In seinem Büro an Bord der Oregon katalogisierte Michael Halpert den Inhalt von Truitts Übertragung. Die Dateien waren ein ungeordnetes Durcheinander von Firmendokumenten, Bank- und Aktiendepotauszügen und Kapitalbeteiligungen. Entweder gab es keine persönlichen Dateien oder sie waren noch nicht übermittelt worden, ehe die Verbindung gekappt wurde.
Halpert ließ den Computer nach einigen Schlüsselwörtern suchen, dann betrachtete er die Fotos, die Truitt aus der Gulfstream gefaxt hatte. Auf seinem Schreibtischsessel rollte er zu einem anderen Computer hinüber, ließ die Bilder durch einen Scanner wandern, dann stellte er eine Verbindung zum Computer des U.S. State Department her und begann, den Bestand an Passfotos zu durchsuchen. Die Datenbank war riesengroß, die Suche konnte mehrere Tage in Anspruch nehmen. Er ließ die Computer ihre Arbeit verrichten, verließ das Büro und begab sich in den Speisesaal. Das Tagesmenü war Filetgulasch à la Stroganoff — Halperts Leibgericht.
»Sir«, sagte die Stimme aus dem Telefon mit gesteigerter Lautstärke, »wir werden von einer Flugkörper-Fregatte der U.S. Navy angerufen.«
»Was meinen Sie?«, fragte Hickman.
»Wir haben Befehl erhalten, entweder beizudrehen oder versenkt zu werden«, meldete der Kapitän der Free Enterprise.
Hickmans Plan löste sich immer schneller in Wohlgefallen auf.
»Können Sie sie nicht abhängen?«, fragte er.
»Niemals.«
»Dann greifen Sie an«, befahl Hickman.
»Sir«, sagte der Kapitän laut, »das wäre reinster Selbstmord.«
Hickman wartete ein paar Sekunden mit einer Antwort und überlegte. »Dann verzögern Sie die Kapitulation so lange wie möglich«, meinte er schließlich.
»Ja, Sir«, sagte der Kapitän.
Hickman trennte die Verbindung und lehnte sich zurück. Dem Team auf der Free Enterprise waren von Anfang an falsche Informationen gegeben worden. Um die Leute zur Mitarbeit zu bewegen, hatte er ihnen erklärt, sein Plan sehe vor, den Meteoriten zusammen mit der Atombombe bei einem Angriff auf Syrien einzusetzen. Danach würde er diesen Angriff den Israelis in die Schuhe schieben und auf diese Weise einen richtigen Krieg im Mittleren Osten auslösen. Wenn alles vorbei wäre, so hatte er ihnen weisgemacht, würden die Vereinigten Staaten die Kontrolle über diese Region an sich gerissen haben und der Terrorismus wäre ein für alle Mal ausgemerzt.
In Wirklichkeit verfolgte er mit seinem Plan weitaus persönlichere Ziele. Er wollte den Tod der einzigen Person, die er je aufrichtig geliebt hatte, rächen. Und Gnade Gott allen denen, die sich ihm dabei in den Weg stellten.
Er griff ein weiteres Mal nach seinem Telefonhörer und wählte die Nummer seines Hangars.
»Machen Sie meine Maschine für einen Flug nach London bereit.«
»Ahoi«, grüßte Meadows den Mann an Deck des Katamarans.
»Ahoi«, antwortete er.
Der Mann war hoch gewachsen und schlank. Sein Gesicht wurde von einem sorgfältig gestutzten Spitzbart und buschigen grau melierten Augenbrauen beherrscht. Seine Augen waren klar und zwinkerten, als verfügte ihr Besitzer über ein geheimes Wissen, von dem niemand sonst etwas ahnte. Der Mann, der deutlich älter als sechzig war, hatte seine Hände noch immer in dem torpedoförmigen Objekt stecken.
»Darf ich an Bord kommen?«
»Sind Sie der Sonarexperte?«, fragte der Mann grinsend.
»Nein«, antwortete Meadows.
»Kommen Sie trotzdem«, sagte der Mann mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme.
Meadows kletterte auf das Deck des Katamarans und ging auf den Mann zu. Er kam ihm irgendwie bekannt vor. Dann konnte Meadows das Gesicht einordnen. »Hey«, sagte er, »Sie sind doch dieser Schriftsteller, der …«
»Pensionierter Schriftsteller«, korrigierte der Mann lächelnd, »ja, ich bin es. Aber vergessen Sie das mal für einen Augenblick — kennen Sie sich mit Elektronik aus?«
»Ich bin froh, wenn ich meinen Elektroherd in Gang kriege«, gestand Meadows und lächelte entschuldigend.
»Verdammt«, sagte der Schriftsteller. »Ich habe die Systemplatine dieses Sonargeräts gehimmelt und muss sie schnellstens reparieren oder ersetzen, ehe das Wetter aufklart und wir wieder auslaufen können. Der Techniker sollte schon vor einer Stunde hier sein. Offenbar hat er sich verfahren oder ist wer weiß wo verschollen.«
»Wie lange liegen Sie schon hier im Hafen?«, wollte Meadows wissen.
»Es sind jetzt genau vier Tage«, antwortete der Schriftsteller. »Noch zwei weitere Tage, und ich muss meine Mannschaft mit neuen Lebern ausrüsten — sie sind dabei, den ganzen Ort leerzusaufen. Das heißt … bis auf einen Knaben — er hat vor Jahren das Trinken aufgegeben und ist jetzt süchtig nach Kaffee und Kuchen. Die Frage ist, wo finde ich die Kerle? Diese Expeditionen sind die reinsten schwimmenden Irrenhäuser.«
»Aha«, sagte Meadows, »Sie sind Unterwasserarchäologe.«
»Verwenden Sie auf diesem Schiff bloß nicht das Wort ›Archäologie‹«, erklärte der Schriftsteller scherzhaft. »Archäologen rangieren auf diesem Boot etwa auf der gleichen Stufe wie Nekrophile. Wir sind Abenteurer, Schatzsucher.«
»Tut mir Leid«, entschuldigte sich Meadows lächelnd. »Wissen Sie, wir versuchen, einen Diebstahl aufzuklären, der vor zwei Nächten hier im Hafen verübt wurde. Vermissen Sie irgendetwas?«
»Sie sind doch Amerikaner«, stellte der Autor fest, ohne die Frage zu beantworten. »Was haben Sie mit einem Raub zu schaffen, der in England verübt wurde?«
»Würden Sie mir glauben, wenn ich darauf erwidere, dass es um die nationale Sicherheit geht?«
»Aber immer doch«, sagte der Schriftsteller. »Wo waren Sie, als ich noch Bücher schrieb? Immer musste ich mir alles aus den Fingern saugen.«
»Ich meine es ernst«, sagte Meadows.
Der Schriftsteller dachte einen Moment lang nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, wir vermissen nichts. Auf diesem Schiff gibt es jede Menge Kameras. Unter Wasser, über Wasser, unten in den Kabinen, über den Instrumenten, verdammt noch mal, wahrscheinlich sogar auf dem Klo. Ich habe den Kahn von einem Filmteam gemietet.«
Meadows runzelte verblüfft die Stirn. »Haben Sie das den Engländern verraten?«
»Sie haben mich nicht gefragt«, sagte der Schriftsteller. »Sie schienen viel mehr daran interessiert zu sein, mir zu erklären, dass ich nichts gesehen hätte — was ich auch nicht habe.«
»Also haben Sie wirklich nichts gesehen?«
»Nicht wenn es spät in der Nacht passiert ist«, sagte der Schriftsteller. »Ich bin über siebzig Jahre alt — nach zehn Uhr müssen Sie schon mit einem Feuer oder einer nackten Frau kommen, um mich wachzubekommen.«
»Aber die Kameras?«, fragte Meadows.
»Die laufen die ganze Zeit«, sagte der Schriftsteller. »Wir drehen ein Fernsehfeature über die Schatzsuche — Videobänder sind billig, gutes Material ist wertvoll.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Bänder mal zu zeigen?«, fragte Meadows.
»Nur«, sagte der Autor, während er zur Kabinentür ging, »wenn Sie bitte, bitte sagen.«
Zwanzig Minuten später besaß Meadows das, weswegen er in den Hafen gekommen war.
32
Nebile Lababiti betrachtete die Atombombe, die auf dem Holzfußboden des Apartments lag, mit einer Mischung aus Erregung und Unbehagen. Es war ein unbelebtes Objekt — vorwiegend maschinell bearbeitetes Metall und ein paar Kupferdrähte — doch es erzeugte ein Gefühl der Furcht und der Gefahr. Die Bombe war mehr als nur ein Objekt — sie hatte ein eigenes Leben. Wie ein Gemälde oder eine Skulptur. Erfüllt mit der Lebenskraft seines oder ihres Schöpfers, war die Bombe nicht einfach nur ein Metallklumpen. Sie war die Antwort auf die Gebete seines Volkes.
Damit würden sie die Briten mitten ins Herz treffen.
Die verhassten Engländer, die Kunstgegenstände aus den Pyramiden gestohlen hatten, die die Bürger des Mittleren Ostens unterdrückten und Seite an Seite mit den Amerikanern Kriege ausfochten, in denen sie nichts zu suchen hatten. Lababiti befand sich mitten in der Höhle des Löwen. London pulsierte ringsum. Die Stadt, in der die Bankiers residierten, die all die Unterdrückung finanzierten. Die Kunstgalerien, Museen und Theater der Innenstadt waren in nächster Nähe zu finden. Number 10 Downing Street, das Parlamentsgebäude, der Buckingham-Palast.