Der Palast. Das Zuhause der Königin, dieses uralten Symbols all dessen, was er verabscheute. Den Pomp und das ganze Drumherum, die Rechtschaffenheit und die Feierlichkeit. Schon bald würde all das in dem Feuer verbrennen, das vom Schwert des Islam angefacht würde — und wenn es erst erloschen war, wäre die Welt nicht mehr so, wie sie einmal gewesen war. Der Bestie wäre das Herz aus der Brust gerissen worden. Der geheiligte geschichtsträchtige Boden wäre nur noch eine öde Wüste, wo die menschliche Seele nichts Tröstliches mehr fände.
Lababiti zündete sich eine Zigarette an.
Es würde nicht mehr lange dauern. Irgendwann im Laufe des Tages würde der junge jemenitische Krieger, der sich bereit erklärt hatte, die Sprengladung ans Ziel zu bringen, in der Stadt eintreffen. Lababiti würde den jungen Mann zu Wein und einem vorzüglichen Essen einladen, ihn mit Huren und Haschisch und exquisiten Köstlichkeiten versorgen. Es wäre das Mindeste, was er für jemanden tun konnte, der bereit war, sein Leben für die Sache hinzugeben.
Sobald sich der junge Mann eingewöhnt hatte und den Weg kannte, den er nehmen musste, würde sich Lababiti schnellstens zurückziehen.
Eine Führungspersönlichkeit zu sein, bedeutete nicht, dass man für sein Land starb — sondern dass man dafür sorgte, dass andere für sein Land starben. Und Nebile Lababiti hatte nicht die geringste Absicht, selbst zum Märtyrer zu werden. Wenn die Bombe explodierte, säße er sicher auf der anderen Seite des Kanals — in Paris.
Er fragte sich nur, weshalb er so lange nichts von Al-Khalifa gehört hatte.
»Keine Ahnung, wie sie uns durch die Lappen gehen konnte«, sagte Rodgers.
»Macht nichts«, sagte Bob Meadows, »jetzt haben Sie eine Autonummer, die zu dem Truck gehört. Suchen Sie den Wagen, und wenn Sie ihn gefunden haben, dürfte die Bombe ganz in der Nähe sein.«
»Kann ich das Band haben?«, fragte Rodgers.
Meadows behielt wohlweislich für sich, dass er den Schriftsteller gebeten hatte, zwei Kopien anzufertigen, und dass eine davon wohlbehalten und geschützt in dem geliehenen Range Rover lag. »Klar«, sagte er.
»Ich denke, ab jetzt können wir übernehmen«, sagte Rodgers und pochte auf seine Autorität. »Ich sorge dafür, dass mein Boss die Führung des amerikanischen Geheimdienstes daran erinnert, Sie für Ihren Beitrag zu loben.«
Der ständige Streit zwischen Akteuren und Agenturen konnte einem auf die Dauer auf die Nerven gehen, Rodgers musste von seinen Vorgesetzten instruiert worden sein, dass ganz gleich, was geschah, dem MI5 am Ende das Verdienst zukommen müsse, die Bombe geborgen zu haben. Nun, da er besaß, was ihn seiner Meinung nach in die Lage versetzen würde, die Bombe in Sicherheit zu bringen, versuchte er, die Corporation in den Hintergrund zu drängen.
»Ich verstehe«, sagte Eddie Seng. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir den Rover noch für ein paar Tage behalten?«
»Nein, bitte bedienen Sie sich«, sagte Rodgers.
»Und wäre es auch in Ordnung, wenn wir den Inhaber der Bar verhören?«, fragte Meadows. »Nur damit wir unsere Akten vervollständigen und die Angelegenheit abschließen können?«
»Wir haben den Mann bereits ausgiebig verhört«, erwiderte Rodgers und ließ sich die Bitte einige Sekunden lang durch den Kopf gehen, »daher wüsste ich nicht, inwieweit es schaden könnte.«
Rodgers griff nach seinem Mobiltelefon, um das Kennzeichen des Lieferwagens durchzugeben, dann sah er die beiden Amerikaner erwartungsvoll an.
»Vielen Dank«, sagte Seng und gab Meadows ein Zeichen, mit ihm zum Range Rover zu kommen.
Rodgers deutete einen militärischen Salut an.
Meadows öffnete die Tür und schob sich hinter das Lenkrad, während Seng es sich auf dem Beifahrersitz bequem machte.
»Warum hast du ihm das Band überlassen?«, wollte Seng wissen, sobald die Türen geschlossen waren.
Meadows deutete auf die Kopie, die auf dem Boden im Fußraum lag, dann ließ er den Motor des Range Rovers an und wendete.
»Statten wir dem Barbesitzer einen Besuch ab«, sagte er, »und sehen wir, was wir rauskriegen können.«
»Denkst du das Gleiche, was ich denke?«, fragte Seng ein paar Minuten später, während Meadows vor der Bar parkte.
»Keine Ahnung«, erwiderte Meadows. »Hat es unter Umständen mit dem Motorrad zu tun, das ebenfalls auf dem Video zu sehen war?«
»Ich könnte die Nummer durchgeben«, schlug Eddie Seng vor, »während du schon mal reingehst.«
Meadows stieg aus dem Range Rover. »Du hast wirklich ein verdammt gutes Gedächtnis«, sagte er anerkennend.
Eddie Seng hielt eine Handfläche hoch, auf der er die Nummer mit Kugelschreiber notiert hatte.
Bob Meadows schüttelte grinsend den Kopf, schloss die Tür und ging zum Eingang der Bar.
Die Bäume im St. James’s und im Green Park in der Nähe des Buckingham-Palastes waren kahl, und der im Winterschlaf liegende Rasen war mit Raureif bedeckt. Touristen verfolgten den Wachwechsel, während die Atemluft in weißen Dampfwolken aus ihren Nasen drang. Ein Mann näherte sich auf einem Motorroller vom Piccadilly, bog auf den Grosvenor Place ein und fuhr gemächlich am Teich innerhalb der Palastgärten entlang. Danach erreichte er die Buckingham Palace Road und folgte ihr bis zum Birdcage Walk. Auf der Straße, die am Teich im St. James’s Park entlangführte, hielt er an und notierte seine Fahrtzeit und die Verkehrsverhältnisse.
Dann verstaute er das kleine Notizbuch in seiner Jackentasche und fuhr knatternd davon.
Cabrillo hielt den Kopf aus dem Seitenfenster des MG. Vor einer Stunde, als er am Ben Nevis, dem höchsten Berg Schottlands, vorbeigefahren war, hatte er den Abstand zu dem Lieferwagen aufgeholt. Nun, während sich der MG durch die Grampian Mountains kämpfte, gewann der Lieferwagen wieder an Vorsprung. Bald musste irgendetwas geschehen. Cabrillo rechnete damit, jeden Moment George Adams im Robinson oder die britische Armee oder die Luftwaffe oder sogar einen Polizeiwagen zu sehen. Er war sicher, dass die Oregon Hilfe schickte — schließlich war er unbewaffnet und saß in einem viel zu schwachen Wagen.
Gewiss hatte längst jemand herausgefunden, wo er sich befand.
An Bord der Oregon wurde mit nur mäßigem Erfolg an diesem Problem gearbeitet.
Das Schiff war immer noch gut hundertsechzig Kilometer von Kinnaird Head entfernt und dampfte mit voller Kraft nach Süden. In ein paar Stunden wäre die Oregon vor Aberdeen — und noch ein paar Stunden später hätte sie Edinburgh erreicht.
»Okay«, rief Hali Kasim durch den Kontrollraum Hanley zu, »George meldet soeben, er habe ausreichend Sprit getankt, um es bis Inverness zu schatten. Dort wird er noch einmal auftanken und der Straße nach Süden folgen.«
»Welche Reichweite hat er dann?«, wollte Hanley wissen.
»Moment«, sagte Kasim und gab die Frage an Adams weiter.
»Über den größten Teil Englands«, antwortete Kasim schließlich, »aber er meint, bis nach London würde es ohne eine weitere Zwischenlandung zum Auftanken doch nicht reichen.«
»Eigentlich müssten wir die Angelegenheit schon vorher erledigt haben«, sagte Hanley.
»Okay«, rief Kasim. »Adams sagt, er sei startbereit.«
»Dann bitte ihn, der Straße wie geplant zu folgen, bis er auf Juan stößt.«
Hali Kasim wiederholte die Instruktion.
»Er meldet, er müsse sich mit dichtem Nebel herumschlagen«, sagte Kasim, »aber er würde direkt über der Straße fliegen.«
»Gut.« Hanley nickte zufrieden.
Linda Ross trat neben Hanleys Sessel. »Max«, rief sie, »Eric und ich haben uns noch mal die Frequenzen der Peilsender auf dem Meteoriten vorgenommen. Wir fangen jetzt ein deutlicheres Signal auf.«
»Auf welchem Monitor?«
Ross deutete auf einen Schirm an der hinteren Wand.
Der Meteorit befand sich fast in Stirling. Nicht mehr lange, und der Fahrer des Lieferwagens würde seine weiteren Absichten durch eine Richtungsänderung verraten. Entweder nach Osten in Richtung Glasgow oder nach Edinburgh im Westen.