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»Frauen und Polizisten«, sagt Georg und grinst; aber er blickt ebenfalls wohlgefällig auf Lisa.

Die zweite Nummer des Programms beginnt. Eine Akrobatin steht auf der Tanzfläche. Sie ist jung, hat ein keckes Gesicht, eine kurze Nase und schöne Beine. Sie tanzt einen akrobatischen Tanz, mit Saltos, Handständen und hohen Sprüngen. Wir beobachten Lisa weiter. Sie scheint am liebsten das Lokal wieder verlassen zu wollen. Das ist natürlich Schwindel; es gibt nur diesen einen Nachtklub in der Stadt; das andere sind Cafés, Restaurants oder Kneipen. Deshalb trifft man hier auch jeden, der genug Zaster hat, herzukommen.

»Champagner!«schmettert Riesenfeld mit Diktatorstimme.

Ich schrecke auf, und auch Georg ist besorgt.»Herr Riesenfeld«, sage ich.»Der Champagner ist hier sehr schlecht.«

In diesem Augenblick schaut mich ein Gesicht vom Boden an. Ich blicke erstaunt zurück und sehe, daß es die Tänzerin ist, die sich so weit nach hinten heruntergebeugt hat, daß ihr Kopf zwischen den Beinen wieder hervorkommt. Sie sieht eine Sekunde aus wie ein äußerst verwachsener Zwerg.»Den Champagner bestelle ich!«erklärt Riesenfeld und winkt dem Kellner.

»Bravo!«sagt das Gesicht von unten.

Georg zwinkert mir zu. Er spielt die Rolle des Kavaliers, während ich da bin für die unbequemen Sachen; das ist so ausgemacht zwischen uns.»Wenn Sie Champagner wollen, Riesenfeld, bekommen Sie Champagner«, sagt er deshalb jetzt.»Aber Sie sind natürlich unser Gast.«

»Ausgeschlossen! Ich übernehme das! Kein Wort mehr darüber!«Riesenfeld ist ganz Don Juan hoher Klasse. Er sieht befriedigt auf die goldene Kapsel im Eiskühler. Verschiedene Damen zeigen sofort starkes Interesse. Ich bin ebenfalls einverstanden. Der Champagner wird Erna lehren, daß sie mich zu früh über Bord geschmissen hat. Mit Genugtuung trinke ich Riesenfeld zu, der feierlich erwidert.

Willy taucht auf. Es war zu erwarten; er ist hier Stammgast. Aufstein bricht mit seiner Gesellschaft auf, und Willy wird unser Nachbar. Er erhebt sich gleich darauf und heißt Renée de la Tour willkommen. Sie hat ein hübsches Mädchen bei sich, das ein schwarzes Abendkleid trägt. Nach einer Weile erkenne ich die Akrobatin. Willy macht uns bekannt. Sie heißt Gerda Schneider und wirft einen abschätzenden Blick auf den Champagner und auf uns drei. Wir passen auf, ob Riesenfeld Interesse faßt; dann wären wir ihn für den Abend los. Aber Riesenfeld ist verkauft an Lisa.»Meinen Sie, daß man sie zum Tanzen auffordern kann?«fragt er Georg.

»Ich würde es Ihnen nicht raten«, erwidert Georg diplomatisch.»Aber wir werden sie vielleicht später noch irgendwie kennenlernen.«

Er sieht mich vorwurfsvoll an. Hätte ich im Büro nicht gesagt, daß wir nicht wüßten, wer Lisa sei, wäre die Sache in Ordnung. Aber wer konnte ahnen, daß Riesenfeld auf die romantische Tour gehen würde? Jetzt ist es zu spät, ihn aufzuklären. Romantiker haben keinen Humor.

»Tanzen Sie nicht?«fragt die Akrobatin mich.

»Schlecht. Ich habe keinen Sinn für Rhythmus.«

»Ich auch nicht. Lassen Sie es uns zusammen probieren.«Wir klemmen uns in die Masse auf der Tanzfläche und werden langsam vorwärts geschoben.»Drei Männer ohne Frauen im Nachtklub«, sagt Gerda.»Warum?«

»Warum nicht? Mein Freund Georg behauptet, wer Frauen in einen Nachtklub mitbringe, lade sie ein, ihm Hörner aufzusetzen.«

»Wer ist Ihr Freund Georg? Der mit der dicken Nase?«

»Der mit dem kahlen Kopf. Er ist Anhänger des Harem-Systems. Frauen soll man nicht vorzeigen, sagt er.«

»Natürlich… Und Sie?«

»Ich habe kein System. Ich bin wie Spreu im Winde.«

»Treten Sie mir nicht auf die Füße«, sagt Gerda.»Sie sind keine Spreu. Sie wiegen mindestens siebzig Kilo.«

Ich nehme mich zusammen. Wir sind gerade an Ernas Tisch vorbeigeschoben worden, und diesmal hat sie mich Gott sei Dank erkannt, obschon ihr Kopf an der Schulter des Schiebers mit dem Siegelring liegt und er ihre Taille umklammert. Der Teufel soll da auf Synkopen aufpassen! Ich lächle zu Gerda hinunter und ziehe sie enger an mich. Dabei beobachte ich Erna.

Gerda riecht nach Maiglöckchenparfüm.»Lassen Sie mich nur wieder los«, sagt sie.»Damit erreichen Sie nichts bei der Dame mit dem roten Haar. Und das wollen Sie doch, nicht wahr?«

»Nein«, lüge ich.

»Sie hätten sie gar nicht beachten sollen. Statt dessen haben Sie wie hypnotisiert zu ihr rübergestarrt und dann plötzlich dieses Theater mit mir arrangiert. Gott, sind Sie ein Anfänger!«

Ich versuche immer noch, das falsche Lächeln zu halten; ich möchte um alles nicht, daß Erna merkt, daß ich hier ebenfalls reingefallen bin.»Ich habe das nicht arrangiert«, sage ich lahm.»Ich habe nicht tanzen wollen.«

Gerda schiebt mich von sich weg.»Ein Kavalier sind Sie anscheinend auch noch! Hören wir auf. Meine Füße tun mir weh.«

Ich überlege, ob ich ihr erklären soll, daß ich das anders gemeint habe; aber wer weiß, wohin mich das dann wieder bringt! Lieber halte ich den Schnabel und gehe hocherhobenen Kopfes, aber beschämt hinter ihr her zum Tisch.

Dort hat der Alkohol inzwischen gewirkt. Georg und Riesenfeld duzen sich. Riesenfeld hat den Vornamen Alex. In spätestens einer Stunde wird er auch mich auffordern, ihn zu duzen. Morgen früh ist natürlich alles wieder vergessen.

Ich sitze ziemlich trübe da und warte darauf, daß Riesenfeld müde wird. Die Tanzenden gleiten dahin, von der Musik getragen, in einem trägen Fluß von Lärm, Körpernähe und Herdengefühl. Auch Erna kommt herausfordernd vorbei und ignoriert mich. Gerda stößt mich an.

»Das Haar ist gefärbt«, sagt sie, und ich habe das ekelhafte Gefühl, daß sie mich trösten will.

Ich nicke und merke, daß ich genug getrunken habe. Riesenfeld ruft endlich nach dem Kellner. Lisa ist gegangen; jetzt will auch er raus.

Es dauert eine Zeitlang, bis wir fertig sind. Riesenfeld bezahlt tatsächlich den Champagner; ich hatte erwartet, er würde uns mit den vier Flaschen, die er bestellt hat, sitzenlassen. Wir verabschieden uns von Willy, Renée de la Tour und Gerda Schneider. Es ist ohnehin Schluß; auch die Musik packt ein. Alles staut sich an den Ausgängen und der Garderobe.

Ich stehe auf einmal neben Erna. Ihr Kavalier rudert mit langen Armen an der Garderobe herum, um ihren Mantel zu holen. Erna mißt mich eisig.»Hier muß ich dich erwischen! Das hättest du wohl nicht erwartet!«

»Du mich erwischen?«sage ich verblüfft.»Ich dich!«

»Und mit was für Subjekten!«fährt sie fort, als hätte ich nicht geantwortet.»Mit Tingeltangelweibern! Rühr mich nicht an! Wer weiß, was du dir schon geholt hast!«

Ich habe keinen Versuch gemacht, sie anzurühren.»Ich bin hier geschäftlich«, sage ich.»Und du? Wie kommst du hierher?«

»Geschäftlich!«Sie lacht schneidend auf.»Geschäftlich! Wer ist denn gestorben?«

»Das Rückgrat des Staates, der kleine Sparer«, erwidere ich und denke, ich sei witzig gewesen.»Er wird täglich hier beerdigt, aber sein Grabdenkmal ist kein Kreuz – es ist ein Mausoleum, genannt die Börse.«

»Und so einem verbummelten Subjekt hat man vertraut!«erklärt Erna, als hätte ich wieder nichts gesagt.»Wir sind fertig miteinander, Herr Bodmer!«

Georg und Riesenfeld kämpfen an der Garderobe um ihre Hüte. Ich merke, daß ich zu Unrecht in der Verteidigung bin.»Hör zu«, fauche ich.»Wer hat mir heute nachmittag noch gesagt, er könne nicht ausgehen, er habe rasende Kopfschmerzen? Und wer schwoft hier herum mit einem dicken Schieber?«

Erna wird weiß um die Nase.»Du pöbelhafter Verseschmierer!«flüstert sie, als spritze sie Vitriol.»Du meinst wohl, weil du Gedichte von toten Leuten abschreiben kannst, wärest du was Besseres, wie? Lerne erst einmal genug Geld zu verdienen, damit du eine Dame standesgemäß ausführen kannst! Du mit deinen Ausflügen ins Grüne! Zu den seidenen Fahnen des Mai! Daß ich nicht schluchze vor Mitleid!«

Die seidenen Fahnen sind ein Zitat aus dem Gedicht, das ich ihr nachmittags geschickt habe. Ich taumele innerlich; äußerlich grinse ich.»Wir wollen einmal bei der Sache bleiben«, sage ich.»Wer geht hier mit zwei ehrbaren Geschäftsmännern nach Hause? Und wer mit einem Kavalier?«

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