»Sie fahren die Mall hinunter«, gab Jones per Funk durch.
Kasim und Ross rannten den Queenswalk in Richtung Konzertplatz hinunter.
Murphy ließ sich durchaus von einer allgemeinen Aufregung anstecken, aber mit einem Präzisionsgewehr in der Hand war er stets die Ruhe selbst. Franklin Lincoln spielte den Richtschützen für ihn und suchte die Parks vor ihnen ab. »Der einzig mögliche Schuss durch die Bäume ergibt sich etwa am Queen Victoria Memorial«, sagte Lincoln.
»Der Verkehr um das Denkmal fließt im Uhrzeigersinn, nicht wahr?«, fragte Murphy.
»Richtig«, bestätigte Lincoln.
»Dann knipse ich den Bastard ab, wenn er bremst, um in den Kreisverkehr einzubiegen — wie damals bei JFK«, sagte Murphy.
»Ich hab sie«, meldete Lincoln, als sein Visier die Motorräder erfasste.
Adams flog über den Old Admirality Buildings eine Linkskurve und folgte den Motorrädern die Mall hinunter.
»Kopf und Schultern«, sagte King in sein Helmmikrofon.
»Meinst du das Shampoo?«, fragte Adams.
»Nein«, erwiderte King, »dort werde ich den Mistkerl erwischen.«
Er blickte durch das Zielfernrohr und regulierte seine Atmung. Der kalte Wind, der durch die offene Helikoptertür hereindrang, ließ seine Augen tränen, aber King bemerkte es so gut wie gar nicht.
Cabrillo orientierte sich. Er erblickte eine Reihe von Imbissbuden, die den Kreisverkehr säumten, in dessen Zentrum das Queen Victoria Memorial stand. Sie näherten sich dem Konzertgelände. Er verringerte den Abstand zwischen sich und dem Jemeniten und bereitete sich darauf vor, auf die Ural umzusteigen.
»Vier, drei, zwei, eins«, zählte Lincoln.
Murphy schoss zur gleichen Zeit, als King aus dem Helikopter eine kurze Salve abfeuerte. Amad hatte den Kreisverkehr fast erreicht, als Blut aus seinem Kopf, seiner Brust und seinen Schultern spritzte. Nur eine Sekunde später war er bereits tot — fast genau im gleichen Augenblick, als Cabrillo von der Vincent auf die Ural umstieg. Seine Hände fingen bereits eine Leiche auf.
Die Vincent prallte in einem dichten Funkenregen auf den Asphalt und rutschte einen ganzes Stück, ehe sie liegen blieb. Cabrillo stieß Amad vom Motorradsitz. Er rollte und hüpfte wie ein Crashtest-Dummy über den Asphalt. Cabrillo drückte die Kupplung, nahm den Gang heraus und bremste. Das Motorrad mit dem Beiwagen kam nur wenige Schritte vor der ersten Imbissbude zum Stehen.
Cabrillo warf sofort einen Blick auf das Display des Zeitzünders. Der Countdown war gerade erst bei zwei Minuten angelangt. Er konnte nur hoffen, dass es sich um eine reguläre Zeitangabe handelte und nicht um ein metrisches Zählwerk.
Richard Truitt hatte den Bühnenraum verlassen und war auf seinem Weg durch das Gedränge der Konzertbesucher keine zwanzig Meter weit gekommen, als ihm klar wurde, dass er schnellstens die Maske loswerden musste. Jeder hatte offensichtlich den Wunsch, Prince Charles zu berühren — doch sobald er die Maske abgenommen hatte, machten ihm die Leute Platz.
»Mr. Cabrillo hat die Bombe am Queen Victoria Memorial gestoppt«, meldete Lincoln über Funk.
Durchdringendes Geheul setzte ein, als die MI5-Agenten die Blaulichter auf die Dächer ihrer Tarnfahrzeuge setzten, die Sirenen einschalteten und zum Denkmal rasten. Straßensperren stoppten den Verkehr, eine Luftschutzsirene setzte ein. Truitt überquerte im Laufschritt die Straße, während Cabrillo den Zünddraht kappte.
»Sie ist noch immer scharf!«, brüllte Cabrillo, sobald er Truitt herbeieilen sah.
Truitt sah sich um. Ein Lieferwagen von Ben & Jerry’s Ice Cream parkte am Straßenrand. Er rannte hin und öffnete die Hecktür. Der Fahrer wollte protestieren, aber Truitt war bereits in den Laderaum geklettert. Die Hände durch Handschuhe geschützt, ergriff er einen Block Trockeneis und trug ihn zu Cabrillo hinüber, der mit einer Leatherman-Zange die Spitze der Bombe hastig abschraubte.
Er hatte bereits die Abdeckplatte entfernt, als Truitt ihn erreichte.
»Wir müssen den Zündmechanismus einfrieren«, sagte Truitt.
Der Timer zeigte eine Minute vor zwölf.
»Dann los!«, rief Cabrillo.
Truitts Handschuhe waren an dem Trockeneisblock festgefroren, er hatte kein Gefühl in den Händen, packte jedoch den Eisblock auf die freigelegte Spitze der Bombe und schob sich die grauen Hände in die Achselhöhlen. Der Timer tickte ein paar Sekunden weiter und blieb dann stehen.
Cabrillo sah Truitt grinsend an. »Es hat tatsächlich funktioniert«, stellte er staunend fest.
»Not macht erfinderisch«, erklärte Truitt mit zusammengebissenen Zähnen.
Cabrillo nickte und drückte auf das Mikrofon an seinem Hals. »Ich brauche schnellstens die Bombenspezialisten am Queen Victoria Memorial.«
Feuerwerksraketen gingen über dem Park und in ganz London hoch, als das neue Jahr anbrach.
Zwei Minuten später fuhr ein Wagen vor, aus dem ein englischer Offizier stieg. Kurz darauf tauchte ein zweiter Wagen mit einem Spezialisten der U.S. Air Force auf. Fünf Minuten später hatten die beiden Männer den Zündmechanismus ausgebaut und in Sicherheit gebracht. Jetzt war die Bombe nicht mehr als ein Behälter für eine Kugel angereicherten Urans.
Ihr war das Herz herausgerissen worden und damit ihre Fähigkeit, Tausenden den Tod zu bringen.
Während die Bombenexperten die Bombe unschädlich machten, gingen Cabrillo und Truitt zu Amads Leiche hinüber, die in einer Blutlache auf dem Asphalt lag. Über Funk hatten sie erfahren, dass Lababiti abgefangen worden war und mit einem Hubschrauber nach London zurückgebracht wurde. Elton John hatte mit dem Konzert begonnen, seine Stimme hallte über das Gelände. Der Bereich um das Motorrad und den Toten herum wurde von britischem Militär und Geheimdienstagenten abgeriegelt: Die meisten Konzertbesucher hatten von den dramatischen Ereignissen nichts mitbekommen.
»Er ist fast noch ein Kind.« Kopfschüttelnd betrachtete Cabrillo den Todesboten.
Truitt nickte nur.
»Sorge lieber dafür, dass sich ein Sanitäter deine Hände ansieht.«
Hali Kasim und Linda Ross, die eingetroffen waren, nachdem der Timer lahmgelegt worden war, schoben die demolierte Black Shadow zu Cabrillo hinüber. Das Motorrad war in einem erbarmungswürdigen Zustand. Der Tank und die Seitenverkleidungen waren zerkratzt, der Lenker verbogen, und ein Reifen war völlig zerfetzt. Ein vollendetes Symbol englischer Motorradgeschichte war zerstört worden. Cabrillo betrachtete das Wrack mit einem Anflug von Wehmut.
»Geht zu dem Laden«, bat er Ross und Kasim, »und bezahlt dem Händler, was immer er für die Maschine verlangt. Dann fragt ihn, wohin das gute Stück gebracht werden soll, um es wieder zu reparieren.«
»Willst du das Motorrad etwa behalten, Juan?«, fragte Linda Ross.
»Aber sicher«, erwiderte Cabrillo.
In diesem Augenblick kam Fleming am Ort des Geschehens an. Cabrillo ging ihm entgegen, um ihn über den Stand der Dinge zu informieren. Lababiti war aus dem Verkehr gezogen worden und würde niemandem mehr schaden können. Aber es würde sicherlich noch einige Wochen dauern, bis er die fehlenden Teile des Puzzles preisgab.
TEIL Zwei
42
An Bord der U.S.-Navy-Flugkörper-Fregatte mussten Scott Thompson und seine Mannschaft von der Free Enterprise immer noch zum Reden gebracht werden. Obwohl sie vom Kommandanten des Kriegsschiffs seit ihrer Kapitulation intensiv verhört wurden, waren noch viele Fragen offen.
Auf der Kommandobrücke wartete Fregattenkapitän Timothy Gant auf das Eintreffen des Helikopters vom Festland. Der Himmel war pechschwarz, eine steife Brise peitschte das Wasser und zauberte Schaumkronen auf die Wellen. Ein Lichtpunkt auf dem Radarschirm verriet, dass sich der Helikopter zügig näherte.
»Er befindet sich im Anflug, Sir«, meldete der Steuermann. »Windgeschwindigkeit zwanzig bis dreißig Knoten von Nord und Nordwest.«