun«, murmelt er dann.»Ich weiß, daß es das ist, was mir fehlt – das Blut.«

»Otto«, erwidere ich.»Kann es nicht jemand sein, der nicht vom Zirkus ist? Irgendein netter Betthase?«

Er schüttelt seinen schmalen Kopf.»Das ist nicht so einfach, Ludwig. Über Liebe weiß ich alles. Seelische Liebe, meine ich. Da brauche ich nichts mehr, das habe ich. Was ich brauche, ist Leidenschaft, brutale, wilde Leidenschaft. Purpurnes, rasendes Vergessen. Delirium!«

Er knirscht beinahe mit seinen kleinen Zähnen. Er ist Lehrer in einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt, und da findet er das natürlich nicht. Jeder will dort heiraten oder meint, Otto solle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer. Das will Otto aber nicht. Er findet, als Dichter müsse er sich ausleben.»Das Schwierige ist, daß ich die beiden nicht zusammenkriegen kann«, erklärt er düster.»Die himmlische und die irdische Liebe. Liebe ist für mich sofort sanft, voll Hingabe, Opfer und Güte. Der Geschlechtstrieb wird dabei auch sanft und häuslich. Jeden Sonnabendabend, du verstehst, damit man sonntags ausschlafen kann. Ich brauche aber etwas, das nur Geschlechtstrieb ist, ohne alles andere, etwas, in das man sich verbeißen kann. Schade, ich hörte, du hättest eine Trapezkünstlerin.«

Ich betrachte Bambuss mit neuem Interesse. Himmlische und irdische Liebe – er also auch! Die Krankheit scheint verbreiteter zu sein, als ich dachte. Otto trinkt ein Glas Waldmeisterlimonade und sieht mich mit seinen blassen Augen an. Wahrscheinlich hat er erwartet, daß ich auf Gerda sofort verzichten würde, um seiner Kunst Geschlechtsteile wachsen zu lassen.»Wann gehen wir einmal ins Freudenhaus?«fragt er wehmütig.»Du hast mir das doch versprochen.«

»Bald. Aber es ist kein purpurner Pfuhl der Sünde, Otto.«

»Ich habe nur noch zwei Wochen Ferien. Dann muß ich wieder auf mein Dorf zurück, und alles ist aus.«

»Wir machen es vorher. Hungermann möchte auch hin. Er braucht es für sein neues Drama „Casanova“. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Ausflug?«

»Um Gottes willen! Ich darf nicht gesehen werden! Bei meinem Beruf!«

»Gerade deshalb! Ein Ausflug ist harmlos. Der Puff hat eine Art Kneipe in den unteren Räumen. Da verkehrt, wer will.«

»Natürlich gehen wir«, sagt Hungermann hinter mir.»Alle zusammen. Wir machen eine Studienexpedition. Rein wissenschaftlich. Eduard will auch mit.«

Ich drehe mich nach Eduard um, um den überlegenen Sonettkoch mit sarkastischer Soße zu übergießen – aber das ist schon nicht mehr notwendig. Eduard sieht plötzlich aus, als hätte er eine Schlange vor sich. Ein schlanker Mensch hat ihm soeben auf die Schulter geklopft.»Eduard, alter Kamerad!«sagt er jetzt freundschaftlich.»Wie geht es dir? Freust dich, daß du noch lebst, was?«

Eduard starrt den schlanken Mann an.»Heutzutage?«würgt er heraus.

Er ist erblaßt. Seine feisten Backen hängen plötzlich herunter, seine Schultern hängen, seine Lippen, seine Locken, ja selbst sein Bauch hängt. Er ist im Handumdrehen eine fette Trauerweide geworden.

Der Mann, der das alles verursacht hat, heißt Valentin Busch. Er ist neben Georg und mir die dritte Pest in Eduards Dasein, und nicht nur das – er ist Pest, Cholera und Paratyphus zusammen.»Du siehst blühend aus, mein Junge«, erklärt Valentin Busch herzlich.

Eduard lacht hohl.»Aussehen macht es nicht. Man wird aufgefressen von Steuern, Zinsen und Dieben -«

Er lügt. Steuern und Zinsen bedeuten im Zeitalter der Inflation überhaupt nichts; man zahlt sie nach einem Jahr, das heißt, so gut wie überhaupt nicht. Sie sind dann längst entwertet. Und der einzige Dieb, den Eduard kennt, ist er selbst.

»An dir ist wenigstens was dran zu fressen«, erwidert Valentin lächelnd und erbarmungslos.»Das dachten die Würmer in Flandern auch, als sie schon auszogen, dich zu holen.«

42
{"b":"99812","o":1}